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Ernährungsarmut in Deutschland: Wo Menschen für „gewohntes Essen“ verzichten

Ernährungsarmut in Deutschland: Wo Menschen für "gewohntes Essen" verzichten
Foto: CC0 Public Domain - Pixabay/ Alexas_Fotos

Eine neue Datenauswertung zeigt, wo Menschen besonders von steigenden Lebensmittelpreisen betroffen sind. Teile von Deutschland sind durch Ernährungsarmut gefährdet. Expert:innen erklären, was sich ändern muss.

Die Inflation hat Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben. Das stellt viele Menschen in Deutschland vor Probleme. Aus Daten des Preisvergleichsdienstleisters Smhaggle, die Zeit Online vorliegen, geht hervor, dass Haushalte im Schnitt 100 Euro mehr als sonst im Supermarkt und Discounter ausgeben. Die Zeitung hat die Zahlen mit den durchschnittlichen Budgets für Lebensmitteln einzelner Bundesländer abgeglichen und warnt: Besonders im Osten droht Ernährungsarmut.

Ernährungsarmut tritt dann ein, wenn sich Menschen wegen mangelnden Geldes oder fehlendem Wissen ungesund ernähren. Wegen der steigenden Lebensmittelpreise wird sie vermehrt zum Problem.

„Die unteren Einkommensschichten der Deutschen müssen auf Urlaub oder Kleidung verzichten, um sich ihr gewohntes Essen leisten zu können“, warnt Smhaggle-Geschäftsführer Sven Reuter gegenüber Zeit Online.

Ernährungsarmut: Ostdeutschland besonders gefährdet

Mit der App von Smhaggle können Kund:innen unter anderem Sonderangebote finden und Gutschriften erhalten. Für Letzteres müssen sie ihren Kassenbon fotografieren und hochladen. Mehr als 800.000 solcher Kassenzettel hat Smhaggle nun ausgewertet und berechnet, wie viel Kund:innen in Deutschland von Januar bis März 2023 im Schnitt für Lebensmitteleinkäufe ausgegeben haben. Pro Kassenzettel waren es durchschnittlich 24,90 Euro. Auch für die durchschnittlichen Ausgaben in einzelnen Bundesländer liegen Werte vor.

Zeit Online hat die Daten mit den durchschnittlichen finanziellen Mitteln von Haushalten in den jeweiligen Bundesländern verglichen – und damit,  wie viel davon im Schnitt für Essen und Trinken aufgewandt wird.

Das Ergebnis: Besonders Menschen in den ostdeutschen Bundesländern sind von Ernährungsarmut bedroht. Dort gibt ein Haushalt im Schnitt ein Sechstel seines Einkommens für Einkäufe aus (circa 527 Euro) – wegen der Inflation lagen die Ausgaben für Lebensmittel im März 2023 aber bei etwa 671 Euro. Im Schnitt fehlen den Haushalten also circa 144 Euro, die sie anderweitig einsparen müssen. Haben sie keine Rücklagen, müssen sie sich eventuell verschulden.

Allein im März fehlten in Thüringen beispielsweise 180 Euro, in Sachsen-Anhalt sogar über 200 Euro. Auch in Berlin, dem einzigen Bundesland, in dem das durchschnittliche Einkaufsbudget bis Februar noch ausreichte, waren im März pro Haushalt 47 Euro zu wenig vorhanden.

In den westdeutschen Bundesländern liegen die Einkommen im Schnitt höher, die Ausgaben für Lebensmittel aber auch. In Hamburg hatten die Bürger:innen von Januar bis März noch Geld für Lebensmittel übrig, in München und Stuttgart war das im März nicht mehr der Fall.

„Negativspirale“: Wie kann man die Situation verbessern?

Michaela Schröder, Leiterin des Geschäftsbereichs Verbraucherpolitik beim Verbraucherzentrale Bundesverband, warnt gegenüber Zeit Online vor den Folgen steigender Lebensmittelpreise. Sie würden bestehende Probleme verschärfen, zum Beispiel die Ernährungsarmut in Familien mit niedrigen Einkommen. „Schon vor dem rasanten Anstieg der Lebensmittelpreise hatten Familien, die zum Beispiel Hartz IV bezogen, meist nicht genügend Geld, um sich gesund und ausgewogen zu ernähren“, so die Expertin und warnt vor einer „Negativspirale“. Weil sich die Entwicklung verschlimmere, könnten sich ärmere Kinder schlechter konzentrieren, weshalb sie in der Schule schlechter abschnitten.

Sie weist darauf hin, dass Ernährungsarmut in Deutschland nicht systematisch erforscht werde – anders als zum Beispiel im Vereinigten Königreich. Schröder fordert, dies zu ändern und den ernährungsbezogenen Regelsatz in der Grundsicherung und beim Bürgergeld anzuheben. Außerdem müssten die Preissteigerungen in die Berechnung von Bürgergeld und Mindestlohn einfließen.

Als Maßnahme gegen Ernährungsarmut fordert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zu erlassen. In Portugal wurde dies zeitlich befristet bereits umgesetzt – für bestimmte Grundnahrungsmittel.

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