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Statt 10.000 Schritte: Ingo Froböse empfiehlt Alternativ-Regel

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Foto: Sebastian Bahr; CC0 Public Domain – Unsplash/ Artur Luczka

Mehr Bewegung ist ein beliebter Vorsatz fürs neue Jahr. Doch wie viel Bewegung ist gesund – und müssen es wirklich 10.000 Schritte am Tag sein? Sport- und Gesundheitsexperte Prof. Ingo Froböse empfiehlt einen anderen Wert und gibt Sport-Tipps für alle Fitness-Level.

Spazierengehen gilt als gesund – auch wer unsportlich ist, kann regelmäßig durch die Natur schlendern und sich so ein wenig bewegen. Aber ist Spazieren gut für die eigene Fitness? Das kommt drauf an, erklärt Ingo Froböse gegenüber Utopia. Er ist Professor für Prävention und Rehabilitation im Sport an der Deutschen Sporthochschule Köln und leitet ein Institut für Bewegungstherapie. In seinen Büchern und auf seinem Blog informiert er regelmäßig zu Sport und Gesundheit. Dem Sportwissenschaftler zufolge gibt es viele gute Gründe für Spaziergänge und gegen das lange Sitzen. Aber fit wird nicht jede:r davon. Und 10.000 Schritte müssen es auch nicht sein – der Experte rät stattdessen zu einem anderen Wert.

Ingo Froböse im Interview: „Spazierengehen kann fitter machen – unter bestimmten Bedingungen.“

Utopia: Sie empfehlen in Ihren Büchern, regelmäßig spazieren zu gehen. Was sind die wichtigsten Vorteile, die man daraus ziehen kann?

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Ingo Froböse: Spazierengehen kann jeder, das ist ein guter Einstieg in einen gesünderen Lebensstil. In der Regel bewege ich mich dabei in der Natur, komme also mit Luft und Licht und Temperatur in Kontakt. Das stimuliert den Körper und kann auch mental entlasten. Spazierengehen kann auch fitter machen – unter bestimmten Bedingungen.

Utopia: Welche sind das?

Froböse: Normales Schlendern reicht oft nicht aus, um den Körper zu trainieren. Dafür braucht es eine erhöhte Herz- und Atemfrequenz. Um diese zu erreichen, müssen die meisten zumindest schneller gehen, als sie es normalerweise tun würden. Wer untrainiert ist, kann von solchen Spaziergängen profitieren. Aber Sportler kommen beim Spazierengehen überhaupt nicht mehr in eine Trainingssituation. Für sie ist zum Beispiel Laufen eine gute Option, um die eigene Fitness zu trainieren.

Utopia: Ob ich besser laufe oder spazieren gehe, hängt also von meinem Leistungsniveau ab. Wie kann man die eigene Fitness richtig einschätzen?

Froböse: Einfach auf die eigene Atmung achten. Optimal ist es, auf vier Schritte einmal ein- und auf vier Schritte einmal auszuatmen. So führt man seinem Körper ausreichend Sauerstoff zu. Wer gut trainiert ist, wird so eine Atemfrequenz beim Laufen entwickeln. Gelingt das nicht, sollte man erst einmal beim Spazierengehen bleiben. Und das ruhig für eine ganze Weile. Wer bisher nicht viel Sport getrieben hat, sollte erst einige Wochen spazieren gehen, ehe man mit dem Laufen beginnt.

Utopia: Wieso das?

Froböse: Gelenke, Sehnen, Kochen und andere große Strukturen des Körpers brauchen 4 bis 6 Monate, um sich an das neue aktive Leben zu gewöhnen. Um sie nicht zu schädigen, sollte man die Belastung langsam erhöhen. Wer es mit dem Training übertreibt, merkt es spätestens am Morgen danach, dann verspürt man Muskelkater oder Gelenkschmerzen. Außerdem ist die Herzfrequenz am nächsten Morgen gerne vier bis sechs Schläge zu hoch. Dann sollte man es beim nächsten Mal ruhiger angehen lassen.

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Wer mit dem Laufen beginnen will, kann den Körper zuvor durch Spaziergänge trainieren – das rät Sportwissenschaftler Ingo Froböse. (Foto: CC0 Public Domain - Unsplash/ Jenny Hill)

„Nicht jeder muss täglich 10.000 Schritte gehen, um fit zu bleiben.“

Utopia:Stichwort viel spazieren: Herr Froböse, was halten Sie von dem bekannten Richtwert 10.000 Schritte pro Tag?

Froböse: Bei dieser Zahl handelt es sich nicht um einen Richtwert, sondern um einen Werbeslogan aus dem Jahr 1964. Damals fanden die Olympischen Spiele in Tokio statt und die japanische Firma Yamasa machte Werbung für ihren ersten Schrittzähler. Dieser hieß übersetzt „10.000 Schritte“ – denn 10.000 war die größte Zahl, die das Gerät anzeigen konnte. Auf Plakaten wurde dafür geworben, 10.000 Schritte zu gehen, um fit zu bleiben. Der Wert hält sich seitdem als Empfehlung, aber ohne wissenschaftliche Grundlage.

Utopia: Aber macht es aus gesundheitlicher Sicht Sinn, täglich 10.000 Schritte zu laufen?

Froböse: Im Schnitt gehen Menschen in Deutschland nur circa 5.000 Schritte pro Tag. Das ist zu wenig. Aber nicht jeder muss täglich 10.000 Schritte gehen, um fit zu bleiben.

Für die meisten von uns ist der Wert viel zu hoch angesetzt. Im normalen Alltag, ohne Sport, schaffe auch ich keine 10.000 Schritte. Um den Wert zu erreichen, müsste man 5 bis 6 Kilometer spazieren gehen, das ist eine ganz schöne Strecke.

Utopia: Was würden Sie dann raten, wie viel sollten wir uns täglich bewegen?

Froböse: Dafür gibt es nicht einen einzigen Richtwert, das muss man individuell betrachten. Ich würde raten, einmal zu beobachten, wie viele Schritte man im Alltag macht – zum Beispiel mit Hilfe einer Schrittzähler-App. In den Tagen darauf kann man versuchen, 3.000 Schritte mehr zu gehen, als man das normalerweise tut. Wer sich im Schnitt nur 3.000 Schritte bewegt, schafft so schon das Doppelte. Wer sowieso schon 7.000 Schritte geht, der kann versuchen, die 10.000 Schritte zu knacken.

Brauche ich dauerhaft eine Schrittzähler-App? Sportwissenschaftler Froböse rät davon ab

Utopia:Schrittzähler-Apps sind aus Datenschutzgründen teils umstritten. Woher wissen wir ohne Schrittzähler, ob wir uns genug bewegen?

Froböse: Um Schritte zu messen, braucht man nicht unbedingt einen Schrittzähler. Man kann einfach auf die Distanz achten. Wie viele Meter lege ich in 10.000 Schritten zurück? Im Schnitt sind das circa 6 Kilometer. Die genaue Distanz kommt auf die eigene Schrittlänge an. Wer es genau wissen will, kann einfach mal nachmessen.

Utopia:Also sind solche Apps überflüssig?

Froböse: Bewegungsapps vermitteln ein Gefühl für den eigenen Körper. Und sie motivieren zu Bewegung, indem sie diese belohnen – zum Beispiel mit digitalen Auszeichnungen. Aber brauche ich wirklich abends eine Medaille von Apple? Nein. Ich brauche nur ein Gefühl für meinen eigenen Körper. Der Körper sagt einem schon, wenn man zu inaktiv gewesen ist.

Utopia: Wie äußert sich das?

Froböse: Viele Menschen erfahren Bewegungseinschränkungen im Alltag sowie Muskel- und Gelenkschmerzen. Hiervon sind bei einer sitzenden Tätigkeit sehr häufig Nacken und Rücken betroffen. Auch chronische Müdigkeit, Kurzatmigkeit und etwa eine angeschlagene Psyche können einen Hinweis darauf geben, dass es dem Organismus an Bewegung und Aktivität mangelt.

Utopia: Und im Alter? Wie viel Bewegung ist da angemessen? Sollte man da kürzertreten?

Froböse: Nein. Das Alter wird gern als Ausrede genommen, aber grade beim Gehen ist es überhaupt kein Hindernis. Im Gegenteil: Je älter man wird, desto wichtiger ist Bewegung – sie hilft dabei, mobil zu bleiben. Bei Senioren ist das Gehen deshalb eine der besten Trainingsformen. Noch wichtiger ist nur, die Muskulatur zu trainieren. Diese braucht man im Alter noch mehr. Dabei helfen bestimmte Trainingsübungen wie der „Hacker“. [Anmerkung der Redaktion: Die Übung wird in diesem Video erklärt.] Wer zu viel sitzt und Bewegung vernachlässigt, der riskiert Gesundheitsschäden – in jedem Alter.

Zu viel Sitzen wirkt sich auf das Gehirn aus

Utopia: Warum ist Sitzen so ungesund?

Froböse: Dafür gibt es zahlreiche Gründe. Zu den wichtigsten zählt, dass Körperzellen nicht ausreichend versorgt werden, wenn man zu viel sitzt. Körperliche Aktivität regt den Stoffwechsel an. Bewegen wir uns zu wenig, werden wichtige Nähr- und Vitalstoffe nicht mehr ausreichend im Körper transportiert. Das hat Auswirkungen auf das Gehirn: Durch zu viel Sitzen werden wir immer müder und träger und verlieren an Vitalität. Außerdem können wir dadurch schneller altern, weil langes Sitzen negative Auswirkungen auf bestimmte Teile unserer DNA haben kann. Wer dagegen einen Ausgleich schafft, durch einen aktiven Feierabend, beugt diesen Veränderungen entgegen. Dies konnten Forscher:innen der University of California 2017 belegen. 

Utopia: Viele Menschen verbringen einen Großteil ihres Alltags im Sitzen.

Froböse: Das stimmt. Uns steht immer mehr Komfort zur Verfügung. Aber der geht auf Kosten unserer Gesundheit. Zum Beispiel sieht man immer mehr E-Scooter und E-Bikes auf den Straßen. Manche Menschen ersetzen durch sie vielleicht eine Autofahrt. Viele legen darauf aber Wege zurück, die sie sonst zu Fuß gegangen wären. Die E-Mobilität wird immer vielfältiger, aber sie nimmt auch Bewegungsanreize weg.

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E-Scooter können Bewegungsanreize wegnehmen, warnt der Experte. (Foto: CC0 Public Domain - Pixabay/ Rabenspiegel)

Ingo Froböse gibt Tipps für mehr Bewegung im Alltag

Utopia: Was kann man tun, um sich im Alltag mehr zu bewegen?

Froböse: Es gibt drei Bereiche unseres Alltags, in denen wir uns bewegen können: Arbeit, Transport und Freizeit. In der Arbeit sitzen die meisten von uns. Der Transport fällt auch immer mehr weg. Dann bleiben nur noch Bewegungsmöglichkeiten in der Freizeit. Doch das macht nicht jedem Spaß, manchen fehlt der Zugang.

Bewegung sollte man in verschiedene Bereiche des Alltags integrieren. Zum Beispiel kann man die Mittagspause auf der Arbeit für einen Spaziergang nutzen. Oder in der Freizeit Telefonate oder Treffen mit Freunden mit Spazierengehen verbinden. Beim Transport gibt es zahlreiche Möglichkeiten: Zur nächsten Station gehen, statt zu warten, wenn man den Bus verpasst hat. Die Treppe statt dem Aufzug nutzen. Auch als Erwachsener noch auf der Bordsteinkante balancieren, auf Mäuerchen springen. Kurz gesagt: Mehr Belastung im Alltag suchen und finden. Das ist nicht nur gesund. Bewegung ist auch ein wichtiger Teil des Klimaschutzes.

Utopia: Wie das?

Froböse: Körperliche Aktivität ist die wichtigste Energieressource für unsere Gesellschaft. Wer sich mittels der eigenen Muskelkraft bewegt, ist nicht auf Transportmittel angewiesen, die mit fossilen Kraftstoffen betrieben werden. Sportler frieren außerdem weniger, weil ihre Muskelmasse die Körpertemperatur besser reguliert. Auch das schont Ressourcen.

Utopia: Danke für das Gespräch.

Dieses Interview wurde im Februar 2023 erstveröffentlicht.

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