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Menschen lebten jahrelang unter Glaskuppel: Was aus der Biosphere 2 wurde

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Foto: Arizona Board of Regents/The University of Arizona

Zwei Jahre haben acht Bionaut:innen in der Biosphere 2 verbracht. Sie wollten wissenschaftliche Durchbrüche erzielen, scheiterten aber an der Realität, denn: Unsere Erde lässt sich nicht so leicht nachbilden. Über das umstrittene Experiment der 90er Jahre – und was heute aus der Biosphere 2 geworden ist.

 „Das bin ich, wie ich in Biosphere 2 gerade Pizza mache“, erinnert sich Jane Poynter. Sie zeigt zwei Bilder einer junge Frau, erst in einem kleinen Getreidefeld, dann mit viel Grünzeug in der Hand, umringt von Ziegen. Die Frau wirkt ruhig, aber auch erschöpft, vielleicht wegen der anstrengenden Arbeit, die sie gerade ausführt. „Ich muss das Weizen ernten, um den Teig zu machen. Und dann muss ich die Ziegen melken und füttern, um den Käse herzustellen“, erklärt Poynter weiter. In der Biosphere 2 brauchte sie vier Monate, um eine Pizza zu machen. „Hier in der Biosphäre 1 brauche ich circa zwei Minuten, weil ich nur zum Telefon greifen muss“.

Diese Erinnerungen, die Jane Poynter 2009 bei einem Ted Talk mit ihrem Publikum teilt, klingen nach finsterem Mittelalter – tatsächlich sind sie aber nur etwa 30 Jahre alt. Poynter war einer von acht Menschen, welche am 26. September 1991 die „Biosphere 2“ betraten, um erst 2 Jahre später wieder aus ihr hinauszusteigen. So lautete zumindest der Plan.

Tatsächlich musste Poynter bereits kurz nach Start des Experiments außerhalb der Biosphäre 2 behandelt werden, weil sie sich an der Dreschmaschine eine Fingerkuppe abgeschnitten hatte. Und Pizza und Dreschmaschinen waren nichts im Vergleich zu den Herausforderungen, die die sogenannten „Bionaut:innen“ noch erwarten würden.

Jane Poynter "bäckt Pizza" in Biosphere 2.
Jane Poynter „backt Pizza“ in Biosphere 2. (Screenshot: YouTube/ TED)

Was ist die Biosphere 2?

Bei der zweiten Biosphäre (die erste ist die, in der wir alle leben) handelt es sich um einen großen luftdicht versiegelten Komplex mit 6.500 Glaspanelen. Auch die Unterseite der Biosphere 2 ist komplett von der Umwelt abgeschnitten, sie besteht aus 500 Tonnen Edelstahl. Das Gebäude bot neben den Bionaut:innen auch 3.800 anderen Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum und beherbergte zum Beispiel eine kleine Wüste und sogar eine Imitation des Ozeans. All diese Elemente sollten ein geschlossenes System bilden, das unserer Erde möglichst nahekommt. Sauerstoff sollte im Inneren zum Beispiel durch Pflanzenphotosynthese erzeugt werden, von „außen“ sollte der Komplex nur Energie erhalten.

Der Nutzen einer solchen Technologie wäre immens gewesen: Nicht nur hätten wir unsere erste Biosphäre besser verstehen gelernt und vielleicht Lösungen für Probleme wie Luft- und Umweltverschmutzung ableiten können. Das Experiment wurde damals auch gesehen als ein erster Schritt in Richtung der Besiedelung fremder Planeten.

Den Bionaut:innen ging nach und nach die Luft aus

Die Biosphere 2 sollte also eine Art Mini-Erde sein, die sich selbst versorgt. Aber hat das auch geklappt?

„Es hat sich rausgestellt, dass wir Sauerstoff verlieren“, erinnert sich Jane Poynter. „Ziemlich viel Sauerstoff.“ Die Crew war sich dessen bewusst und setzte alles daran, den Kohlenstoffgehalt in der Luft zu senken, zum Beispiel, indem sie „wie verrückt“ neue Pflanzen anpflanzte. Auch Böden wurden nicht mehr beackert, so Poynter, damit keine Treibhausgase in die Luft entweichen konnten. Aber es half nichts. Der Sauerstoffgehalt in der Biosphere 2 sei weiter gesunken – von 21 Prozent auf 14,2 Prozent.

Das machte den Bewohner:innen der Mini-Erde natürlich zu schaffen. Die Crew litt an Schlafapnoe. Das bedeutet: Sie wachten nachts auf, weil sie kurz aufgehört hatten, zu atmen.  Ein Teammitglied war ein Arzt, welcher die übrigen Teilnehmer:innen regelmäßig untersuchten sollte. Aber laut Poynter hatte er am meisten Probleme mit dem Sauerstoffmangel. „Eines Tages konnte er keine Zahlenreihe zusammenzählen. Und da war es an der Zeit für uns, Sauerstoff reinzulassen“.

Wo der ursprüngliche Sauerstoff abgeblieben ist, dazu gibt es verschiedene Ansichten. In ihrem Ted Talk erklärt Poynter, das Team habe zu viel Kohlenstoff in Form von Kompost in den Boden gebracht. Dieser wurde zersetzt und nahm Sauerstoff aus der Luft, was CO2 in die Luft entließ. Dieses habe sich im Beton gesammelt. John Adams, ein weiterer Bionaut, führt es gegenüber dem Spiegel auf die Mikroben in den Böden des simulierten Tropenwaldes und in den Gewächshäusern zurück. Diese seien viel aktiver gewesen als vorher angenommen. Außerdem seien die Pflanzen noch nicht alt und leistungsfähig genug gewesen, um den Kohlendioxidüberschuss in der Atmosphäre abbauen zu können.

Dazu kamen andere Probleme, wie unter anderem die New York Times berichtet: Die Ernte fiel anfangs wegen schlechter Witterung nicht so groß aus wie erwartet. Irgendwann starben Bienen und Kolibris, weshalb Pflanzen nicht mehr bestäubt wurden. Nahrung wurde knapp. Fadenwürmer und Milben machten sich über das Erntegut her. Schaben breiteten sich aus. Auch unter den Crewmitglieden soll es Streit gegeben haben. John Adams berichtet von einer Spaltung in zwei Gruppen, die kaum mehr miteinander sprachen.

Wie wissenschaftlich war das Experiment wirklich?

“Allein die Tatsache, dass die selbe Anzahl an Menschen wieder rauskam, die reingegangen war, ist ein Triumph,” erklärte Mark Nelson, ein weiterer der acht Bionaut:innen, gegenüber dem Guardian. Die Gruppe musste ohne Frage einiges durchmachen und hart für ihr Überleben arbeiten. Doch sie hatte auch Hilfe.

Die New York Times und andere Medien berichten von geheimen Verstecken für Lebensmittel und andere Vorräte. Die Crew soll zweimal monatlich Lieferungen erhalten haben, auch ein Gerät, welches CO2 aus der Luft filtere, sei insgeheim eingebaut worden. All dies reichte wohl nicht, um das Leben in der zweiten Biosphäre angenehm zu gestalten – aber in den Medien wurde die Seriosität des wissenschaftlichen Experiments stark angezweifelt. Von einem „in sich geschlossenen“ System konnte jedenfalls keine Rede mehr sein. Auch Wissenschaftler:innen äußerten sich skeptisch – so auch der Biochemiker David Stumpf von der Universität von Arizona im Frühjahr 1992: „Ökologisch betrachtet ist das Projekt Biosphere 2 wirklich sehr interessant. Nur wissenschaftlich ist es eben wertlos.“

 Viele der gesammelten Daten sind laut Spiegel zudem inzwischen verschollen, weil sie nicht richtig archiviert wurden.

Was ist aus der Biosphere 2 geworden?

Das erste Experiment mit Bionaut:innen ist nicht gut in Erinnerung geblieben. Und auch ein zweiter Versuch, 1994, wurde frühzeitig abgebrochen. Danach wechselte das Areal der Biosphere 2 mehrmals den Besitzer.

Und heute? Wird wieder Forschung betrieben unter den gigantischen Glaskuppeln. Aktuell wird die Anlage von der University of Arizona verwaltet. Besucher:innen können das Gelände besichtigen. Vor allem aber dient es Wissenschaftler:innen für Experimente – diesmal in kleineren Rahmen.

Leo”, oder „Landscape Evolution Observatory“, ist eines der aktuellen Projekte. Es besteht aus drei künstlichen Landschaften, die auf ihrer Oberfläche sowie in und über sich mit 1.800 Sensoren und Geräten zur Probeentnahme versehen sind. So lassen sich Wasser-, Kohlenstoff- und Energiezyklen beobachten. Die Wissenschaftler:innen wollen durch LEO besser verstehen, wie sich der Klimawandel auf Wasser und Ökosysteme auswirkt, vor allem in trockenen Milieus.

Unsere Erde ist zu einzigartig, um leichtfertig mit ihr umzugehen

Jane Poynter hat durch ihre Zeit in der Biosphere 2 nicht nur Pizza wertschätzen gelernt. „Ich hatte mein ganzes Essen selbst angebaut. Jetzt hatte ich keine Ahnung, was in meinem Essen war und wo es herkam. Ich kannte meist nicht mal die ganzen Namen der Dinge, die in meinem Essen steckten.“ Und so habe sie langsam aus den Augen verloren, wo sie war, in dieser großen ersten Biosphäre, in der wir alle leben.

In der Biosphere 2 habe sie verstanden, dass sie einen großen Einfluss auf ihre Biosphäre hatte, und die Biosphäre auf sie. Für uns Nicht-Bionaut:innen hat Poynter folgenden Tipp: „Wenn du aus den Augen verlierst, wo du dich in dieser Biosphäre befindest, oder wenn du es schwer findest, eine Verbindung herzustellen, schlage ich vor: Atme tief durch.“ Denn was steckt in unserem Atem? „Vielleicht das CO2 deines Sitznachbarn. Vielleicht ein bisschen Sauerstoff von Algen am Strand hier in der Nähe. […] Es kann aber auch sein, dass in deinem Atem Kohlenstoff von Dinosauriern steckt. Und der Kohlenstoff, den du jetzt ausatmest, kann vielleicht im Atem deiner Urururenkel sein.“

Utopia meint: Ob man in Biosphere 2 nun ein Forschungsprojekt oder einen Medienstunt sieht: Das Scheitern des Experiments zeigt uns, wie komplex und einzigartig unsere Erde ist. Zu komplex, um sie mit unserem bisherigen Wissen nachzustellen. Und zu wertvoll, um sie weiter wissentlich zu zerstören. Wir haben keinen Planeten B und können uns in nächster Zeit auch keinen schaffen – darum ist es essentiell, dass wir unsere erste Biosphäre erhalten.

Hier kannst du den Ted Talk von Jane Poynter im Original ansehen:

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