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Agrarökonom: „Politik kann nicht sagen: ‚Verbraucher, rettet mal die Welt'“

Die Landwirtschaft spielt im Umwelt- und Klimaschutz eine wichtige Rolle.
Foto: Raquel Martínez Unsplash / Mark Stebnicki Pexels

Die Landwirtschaft spielt im Umwelt- und Klimaschutz eine wichtige Rolle. Doch wie muss sie reformiert werden? Ein Agrarökonom und eine Agrarwissenschaftlerin sehen vor allem politische Entscheidungsträger:innen in der Pflicht. Auch Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) sieht Reformbedarf.

Beim Umwelt- und Tierschutz spielt die Landwirtschaft eine entscheidende Rolle. Wie kann der notwendige Wandel gelingen? Diese Frage ist Teil der Grünen Woche, die aktuell in Berlin stattfindet. Die Zeit hat mit Christine Chemnitz, Direktorin des Thinktanks Agora Agrar und Folkhard Isermeyer, Direktor des Thünen-Instituts, darüber gesprochen.

Chemnitz erklärt, dass sich Menschen heutzutage „viel bewusster“ mit ihrer Ernährung auseinandersetzen würden – und das Interesse gestiegen sie, zu erfahren, woher die Nahrungsmittel eigentlich stammen.

Agrarökonom Isermeyer sieht die Politik in der Pflicht

Agrarökonom Isermeyer sieht politische Entscheidungsträger:innen in der Pflicht, eine ökologische Landwirtschaft auf den Weg zu bringen. Die Politik müsse „ die Leitplanken setzen, damit sich die Marktwirtschaft in die gesellschaftlich erwünschte Richtung entwickelt. Die Politik kann nicht einfach sagen: ‚Liebe Verbraucher, rettet mal die Welt.’“

Verbraucher:innen hätten eine Marktmacht, wie der Experte sagt. Schließlich entscheiden Konsument:innen, was wie kaufen – und wo keine Nachfrage besteht. Allerdings seien sie in der Vergangenheit „für verpasste Reformen in der Landwirtschaft verantwortlich gemacht“ worden, so Isermeyer im Gespräch mit der Zeit.

Dem pflichtet Agrarwissenschaftlerin Chemnitz bei. Es sei als Verbraucher:in nicht möglich, bei „fast 200 ernährungsrelevanten Entscheidungen“ täglich darauf zu achten, welche Folgen sie für Klima, Artenvielfalt, Tierwohl oder die eigene Gesundheit haben.

Als zentralen Hebel für eine Reform der konventionellen Landwirtschaft identifiziert Chemnitz die Subventionen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU.

Agrarwissenschaftlerin Chemnitz fordert neue Kriterien

„Deutschland erhält daraus mehr als sechs Milliarden Euro im Jahr. Diese müssen wir für das Gestalten einer zukunftsfähigen Landwirtschaft nutzen“, so die Expertin. Das bedeute: Landwirtschaftliche Fläche dürfe nicht mehr nur an niedrige Auflagen und an die reine Fläche gekoppelt sein. Wer die größten Felder habe, bekomme derzeit auch das meiste Geld, lautet die Kritik der Agrarwissenschaftlerin.

„Stattdessen bräuchte es eine Förderung, die sich daran ausrichtet, ob die Landwirtinnen und Landwirte öffentliche Güter, wie zum Beispiel Klima- oder Biodiversitätsschutz produzieren. In Brüssel sollte daher der große Rahmen gesetzt werden, nach welchen Kriterien das Geld verteilt wird. Wie genau die Mittel dann ausgegeben werden, sollte in den Mitgliedstaaten der EU entschieden werden.“

Allerdings ist die GAP der EU bereits bis 2027 beschlossen worden. Sowohl Isermeyer als Chemnitz appellieren daher für eine Vorreiterrolle Deutschlands. „Wenn Deutschland seine Agrarpolitik schon vor 2027 mehr an den europäischen Nachhaltigkeitszielen ausrichten würde, wäre das ein wichtiges Signal für die anderen EU-Mitgliedsstaaten“, so Chemnitz. Isermeyer sieht Potenzial in Praxisbeispielen, die wissenschaftlich begleitet werden – und die Bedeutung einer umweltfreundlicheren Landwirtschaft dokumentieren. So könne man Skeptiker:innen in den EU-Entscheidungsetagen von einer Agrarreform auch über 2027 hinaus besser überzeugen.

Agrarminister Özdemir: Langfristig würden Öko- und Klimaleistungen honoriert

Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) will auf dem Weg zu mehr Tier- und Umweltschutz staatliche Fördergelder gezielter verteilen, wie er zu Beginn der Grünen Woche mitteilte.

Özdemir sagte bei einer Pressekonferenz am Donnerstag mit Blick auf staatliche Förderungen, langfristig würden Öko- und Klimaleistungen honoriert, um den Beitrag der Land- und Forstwirtschaft bei den gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen wertzuschätzen. Das von früheren Regierungen lange gepredigte „Wachse oder Weiche“ habe ebenso ausgedient wie das Gießkannenprinzip. Ressourcen zu schädigen, koste langfristig viel mehr, als schonend und vernünftig damit umzugehen. „Scheinbar billig kommt uns am Ende immer teuer und viel teurer zu stehen.“

Der Minister bezog diesen „grünen Faden“ seiner Politik in den nächsten Jahren auch auf die milliardenschwere EU-Agrarfinanzierung für die Höfe. Es brauche ein einkommenswirksames System, das weggehe von der pauschalen Zahlung nach der Fläche und stattdessen wo immer möglich zielgenauer die Honorierung öffentlicher Leistungen erreiche. „Die Direktzahlungen in der aktuellen Form sind ein Auslaufmodell.“

Mit Material der dpa

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