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CO2-Kompensation in der Kritik: Solltest du deine nächste Reise ausgleichen?

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Foto: © frenta - Fotolia.com

Eine CO2-Kompensation oder ein CO2-Ausgleich sollen helfen, die Emissionen auszugleichen, die zum Beispiel bei Flugreisen entstehen. Doch um die Kompensation häuft sich die Kritik. Worauf du achten solltest.

Dass Flugreisen aus Umweltsicht höchst problematisch sind, ist bekannt – zu massiv diskutieren wir heute über Klimawandel und CO2-Steuern. Wer sich einmal bewusst machen will, wie viel derzeit geflogen wird, wirft dazu einen Blick auf flightradar24.com.

Es wird viel geflogen und wenig co2-kompensiert
Die Grafik zeigt: Es wird viel geflogen. (Screenshot flightradar24.com)

Wer das Klima schonen will, kann klimafreundlicher Urlaub machen. Hier einige Ideen: Wir können gar nicht oder wenigstens seltener fliegen, Urlaub in der Nähe machen oder mit Bus und Bahn verreisen, die beide deutlich weniger CO2 produzieren als das Flugzeug. Seltener fliegen bedeutet auch, längere Zeit am Urlaubsziel zu bleiben statt mehrere Kurzurlaube anzutreten. Lies auch: Fernbus, Bahn, Auto, Flugzeug – was ist umweltfreundlicher.

Die Reiseindustrie schlägt eine zweite Lösung vor: Beim Reisen CO2 ausgleichen.
Hierbei berechnet man, welche Menge an CO2-Emissionen freigesetzt wird und kauft Ausgleichszertifikate, die bestätigen, dass andernorts durch Klimaschutzprojekte die gleiche Menge CO2 gebunden, vermieden oder nicht freigesetzt wurde. Diese CO2-Kompensation soll die eigenen Emissionen ausgleichen, besonders für Flüge ist das sehr beliebt. Ob die Projekte die emittierten Emissionen wirklich gänzlich ausgleichen, daran haben Studien und Recherchen – unter anderem von Zeit Online – immer wieder Zweifel geweckt.

CO2-Emissionen kann man berechnen

EU-Bürger:innen verursachten 2020 pro Jahr und Kopf im Durchschnitt etwa 7,4 Tonnen CO2-Äquivalent-Emissionen, die Deutschen lagen mit 8,8 Tonnen über dem Durchschnitt (Quelle: UBA).

Reisen fällt dabei besonders ins Gewicht. Eine Person im Reisebus produziert 37 Gramm CO2 pro Kilometer, im Flugzeug 271 Gramm (Quelle: UBA). Bei 1.600 Kilometer Flugreise von Berlin nach Mallorca fallen 0,3 Tonnen CO2 an, mit Rückflug schon 0,6 Tonnen (Rechner: Myclimate). Bei einem Flug hin und zurück nach Australien (gemeinsam circa 32.200 Kilometer) sind es schon etwa 5,7 Tonnen.

Zugleich wollen wir als Menschheit weltweit die CO2-Emissionen auf ein Niveau reduzieren, das den Treibhauseffekt begrenzt. Rechnet man die erlaubte Gesamtmenge auf einzelne Menschen um, erhält jede:r von uns ein „klimaverträgliches Budget“. Und das schätzt man auf nur 1,5 Tonnen CO2.

Kurzum: Wir leben weit über unserem Budget und ein einziger Urlaubsflug in Europa frisst schon über die Hälfte des jährlichen CO2-Budgets auf, ein Überseeflug weit mehr.

Das steckt hinter der CO2-Kompensation

CO2-Kompensation soll dazu beitragen, unsere Emissionen zu reduzieren. Die Idee ist, dass am Ende das Gesamtsystem klimaneutral(er), korrekter noch: CO2-neutraler arbeitet. Wer verreist, zahlt Geld an Klimaschutzprojekte, um Treibhausgase zu binden. Dort pflanzt man zum Beispiel Bäume oder nässt trockengelegte Moore neu ein, denn diese binden CO2. Auch gibt es Projekte, die den Ausbau erneuerbarer Energien fördern und so Emissionen verhindern.

Die Erde erwärmt sich, Pole schmelzen und Meeresspiegel steigen, Wetterphänomene fallen heftiger aus als gewohnt und erzeugen hier Überschwemmungen, dort Dürren. Der CO2-Ausgleich soll ein Weg sein, mit dem jede:r Konsument:in gegen diese Entwicklung vorgehen kann. Und das spielend leicht: Einfach auf der Webseite eines CO2-Ausgleich-Anbieters anmelden, Infos zur geplanten Reise angeben (– von wo bis wo, welches Reisemittel, etc. – ) und ein Kompensationsprojekt wählen. Anschließend zahlt man die angegebene Summe.

Übrigens: Man kann nicht nur einen Flug kompensieren, sondern auch eine Autoreise oder eine Reise im Bus … oder sein komplettes CO2-Jahresbudget.

Kritik an CO2-Kompensation

Zahlreiche Recherchen haben in den vergangenen Jahren Zweifel an CO2-Kompensation und diversen Klimaschutzprojekten geweckt. Die Zeit hatte zum Beispiel mehrmals Aussagen und Versprechungen der Baumpflanzorganisation Plant for the Planet widerlegt. Eine Recherche von Flip und der Wirtschaftswoche ergab, dass ein Großteil der Klimaprojekte mit UN-Siegel dem Klima nicht nützen. Die UN verkaufe unwirksame CO2-Zertifikate demnach sogar im eigenen Online-Shop.

Nicht nur an UN-Zertifikaten gibt es Kritik: Eine neue Recherche von Zeit und Guardian kritisierte Verra, den weltweit führenden Zertifizierer von CO2-Kompensationen. Der Vorwurf: In zahlreichen Regenwaldschutzprojekten von Verra soll demnach ihr Beitrag zum Klimaschutz vielfach überschätzt worden sein. Erhebliche Teile der CO2-Zertifikate, mit denen Unternehmen weltweit ihre Emissionen kompensieren, wären folglich wertlos. Utopia hat mit mehreren Expert:innen zu den Vorwürfen gegenüber Verra geredet. Alle hielten es für realistisch, dass 90 Prozent von Verras Regenwald-Kompensationsgutschriften wertlos fürs Klima sind. Mehr Informationen: Nach Zeit-Recherche: Ist CO2-Kompensation noch sinnvoll?

Das Problem: Beim Handel mit CO2-Zertifikaten mangelt es oft an Transparenz und es gibt viele Unklarheiten. Auch andere Analysen kommen zu dem Schluss, dass es massive Probleme mit der Integrität der Zertifikate gibt. Stefanie Rother vom Umweltbundesamt mahnt aber dazu, nicht alle Anbieter, Standards und Projekttypen zu verurteilen.

Wer fliegt, sollte einen CO2-Ausgleich vornehmen.
Wer fliegt, sollte seine CO2-Emissionen nach Möglichkeit kompensieren. (Foto: DLR)

Ist der CO2-Ausgleich ein unsinniger Ablasshandel?

Unabhängig von der Seriösität der Zertifikate gibt es weitere Punkte, die gegen CO2-Kompensation sprechen:

Verschmutzungsrecht für Reiche:
Man geht davon aus, dass vor allem Besserverdiener:innen mehr CO2 verursachen, schließlich können sie sich mehr leisten: größere Wohnungen (die zu beheizen sind), mehr Langstreckenflüge, mehr und größere Autos … Gleichzeitig haben sie auch eher das Geld für einen CO2-Ausgleich. Zu Ende gedacht und etwas überspitzt formuliert räumen wir damit Besserverdiener:innen ein höheres Umweltzerstörungsrecht ein, meist auch noch kompensiert mit Projekten in armen Ländern. (Nimmt man sie allerdings nicht in die Ausgleichspflicht, wäre dies auch nicht sinnvoll.)

Unklare Berechnung:
Wie beziffert man einen Klimaschaden denn eigentlich genau? Das macht jeder anders: Die Berechnung des ökologischen Fußabdrucks bringt höchst unterschiedliche Resultate zutage, wie die oben genannten Beispiele zeigen. Als sie die CO2-Emissionen derselben Strecke (vom Münchner Flughafen zum John F. Kennedy Flughafen in New York) berechneten, gelangten unterschiedliche Rechner zu unterschiedlichen Ergebnissen. Der Rechner von Climate Fair setzte zudem deutlich höhere Kosten an mit der Begründung, dass gängige Berechnungen nur die Treibhausgase, aber nicht andere „sozio-ökologische Folgekosten“ berücksichtigen. Die Frage bleibt: Ist es nun per se besser, „teurer“ auszugleichen – wenn dabei einige Nutzer:innen vielleicht abspringen und es ganz sein lassen?

Kompensieren vermeidet Vermeidung:
Viele Projekte zum CO2-Ausgleich finden in Ländern des globalen Südens statt, denn es ist billiger, dort zu kompensieren. Das macht es nicht automatisch schlechter, nur reduziert es unter Umständen die Motivation der Industrienationen, selbst Emissionen zu vermeiden. Schließlich ist es ja billiger, in Ländern des globalen Südens eine preiswerte CO2-Vermeidung oder Kohlendioxid-Bindung „einzukaufen“. Und rein ökonomisch mag das sogar zutreffen, es lenkt aber immerhin Geld von den reichen in die armen Länder.

Umweltprojekte greifen in fremde Länder ein:
Wenn Geld aus reichen Ländern für Umweltprojekte in arme Länder fließt, greift das natürlich unweigerlich in deren Strukturen ein. Was wir für gut und richtig halten, mag dann einen lokalen Anbieter in den Ruin treiben oder in der Region andere negative Folgen haben, die für uns letztlich nicht absehbar sind.

Ist es sinnvoll, CO2 zu kompensieren?

Sollte man also ohne Kompensation in den Urlaub fliegen? Damit ist dem Klima natürlich nicht geholfen. Mehrere Expert:innen bestätigten gegenüber Utopia, dass es sinnvoll sei, wenn Unternehmen und Verbraucher:innen freiwillig CO2 kompensieren – aber mit Einschränkungen.

CO2-Kompensation ist nur dann sinnvoll, wenn sie Emissionen kompensiert, die nicht vermieden werden können, erklärt Lambert Schneider vom Öko-Institut gegenüber Utopia. Es macht also einen Unterschied, ob man eine unvermeidbare Geschäftsreise ausgleichen möchte oder den dritten spontanen Urlaubstrip per Flugzeug. Allerdings gibt es zahlreiche unwirksame CO2-Zertifikate, die schwer von wirksamen zu unterscheiden sind. Ob man das ausgestoßene CO2 durch eine Spende ausgleicht, ist also fraglich. Trotzdem profitieren seriöse Klimaschutzprojekte davon, wenn man sie mit einer Spende unterstützt.

Wie können Verbraucher:innen seriöse CO2-Kompensationsprojekte erkennen?

Für Klimaschutzprojekte gibt es diverse Qualitätsstandards. Doch den einen guten gibt es nicht, betont Lambert Schneider vom Öko-Institut. „Der Gold Standard ist zum Beispiel am besten, wenn es darum geht, dass Projekte keine negativen sozialen Wirkungen haben. Die Climate Action Reserve schneidet am besten ab, wenn es darum geht, bei Waldprojekten eine Kohlenstoffspeicherung langfristig sicherzustellen.“ Dazu kommt, dass sich Standards auch nach Projekttypen unterscheiden. Laut Schneider werden die Emissionsminderungen durch effiziente Kochherde sehr überschätzt, aber die Projekte haben eine hohe positive soziale Wirkung.

Sein Institut kann deshalb keinen Standard speziell empfehlen. Eine bessere Übersicht liefert aber ein Scoring-Tool der Carbon Credit Quality Initiative, die das Öko-Institut zusammen mit zwei NGOs gegründet hat. Hier können Verbraucher:innen Informationen zu CO2-Projekten eingeben (zum Beispiel Art des Projekts, Standard, Land der Umsetzung) und erhalten eine Einschätzung zur Qualität der Zertifikate. Das Tool ist jedoch relativ schwer zu bedienen und derzeit eigentlich für Unternehmen gedacht.

Alternative: CO2-Emissionsrechte kaufen

Seriöse CO2-Kompensation zu erkennen, ist nicht leicht – erst recht nicht für Laien. Doch es gibt andere Optionen: Zum Beispiel kann man statt CO2-Zertifikaten CO2-Emissionsrechte kaufen. Diese Emissionsrechte sind Teil des Emissionshandels und funktionieren wie folgt:

Wenn ein Unternehmen Kohlendioxid in die Atmosphäre abgeben will, benötigt es in Europa Emissionsrechte. Ein CO2-Zertifikat berechtigt dazu, innerhalb einer bestimmten Periode eine Tonne Kohlendioxid zu produzieren. Am Ende des festgelegten Zeitraums müssen bestimmte Unternehmen nachweisen, dass ihre gesamten Emissionen durch Zertifikate abgedeckt sind. Diese Zertifikate müssen sie über den Europäischen Emissionshandel kaufen – es entstehen den Unternehmen also zusätzliche Kosten. Die Menge der CO2-Rechte ist begrenzt.

Hier setzen Organisationen wie Compensators an. Die Organisation kauft mittels Spenden Verschmutzungs-Zertifikate aus dem Europäischen Emissionshandel und legt diese dauerhaft still. Für jedes Recht, dass man über die Organisation stilllegt, stehen Unternehmen weniger zur Verfügung. Sie dürfen also weniger CO2 ausstoßen.

Fazit: Jein zur CO2-Kompensation

Die CO2-Kompensation kann dafür sorgen, dass verschiedenste Klimaschutzprojekte weiterkommen, Moore vernässt und Wälder aufgeforstet werden. Doch die emittierten Gase völlig ausgleichen, wie viele Anbieter es versprechen, kann der Kompensationsbeitrag häufig nicht. Am besten kommt man von diesem Gedanken ab und setzt sich andere Ziele, nämlich: Seriöse Klimaschutzprojekte zu unterstützen und möglichst wenige Treibhausgase zu emittieren. Das geht zum Beispiel so: Weniger fliegen, öfter mal Mitfahrgelegenheiten nehmen, ein bisschen veganer werden.

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