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Schulfach Glück bringt Schülern bei, wie man zufrieden lebt

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Foto: Utopia/ Katharina Schmidt

An immer mehr deutschen Schulen wird das Pilotprojekt „Schulfach Glück“ angeboten. In dieser Unterrichtsstunde liegt der Fokus nicht auf guten Noten, sondern auf Selbstbetrachtung: Kinder lernen, die eigenen Gefühle besser zu verstehen und so ein zufriedeneres Leben zu führen.

Als Stephan Ittner das Klassenzimmer der 7a betritt, spürt er sofort neugierige Blicke auf sich. Er begrüßt die fünfzehn Schüler, während er einen großen Holzwürfel auf den Boden legt und ein rundes Holzbrett darauf ausbalanciert. Dann ruft er den Kindern zu: „Stellt euch bitte alle auf das Brett. Verteilt euch aber so, dass es den Boden nicht berührt.“

Die Schüler kichern und beginnen, sich auf der Scheibe zu verteilen: Einige rufen Kommandos durch den Raum, andere versuchen auf eigene Faust, eine geeignete Position zu finden. Sie merken schnell, dass sie zusammenarbeiten müssen, um die Aufgabe zu lösen.

Bald tummelt sich die ganze Klasse auf dem Holzbrett, das unter ihren aufgeregten Rufen leicht hin- und herschwankt. Nur ein leicht übergewichtiger Junge will nicht mitmachen. Er meint, er würde die Übung ruinieren. Einige Klassenkameraden versuchen, ihn zu überreden, aber er hört nicht auf sie. Ittner drängt den Jungen nicht – Zwang gehört nicht zu seinen Unterrichtsmethoden.

„Schulfach Glück“ gehört an immer mehr Schulen zum Stundenplan

Stephan Ittner ist Lehrer für Schulfach Glück – eine alternative Unterrichtsstunde, die an immer mehr Schulen angeboten wird. Ernst Fritz-Schubert, der Erfinder des Konzepts, unterrichtete 2007 die erste Glück-Klasse. Inzwischen wird das Fach bereits an 43 deutschen und 129 österreichischen Schulen angeboten. Auch in Italien und der Schweiz haben einige Klassen das Konzept übernommen.

Anders als in vielen anderen Fächern müssen Schüler in „Glück“ nicht nur zuhören, Fragen beantworten und von der Tafel abschreiben. Stattdessen lassen Ittner und seine Kollegen die Kinder Unterrichtsthemen selbst erarbeiten – durch spielerische Übungen und anschließende Diskussion. Im Laufe des Schuljahres sollen die Schüler vor allem vier Fragen für sich selbst beantworten: Wer bin ich? Was brauche ich? Was kann ich? Was will ich?

Eine Schulfach-Glück-Stunde beginnt meist mit einer gemeinsamen Übung. Dann spricht der Lehrer mit seinen Schülern darüber, wie sie die Aufgabe gelöst haben – oder woran sie gescheitert sind. Kam es zu Streit? Haben die Kinder zu früh aufgegeben? Woran lag das und wie kann man es beim nächsten Mal besser machen?

Tests gibt es keine – stattdessen führen die Kinder ein „Glückstagebuch“, in das sie ihre Gedanken über sich selbst und ihre Ziele eintragen. Je nach Schule kann das Heft auch benotet werden.

Glück-Schüler sind besser in die Klasse integriert

Ob der Unterricht die Schüler wirklich „glücklicher“ macht, ist auf den ersten Blick schwer zu erkennen. Alex Bertrams, Professor für pädagogische Psychologie, hat 2012 untersucht, ob Schüler durch den Unterricht eine Veränderung in sich ausmachen können. Dazu befragte er 106 Berufsschüler; nur die Hälfte hatte das neue Fach besucht.

Das Ergebnis: Die Schüler mit Schulfach Glück bezeichneten sich selbst als „glücklicher“ oder besser in die Klasse integriert. Einige gaben auch an, öfter positiv zu denken, als früher.

Das soll natürlich nicht heißen, dass die Hälfte der Berufsschüler seitdem in einem Zustand dauerhafter Euphorie lebt. Das Schulfach vermittelt eine andere Form von Glück – das weiß auch Inkeri Lüchem, die ebenfalls als Glück-Lehrerin arbeitet. „Früher dachte ich immer, wer glücklich ist, muss immer positiv denken und darf nur Liebe und Freude empfinden.“

In Wahrheit gehe es aber darum, mit dem eigenen Leben auf lange Sicht zufriedener zu sein. Um das zu erreichen, braucht man das richtige Werkzeug. Dies will Lüchem ihren zukünftigen Schülern vermitteln.

Um auf lange Sicht zufriedener zu werden, beschäftigen sich Schüler auch intensiv mit ihren eigenen Gefühlen. Wenn sie sich schlecht fühlen, lernen sie innezuhalten und den Grund für das negative Gefühl zu suchen, anstatt ihre schlechte Laune an jemand anderem auszulassen.

Das stärkt auch die Dynamik innerhalb einer Klasse. Laut Ittner bilden sich im Laufe des Schuljahres immer weniger „Cliquen“ innerhalb seiner Glück-Klassen. Durch die Übungen lernen die Kinder einander besser kennen, es kommt zu weniger Streitereien untereinander.

„Meist machen nicht alle sofort mit“,  erklärt Ittner. „Im Laufe des Schuljahres lassen sich aber immer mehr Schüler auf die Übungen ein.“ Bei einzelnen merke man am Ende des Jahres deutlich, dass sie selbstbewusster wirken oder sich nicht mehr ausgegrenzt fühlen. Nur wenige würden sich das ganze Schuljahr über weigern, ernsthaft am Unterricht teilzunehmen. Das Klassenklima verbessere sich aber in fast jeder seiner Klassen deutlich.

Bessere schulische Leistungen: Schulfach Glück hilft Kindern beim Lernen

„Durch Glück-Unterricht können sich auch schulische Leistungen verbessern“, meint  Glücksforscher Prof. Dr. Karlheinz Ruckriegel. Wer zufrieden ist, arbeite besser und effizienter. „In der Arbeitswelt ist das längst bekannt. Deshalb achten viele Firmen zunehmend darauf, dass sich Mitarbeiter im Job wohlfühlen.“

Durch die von Pädagogen und Psychologen konzipierten Übungen können Schüler die Lerninhalte zudem besser behalten. Laut Ferdinand Kosak, Experte für pädagogische Psychologie, sei dieses „Lernen durch Erleben“ die natürlichste Art des Lernens. Beim Glück-Unterricht würden mehrere Sinne der Schüler angesprochen – sie nähmen die Inhalte zum Beispiel bildlich, verbal und haptisch wahr. Dadurch könne das Hirn die Inhalte besser abspeichern und sie können Glück-Techniken leicht in ihren Alltag integrieren.

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Im Zuge der Ausbildung zum Glück-Lehrer machen auch Lehramtsstudenten bei den spielerischen Übungen mit. (Utopia/ Katharina Schmidt)

Ein paar Monate später fragt Ittner seine siebte Klasse, welche Übung aus den bisherigen Unterrichtsstunden sie gerne wiederholen würden. Der leicht übergewichtige Junge meldet sich. Er wünscht sich die Balanceübung auf dem Brett. Ein paar Tage später steht die ganze Klasse also erneut auf der wankenden Vollholzplatte – auch der Junge selbst. Viele Kinder kichern, einige koordinieren. Und schließlich stehen sie, halten die Luft an. Das Brett zittert auf dem Würfel, schwankt leicht von links nach rechts – aber es berührt den Boden nicht.

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