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Treibhausgas SF6: Klimakiller in Windrädern?

Die Schaltanlagen in Windrädern verwenden in der Regel das Treibhausgas SF6.
Foto: CC0 Public Domain / Pixabay - meineresterampe

Ohne Windenergie kann eine schnelle Energiewende nicht funktionieren, darin sind sich Expert:innen einig. Doch ist Windenergie tatsächlich so klimafreundlich wie gedacht – oder macht das Treibhausgas SF6 in den Schaltanlagen der Windräder die positiven Eigenschaften zunichte?

Schwefelhexafluorid, kurz SF6, sorgte vergangene Woche für Aufsehen: Das Gas wird seit Jahren in Windrädern verbaut – ist aber als Treibhausgas tausendfach schädlicher für das Klima als CO2. Die Tagesschau titelte sogar „Klimakiller in Windkraftanlagen“. Doch stimmt das? Wir haben uns die Problematik genauer angeschaut.

SF6 in Windkraftanlagen – ein notwendiges Treibhausgas oder überholt?

Windkraft ist eine umweltfreundliche und ressourcenschonende Technologie, um Energie aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen. Dabei wandeln On- sowie Offshore-Windräder (also Windräder an Land und auf dem Wasser) Wind in Energie um.

In Deutschland haben wir unser Potenzial für Windkraft noch längst nicht ausgeschöpft; Energie-Experte Prof. Volker Quaschning etwa geht davon aus, dass wir auf etwa zwei Prozent der Landfläche über 60 Prozent unseres Strombedarf decken könnten. Davon sind wir noch weit entfernt. Doch die Ampel-Koalition möchte den Ausbau der Windkraftanlagen beschleunigen.

Fünf häufige Einwände gegen Windräder haben wir uns bereits näher angeschaut. Zuletzt kam in der Debatte um den Windkraft-Ausbau die Sprache zudem immer wieder auf das Treibhausgas SF6. SF6 zählt ebenso wie Stickstofftrifluorid (NF3) sowie voll- und teilfluorierte Kohlenwasserstoffe (FKW und HFKW) zu den fluorierten Treibhausgasen. Diese wirken sich deutlich stärker auf das Klima aus als CO2. SF6 ist das stärkste aller Treibhausgase, laut Statistischem Bundesamt trägt es 23.500-mal stärker zum Treibhauseffekt bei als CO2.

Schwefelhexaflourid: Eigenschaften und Verwendung

Und dennoch wird das Gas in der Industrie verwendet – Tendenz steigend. Am häufigsten wird SF6 für optische Glasfaserkabel benutzt, gefolgt von der Verwendung als Ätzgas in der Halbleiterindustrie. Auch die Elektroindustrie und Energieversorger nutzen SF6, letztere auch für Windräder.

Und genau das kritisieren viele Menschen im Augenblick, denn sie fürchten: Die eigentlich grüne Windkraft trägt durch das verwendete SF6 deutlich stärker zum Klimawandel bei als bisher angenommen.

SF6 in Windrädern: Wie bedenklich ist das?

Windkraftanlagen benötigen – ebenso wie große Solaranlagen – elektrische Schaltanlagen. Eine aktuelle Folge der Sendung Plusminus erklärt, dass SF6 die Leitungen in diesen Schaltkästen isoliert und verhindert, dass beim Schalten Lichtbögen entstehen. Dadurch können die Schaltanlagen verhältnismäßig klein gebaut werden.

Der Vorteil ist also klar, doch Umweltschutzverbände wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisieren die Verwendung des Treibhausgases. Dorothee Saar von der DUH erklärt Plusminus gegenüber: „Dieser Stoff hat eine sehr lange Haltbarkeitszeit: 3.000 Jahre. Das heißt, er wird sich über die Zeit immer weiter in der Atmosphäre anreichern und nicht abbauen.“ Mit den Ausbauzielen der aktuellen Bundesregierung fürchtet die Umweltschützerin eine noch verstärkte Nutzung von SF6 und fordert, gegenzusteuern.

Wie viel SF6 landet in der Atmosphäre?

Doch landet das klimaschädliche SF6 überhaupt in der Luft? Laut Statistik gelangen in Deutschland nur geringe Mengen von SF6 in die Atmosphäre. Denn: Das Gas wird innerhalb der Schaltanlagen von beispielsweise Windkraftanlagen in einem geschlossenen System verwendet und vorerst nicht freigesetzt. Erst, wenn die Windräder Lecks haben oder demontiert werden, entweicht der Klimakiller SF6 in die Luft.

In den Schaltanlagen von Windrädern wird das Treibhausgas SF6 als Isoliermittel verwendet.
In den Schaltanlagen von Windrädern wird das Treibhausgas SF6 als Isoliermittel verwendet. (Foto: CC0 Public Domain / Pixabay - PeterDargatz)

Laut Statistischem Bundesamt wurden 2020 nach Berechnungen des Umweltbundesamtes rund drei Millionen Tonnen CO2-Äquivalente SF6 freigesetzt. Das entsprach einem Anteil von 0,4 Prozent an den gesamten Treibhausgasemissionen der Bundesrepublik. Das klingt nicht gerade viel. Dennoch bleibt Deutschland damit der größte SF6-Emittent in Europa.

Wichtig zu wissen: Diese Zahlen basieren auf Daten der Industrie; genauer auf Daten von Unternehmen, die Schwefelhexafluorid herstellen, importieren, exportieren oder in größeren Mengen im Inland abgeben.

Wissenschaftler:innen mehrerer Universitäten und Behörden haben nachgemessen und ihre Daten für das Jahr 2021 legen nahe, dass der tatsächliche Anteil von SF6 in der Luft deutlich höher ist als der, der gemessen wurde. Demnach könnte weltweit etwa doppelt so viel SF6 in die Luft gelangen wie gemeldet.

Unternimmt die Industrie bereits etwas dagegen? Beim Abbau von Windrädern gibt es eine freiwillige Selbstverpflichtung der Hersteller, das Klimagas chemisch zu vernichten oder zu recyceln und die Recyclingmengen zu erfassen. Eine gesetzliche Regelung fehlt bislang (unten mehr dazu).

Ein Problem beim SF6-Recycling: Die Besitzer:innen eines Windrades müssen sich selbstständig um das Recycling kümmern. Eine Studie des Umweltbundesamtes kam deshalb bereits 2018 zu dem Ergebnis, dass das Monitoring des SF6-Recyclings unzureichend sei.

Gibt es Alternativen zu SF6 in Windrädern?

Auf dem deutschen Markt gibt es laut Plusminus derzeit keine Hersteller, die SF6-freie Windkraftanlagen anbieten. Das liege aber nicht daran, dass die Technik dazu noch nicht entwickelt ist. Im Gegenteil, für Offshore-Windräder werden bereits Alternativen zu SF6 angefertigt. Die Schaltanlagen stecken dann in Vakuumflaschen, bei denen Luft statt SF6 die Isolierung sicherstellt.

Die Technik funktioniert laut Fernsehbeitrag für mittlere Spannung und Hochspannung, bedeutet jedoch mehr Materialeinsatz sowie größere Anlagen und damit höhere Produktionskosten.

Plusminus kommt zum Schluss: Rein technisch kann SF6 problemlos durch Luft ersetzt werden und es könnten noch klimafreundlichere Windräder gebaut werden. Der Grund für die weitere Nutzung von SF6 seien die vergleichsweise geringen Kosten.

Was braucht es für SF6-freie Windräder?

Wenn der Preis nicht für SF6-Alternativen spricht, könnte eine gesetzliche Regelung nachhelfen. Noch gilt die sogenannte F-Gase-Richtlinie; eine EU-Richtlinie, die derzeit in Überarbeitung ist. Laut der Richtlinie dürfen Hersteller noch immer SF6 in Windrädern verbauen, auch wenn die Klimafolgen schon lange bekannt sind. Der neue Gesetzentwurf enthält zwar ein Verbot, allerdings mit langen Übergangsfristen: Erst ab 2030 soll SF6 in Schaltanlagen demnach verboten sein. Umweltschützer:innen wie jene vom UBA sprechen sich längst für ein solches Verbot aus.

Utopia meint: Windkraft ja, aber ohne SF6!

Für die DUH ist klar: Nur mit einer Gesetzesvorgabe kommen ausreichend SF6-freie Schaltanlagen auf den Markt, die Technik hierzu gibt es bereits. Klar ist für uns auch: Windkraft ist eine Energiequelle, die uns unabhängig(er) von fossilen Energieträgern macht und ein großes Klimaschutz-Potenzial hat. Bereits 2018 konnten stromerzeugende Windräder an Land und auf See in Deutschland zusammengenommen 76,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einsparen (Quelle: UBA).

Die aktuelle Debatte um das verwendete SF6 in Windkraftanlagen ist berechtigt – und sogar wünschenswert. Schließlich profitieren wir alle davon, wenn Windräder künftig ohne Treibhausgase gebaut werden. Politik und Hersteller sollten hier schnellstmöglich nachbessern. Die Kritik an SF6 sollte aber keinesfalls dazu führen, dass wir Windkraft per se schlecht reden. Zumal die SF6-Emissionen aus elektrischen Schaltanlagen wie in Windrädern nur einen kleinen Teil der gesamten SF6-Emissionen ausmachen.

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