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9-Euro-Ticket: Ist ein dauerhafter Sondertarif realistisch, oder wird der ÖPNV sogar teurer?

Wie realistisch ist ein dauerhaft günstiges Ticket für den ÖPNV?
Foto: Lennart Preiss/dpa

Seinen ersten Härtetest hat das 9-Euro-Ticket hinter sich. Stimmen nach einem dauerhaften Sondertarif werden laut. Doch wie realistisch ist das? Zumal der Präsident des Verkehrsverbands sogar von einer Preiserhöhung bei den Nahverkehr-Tickets spricht.

Die erste Bewährungsprobe hat das 9-Euro-Ticket mit dem Pfingstwochenende hinter sich. Das Angebot stieß auf hohe Nachfrage. Kaum verwunderlich, denn es ermöglicht jeweils für einen Monat beliebig viele Fahrten in Bussen und Bahnen des Nah- und Regionalverkehrs in ganz Deutschland – viel günstiger als normale Monatstickets, die zudem nur im Verbundbereich gelten. 

Der aktuelle Sondertarif ist auf Juni, Juli und August begrenzt, doch wären auch längerfristig oder sogar permanent vergünstigte Tickets machbar? Erste Forderungen gibt es diesbezüglich. Die Linkspartei etwa plädiert dafür, das 9-Euro-Ticket bis zum Jahresende anzubieten und danach ein Jahresticket für 365 Euro einzuführen. Auch der Städte- und Gemeindebund ist dafür, nach Auslaufen des Tickets ein bundesweites ÖPNV-Billigticket anzubieten. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg, sagte dem Handelsblatt, „wir brauchen keinen kurzen ÖPNV-Sommer, sondern ein flächendeckendes ÖPNV-Land“.

„Es fehlt die finanzielle Kraft“

Folgt man jedoch der Argumentation des Deutschen Landkreistags müssten hierfür Hürden überwunden werden. Als Spitzenverband aller Landkreise lehnte er eine Fortschreibung des 9-Euro-Tickets ab. Der Grund: „Allein die coronabedingten Einnahmeverluste und der bestehende Investitionsstau belasten die Verkehrsverbünde und damit die Landkreise und Städte stark“, sagte Landkreistagspräsident Reinhard Sager dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Für Verbesserungen des Taktes oder den Ausbau von Angeboten fehlt daher die finanzielle Kraft, mit massiv rabattierten Tickets werden die Finanzierungsgrundlagen noch weiter geschwächt.“ Das Geld müsse klug investiert werden. Und eine gute Leistung müsse letztlich „für die Bevölkerung einen Preis haben“, meinte Sager.

Der Präsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmer, Ingo Wortmann, prognostizierte im Interview mit dem RND sogar einen Preisanstieg der Ticketpreise nach Ablauf des 9-Euro-Tarifs. Grund hierfür seien fehlende Ausgleichszahlungen des Bundes für die hohen Spritpreise. „Wir werden mittelfristig die fehlenden Gelder auf die Fahrpreise umschlagen müssen oder das Angebot einschränken. Die Ticketpreise werden also weiter steigen – nicht direkt zum 1. September, aber in den nächsten Preisrunden“, so Wortmann.

Künftig mehr Regionalisierungsmittel?

Bereits vor Einführung des vergünstigten Tickets hatten die Verkehrsverbünde die Wirtschaftlichkeit des 9-Euro-Angebots moniert. Es würde schlichtweg nicht ihre Ausgaben decken – insbesondere nicht in Zeiten hoher Energiekosten, die vor allem die Busbranche träfe, so die Argumentation.

Länder, Kommunen und Verbünde appellierten in Vorbereitung auf das 9-Euro-Ticket an den Bund, er solle finanzielle Unterstützung leisten. Für die vereinbarten drei Monate wurden auf Bundesebene bereits 2,5 Milliarden Euro im Rahmen des Regionalisierungsgesetzes zur Verfügung gestellt. Mehr Geld stellte die Bundesregierung allerdings nicht in Aussicht – auch nicht, als beispielsweise Bayern vor der Abstimmung über den aktuellen Sondertarif im Bundesrat mit einem Boykott drohte. Eine Verlängerung des Tickets dürfte auch deshalb unwahrscheinlich sein. Hinzu kommt, dass Finanzminister Christian Lindner (FDP) im nächsten Jahr die Schuldenbremse einhalten möchte.

Einen Hoffnungsschimmer gibt es allerdings: Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sprach sich dafür aus, dass das Angebot im Nahverkehr künftig verständlicher, einheitlicher und damit kundenfreundlicher werden soll. Kleinteilige Organisationsstrukturen müssten aufgebrochen, einheitliche Tarife und Verkehrsverbund-übergreifende Angebote unterstützt werden. Ob sich das künftig in mehr Regionalisierungsmitteln – etwa für weitere Sondertarife – niederschlägt, ließ Wissing allerdings offen. „Die Analyse des 9-Euro-Tickets wird uns klare Hinweise geben, wo wir hin müssen“, sagte er nur.

Ausbau und Finanzierung des ÖPNV – eine Frage der Priorisierung

Utopia meint: Die Bundesregierung fördert mit ihrem Vorhaben den ÖPNV. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Menschen in Deutschland zu entlasten, die auf das Auto – und damit klimaschädliche Verbrennungsmotoren – verzichten. Das Pendeln und grundlegende Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln sollten allerdings über die akute Energiepreiskrise, die durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine entstanden ist, hinaus weiter gefördert werden. Vergünstigte Tickets sind hierfür, wie der Ansturm auf das 9-Euro-Angebot zeigt, ein effektives Mittel, das gleichzeitig mit dem Ausbau der Infrastruktur des ÖPNV einhergehen muss.

Die übervollen Züge und Verspätungen über Pfingsten haben verdeutlicht, dass eine bessere Infrastruktur notwendig ist – und sie noch wichtiger wird, sollten mehr Menschen die Bahn anstatt das Auto nutzen. Die Finanzierungsfrage zur Förderung des ÖPNV ist daher eine Frage der Priorisierung. Sollte der Bund also eine Verkehrswende hin zu mehr öffentlichen Verkehrsmitteln tatsächlich wollen, muss er die entsprechenden Gelder zur Verfügung stellen. Schließlich ist es der Bundesregierung unter Verkehrsminister Wissing auch möglich, eine Kaufprämie für E-Autofahrer:innen zu planen. Der Haken: Eine Verkehrswende samt Klimaschutz ist mehr als die Verlagerung von einem Auto zum nächsten.

Mit Material der dpa

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