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Im Alter geistig fit bleiben: „Ab 30 sollte man drei Dinge beachten“

Geistig fit im Alter: Ein Faktor ist übergeordnet wichtig
Foto: Samira Schulz, CC0 Public Domain - Unsplash/ Danie Franco

Mit dem Alter nimmt die geistige Fitness ab – in manchen Fällen stark. Dem sollte man schon früh vorbeugen, warnt ein Altersmediziner gegenüber Utopia. Er hält einen Faktor für übergeordnet wichtig und empfiehlt drei Maßnahmen.

In Deutschland leben rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz. Die Krankheit ist eine allgemeine Bezeichnung für verminderte geistige Fähigkeiten, häufig zählt dazu Gedächtnisverlust. Auch Sprachfähigkeiten, Konzentrationsvermögen und die Fähigkeit, logisch zu denken, können beeinträchtigt sein. Gibt es eine Möglichkeit, dem vorzubeugen?

Johannes Trabert stellt im Gespräch mit Utopia einige Methoden vor, um die geistige Fitness im Alter positiv zu beeinflussen. Der Mediziner ist Neurologe und Geriater (also Spezialist für Altersmedizin) und Oberarzt am Agaplesion Markus Krankenhaus in Frankfurt am Main. Dazu leitet er die Nachwuchsgruppe „Junge Geriatrie“ der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG). Bereits ab dem 30. Lebensjahr sollte man Trabert zufolge mit der Vorsorge beginnen.

Im Alter geistig fit bleiben: Vorbeugen ist möglich

Utopia: Wie viel Vergesslichkeit im Alltag ist normal?

Johannes Trabert: Wir alle kennen das. Man geht in einen anderen Raum, um etwas zu holen. Dann kommt was dazwischen, man kommt im anderen Raum an und weiß nicht mehr, was man eigentlich wollte. Manchmal fällt es einem wieder ein, manchmal nicht, manchmal erst eine halbe Stunde später. Eine gewisse Vergesslichkeit im Alltag ist normal. Und im Alter nimmt Vergesslichkeit zu, dann spricht man von Altersvergesslichkeit. In der Regel ist sie nicht krankhaft.

Utopia: Wann wird Vergesslichkeit krankhaft?

Trabert: Zum Beispiel, wenn man sich verirrt, sobald man die eigene Wohnung verlässt. Oder wenn man vergisst, welche Tabletten man nehmen muss. Natürlich können auch jüngere Menschen mal etwas vergessen. Es kommt darauf an, wie stark die Vergesslichkeit unseren Alltag beeinflusst. Tut sie das stark, spricht das für eine Demenz.

Utopia: Was verursacht eine Demenz?

Trabert: Eine Demenzerkrankung hat verschiedene Ursachen. Bei der verbreitetsten Demenz, der Alzheimer-Demenz, gibt es eine gewisse genetische Komponente, es fließen aber auch Umweltfaktoren ein und andere Faktoren, die man selbst beeinflussen kann. Doch es gibt auch andere Demenzen, die zum Beispiel durch Schlaganfälle entstehen können. Hier zählen zum Beispiel Bluthochdruck, Rauchen oder mangelnde Bewegung zu Risikofaktoren.

Utopia: Und durch was entsteht im Gegensatz dazu die „normale“ Altersvergesslichkeit?

Trabert: Durch einen Abbau in bestimmten Hirnregionen, die für die Erinnerung zuständig sind. Das ist Teil des Alterungsprozesses. Dieser kann im normalen Rahmen ablaufen oder überproportional, durch krankhafte Prozesse.

Utopia: Ist es möglich, Vergesslichkeit im Alter zu verringern?

Trabert: Ja. Zwar kann man nicht alle Faktoren beeinflussen, genetische Faktoren zum Beispiel nicht. Aber es ist durch Studien gut belegt, dass man dazu beitragen kann, Vergesslichkeit im Alter zu verringern.

Utopia: Wann sollte man damit anfangen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen?

Trabert: Mit der geistigen Fitness ist es wie mit der Vermögensvorsorge: Lieber früh anfangen und moderat investieren als spät sehr viel. Das Altern beginnt früh – ab dem 30. Lebensjahr. Ab diesem Zeitpunkt sollte man auf drei Dinge achten: regelmäßiges körperliches und geistiges Training, die eigene Ernährung und den sozialen Austausch. Hier kann man früh gesunde Gewohnheiten entwickeln, die man dann ein ganzes Leben lang beibehält. Das fällt leichter, als beispielsweise erst mit 60 Jahren den Fleischkonsum einzuschränken.

Altersmediziner: „Tanzen steigert die Gedächtnisfunktion“

Utopia: Welchen Sport braucht es, um geistig fit zu bleiben?

Trabert: Ausdauersport hat erwiesenermaßen einen positiven Einfluss auf chronische Hirnschädigungen oder auf Schädigungen, die als Folge von Schlaganfällen auftreten. Auch kann er das Risiko für kleine, chronische Schlaganfälle reduzieren. Auch Tanzen steigert die Gedächtnisfunktion. Denn beim Tanzen gibt es keine Routine, man muss sich an seine Umgebung anpassen. Von Tanzen und Ausdauersport profitiert zudem die Plastizität des Gehirns, also die Eigenschaft des Gehirns, sich durch Training zu verändern. Diese Eigenschaft ist eine wichtige Voraussetzung für unser Gedächtnis.

Utopia: Und wie viel Bewegung ist ausreichend, um die geistige Fitness zu trainieren?

Trabert: Lieber wenig Sport als gar kein Sport. Aber als Daumenregel würde ich mindestens drei Einheiten in der Woche empfehlen, idealerweise nicht unter 30 Minuten.

Utopia: Wie funktioniert geistiges Training?

Trabert: Früher wusste man noch alle Telefonnummern auswendig, heute nicht mehr. Früher konnte man noch allein mit dem Auto von Berlin nach Frankfurt finden, heute ist man auf das Navi angewiesen. Indem man auf das Navi verzichtet, doch die eine oder andere Telefonnummer auswendig lernt oder andere kleine Denksportaufgaben macht, kann man das eigene Gedächtnis trainieren. Dabei ist es wichtig, zu variieren. Nicht immer nur Kreuzworträtsel machen, sondern auch mal ein Sudoku. Mal mit der linken statt der rechten Hand Zähneputzen. Kurz gesagt: die Routine durchbrechen.

Utopia: Was halten Sie von KI-Programmen wie ChatGPT? Denken Sie, solche technischen Entwicklungen werden unsere geistige Fitness negativ beeinflussen?

Trabert: Wie mit allen technischen Entwicklungen wird es darauf ankommen, wie wir damit umgehen. Sicherlich werden ChatGPT oder andere Programme manche unserer Aufgaben übernehmen. Ich denke aber, dass dies nicht unbedingt nachteilig sein muss. Im Idealfall wird unsere geistige Produktivität dadurch sogar gesteigert.

Utopia: Inwiefern kann ChatGPT unsere geistige Produktivität steigern?

Trabert: Beispielsweise ist die Qualität der Ergebnisse, die ChatGPT liefert, abhängig von der Qualität der Prompt. Eine Prompt ist die Fragestellung oder Aufgabe, die ein Nutzer vorgibt. Nur wenn man eine Aufgabe gut strukturiert, bekommt man ein gutes Resultat. Damit ist die eigene intellektuelle Vorarbeit unabdinglich. Gleichzeitig liefert ChatGPT schneller Antworten, als das mit bisherigen Tools möglich war. Komplexes Denken ist also weiterhin nötig, aber wir gelangen schneller zu Ergebnissen. Selbstverständlich müssen wir darauf achten, weiterhin denkende Menschen zu bleiben, aber dies sind wir ja auch mit der Erfindung des Smartphones geblieben.

Geistig fit durch Ehrenamt

Utopia: Sie hatten sozialen Austausch angesprochen. Wieso ist dieser so wichtig?

Trabert: Jemand, der viel zuhause ist und wenige Interaktionen hat, erhält weniger geistigen Input. Das erhöht das Risiko für eine Demenzerkrankung.

Utopia: Manche Menschen haben weniger soziale Kontakte als andere. Was können sie tun?  

Trabert: Ich empfehle das Ehrenamt. Dieses wirkt sich nicht nur positiv auf die Hirnleistung aus, sondern auch auf die Stimmung. Depressionen und Demenzen treten oft zusammen auf. Menschen, die sich ehrenamtlich betätigen, sind seltener depressiv.

Utopia: Weshalb gerade das Ehrenamt?

Trabert: Man bleibt durch die jeweilige Aufgaben sowohl körperlich als auch geistig aktiv. Meiner Ansicht nach ist jedoch der Sinn und die Dankbarkeit, die man durch ehrenamtliche Tätigkeit erfährt, am wichtigsten. Gerade älteren Menschen fehlt dies oft. Ein weiterer positiver Effekt sind die Kontakte, die man über das Ehrenamt knüpft. Gerade ältere Menschen sind zunehmend sozial isoliert, haben keine Familie mehr. Das fördert erwiesenermaßen die Vergesslichkeit. Aber mit sozialen Kontakten kann man dem entgegenwirken.

„Ein Vitamin-B12-Mangel ist eine mögliche Ursache für Demenzen“

Utopia: Welche Ernährung ist gut für die geistige Fitness?

Trabert: Konsens besteht bei der mediterranen Diät. Damit sind nicht Pizza und Spaghetti gemeint, sondern viel Gemüse und Olivenöl, tendenziell wenig Fleisch und eher Fisch. Studien zufolge ist diese Ernährung mit weniger Gebrechlichkeit und weniger Diabetes verbunden sowie mit besseren Cholesterin- und Blutdruckwerten, einer besseren Herzgesundheit und einer besseren Hirnleistung.

Utopia: Also ist weniger Fleisch und viel Gemüse zu essen gut fürs Gehirn?

Trabert: Ja, allerdings sollte man dabei auf die eigene Nährstoffzufuhr achten. Wenn man stark auf tierische Produkte verzichtet, muss man gewisse Nährstoffe gegebenenfalls ersetzen. Das betrifft vor allem Calcium, Vitamin D und Vitamin B12.

Utopia: Also kann es sich positiv auf mein Gedächtnis auswirken, wenn ich Vitamin B12 supplementiere?

Trabert: Ja, aber nur wenn ein Mangel vorliegt. Vitamin B12 ist für die Gedächtnisfunktion sehr wichtig, ein Vitamin-B12-Mangel ist eine mögliche Ursache für Demenzen. Wenn eine Demenz auftritt, überprüfen wir Mediziner in der Regel den B12-Wert im Blut mit als erstes. Wenn dieser reduziert ist, steuern wir gegen. Diese Art von Demenz lässt sich glücklicherweise wieder umkehren, indem man B12 durch Spritzen oder Tabletten zuführt.

Utopia: Sind Veganer:innen besonders demenzgefährdet?

Trabert: Auch wer Fleisch isst, kann einen Vitamin-B12-Mangel haben, zum Beispiel durch eine gestörte Aufnahme im Magen. Wenn man sich vegan oder vegetarisch ernährt, sollte man darauf achten, ausreichend B12 zu sich zu nehmen und den eigenen Wert gegebenenfalls beim Arzt kontrollieren lassen.

Was ältere Menschen gegen Vergesslichkeit tun können

Utopia: Früh gegen Vergesslichkeit vorzubeugen ist also sinnvoll. Wenn dies aber nicht gelingt – was können ältere Menschen tun, um ihre geistige Fitness zu verbessern?

Trabert: Es ist nie zu spät, mit Sport anzufangen. Ich empfehle leichtes Training – drei bis fünfmal die Woche. Dafür kann man zum Beispiel ein Fahrrad-Ergometer nutzen. Auch mit Tai Chi kann man im Alter noch beginnen, das wirkt sich positiv auf die Leistung von Hirn und Herzkreislauf aus. Meditationsübungen helfen bei einer bestehenden Demenz und können auch im Alter noch erlernt werden.

Utopia: Und wenn man für Sportarten wie Fahrradfahren und Thai Chi körperlich nicht mehr fit genug ist?

Trabert: Auch die kognitive Aktivität kann man immer trainieren. Am besten auf eine Weise, die einem Spaß macht. Wer gerne Brettspiele spielt, kann das vermehrt tun. Die Spiele wirken sich erwiesenermaßen positiv auf Demenz aus. Besonders gut sind Spiele, die eine gewisse geistige Flexibilität erfordern, zum Beispiel Schach. Aber auch „Mensch ärgere dich nicht“ ist besser als gar nichts. Neben Komplexität ist aber auch wichtig, dass man Spaß hat und Zeit mit anderen verbringt.

Utopia: Wie stark kann man die geistige Fitness im Alter durch externe Faktoren beeinflussen?

Trabert: Ich schätze, dass die Genetik circa ein Drittel ausmacht. Dabei muss es sich nicht direkt um Anlagen für Alzheimer oder anderen Demenzerkrankungen handeln. Auch das eigene Hör- und Sehvermögen hat einen großen Einfluss auf die Entstehung dieser Krankheiten. Es ist gut belegt, dass im Falle einer Hörminderung der Einsatz von Hörgeräten dazu beitragen kann, Demenzen vorzubeugen. Man selbst hat also einen großen Einfluss auf die geistige Leistung im Alter.

Besonders wichtig für geistige Fitness: Resilienz und Sinn

Utopia: Sie haben Bewegung, geistige Anreize, soziale Kontakte und Ernährung angesprochen. Was ist der wichtigste Faktor für geistige Fitness im Alter?

Trabert: Das kann man nicht auf einen Faktor runterbrechen. Aus meiner Sicht ist Resilienz für Gesundheit im Alter aber ein übergeordnet wichtiger Faktor. Resilienz ist die geistige Widerstandsfähigkeit. Manche Menschen können mit schlimmen Ereignissen besser umgehen, nehmen diese als Herausforderung und machen weiter. Andere haben diese Eigenschaft nicht. Aber Resilienz kann man aufbauen. Hier spielen die zuvor genannten Faktoren eine Rolle, also die Ernährung, körperliche Betätigung und soziale Kontakte.

Auch das Gefühl, einen Sinn zu haben, ist sehr wichtig. In jüngeren Jahren kann man das bei der Berufswahl berücksichtigen. Ich persönlich bin sehr dankbar dafür, dass ich einen Beruf habe, der mir Sinn gibt und dadurch viel Freude. Das ist leider keine Selbstverständlichkeit. Aber Sinn kann man auch in anderen Dingen finden, zum Beispiel in Hobbies oder der Partnerschaft.

Utopia: Oder im Aktivismus.

Trabert: Genau. Außerdem ist es wichtig, Dankbarkeit zu verspüren und sich die positiven Dinge im eigenen Leben immer wieder vor Augen zu führen. Dafür kann man sich einfach jeden Abend vorm Schlafengehen darauf besinnen, was an dem Tag schön war und wofür man dankbar ist. Eine Studie hat diese Technik untersucht und dabei festgestellt, dass sie mit Optimismus und einem positiven Blick auf das eigene Leben einhergeht.

Utopia: Und das wirkt sich auf die geistige Leistung aus?

Trabert: Der Zusammenhang ist nicht belegt, aber ich bin davon überzeugt, dass Glück und Sinn im Alltag einen positiven Effekt haben. Eine gesunde Lebenseinstellung und eine gesunde Lebensführung sind auf jeden Fall wichtig.

Hinweis: Dieser Artikel wurde im Juni erstveröffentlicht.

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