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„Gluten-Laktose-Syndrom“: Expert:innen warnen vor Selbstdiagnosen zu Unverträglichkeiten

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Foto: CC0 / Pixabay / sweetlouise

Wer bei sich selbst Unverträglichkeiten diagnostiziert und daher bestimmte Lebensmittel meidet, riskiert mitunter sogar einen Nährstoffmangel. Doch auch die Diagnose durch Ärzt:innen fällt oft schwer.

Glutenfrei, histaminarm, laktosefrei, fructosearm: Solche Labels finden sich auf immer mehr Produkten im Supermarkt und als Hinweise in Rezepten. Sie sollen Menschen ansprechen, die auf die entsprechenden Lebensmittelbestandteile und -zusatzstoffe verzichten müssen – weil sie vermeintlich unter einer Unverträglichkeit leiden.

Doch laut Expert:innen stecken hinter Symptomen wie Bauchschmerzen, Durchfall und Hautausschlag nicht immer tatsächlich Nahrungsmittelunverträglichkeiten.

Das „Gluten-Laktose-Syndrom“

Manche Menschen verzichten auf eigene Faust auf bestimmte Lebensmittel. Laut Expert:innen könnte man dadurch Nährstoffmangel riskieren.
Manche Menschen verzichten auf eigene Faust auf bestimmte Lebensmittel. Laut Expert:innen könnte man dadurch Nährstoffmangel riskieren.
(Foto: CC0 / Pixabay / sanfirabogdan)

Nach dem Essen grummelt es im Bauch, stellt sich ein unangenehmes Völlegefühl ein oder tritt Durchfall auf? Für viele Menschen ist dies bereits Grund genug, bei sich selbst eine Unverträglichkeit gegenüber Gluten, Fruktose oder Laktose zu diagnostizieren.

Meistens folgt der Eigendiagnose allerdings keine Bestätigung durch Ärzt:innen. Einem Bericht von Zeit Online zufolge soll die repräsentative Umfrage einer Krankenkasse ergeben haben, dass nur die Hälfte derer, die eine Unverträglichkeit bei sich vermuten, ihren Verdacht tatsächlich ärztlich abklären lassen.  

Die Unverträglichkeitsdiagnose auf eigene Faust ist mittlerweile so verbreitet, dass der Deutsche Allergie- und Asthmabund (DAAB) dem Phänomen eine eigene Bezeichnung gegeben hat: „Gluten-Laktose-Syndrom“. Für den DAAB geht dieses „Syndrom“ oftmals mit dem Ignorieren medizinischer Fakten einher. So hätte eine Studie nachgewiesen, dass das Vermeiden von Laktose und Weizen im Kindesalter Unverträglichkeiten möglicherweise erst provoziere. 

Auch andere Expert:innen äußern sich in der Zeit kritisch gegenüber dem selbst verschriebenen Verzicht bestimmter Lebensmittelbestandteile. So erklärt Margitta Worm, Leiterin der Sprechstunde für Nahrungsmittelunverträglichkeiten am Allergie-Centrum der Berliner Charité: „Menschen, die sich in Verzicht üben, schränken oft ohne Grund ihre Lebensqualität ein, riskieren manchmal sogar einen Nährstoffmangel“. Die Zeit zitiert zudem eine Studie, laut derer eine umfangreich umgestellte Ernährung sogar die Darmgesundheit negativ beeinflussen kann.

Warum die Diagnose von Unverträglichkeiten so schwierig ist

Im Gegensatz zu Unverträglichkeiten lassen sich Allergien, wie gegen bestimmte Eiweiße in Nüssen, leichter diagnostizieren.
Im Gegensatz zu Unverträglichkeiten lassen sich Allergien, wie gegen bestimmte Eiweiße in Nüssen, leichter diagnostizieren.
(Foto: CC0 / Pixabay / Couleur)

Bevor man eine ganze Reihe von Lebensmitteln von seinem Speiseplan streicht, ist daher der Gang in eine ärztliche Praxis anzuraten. Dort gibt es Gewissheit – jedenfalls, wenn es sich um eine Unverträglichkeit von Milch- oder Fruchtzucker handelt. Diese sind mittlerweile gut verstanden und lassen sich mit Tests einfach nachweisen.

Das trifft jedoch nicht auf viele andere Lebensmittelunverträglichkeiten zu. Denn laut Margitta Worm bewegen sich Unverträglichkeiten, im Gegensatz zu Lebensmittelallergien, „in einem medizinischen Graubereich“.

Während sich Allergien, beispielsweise eine Eiweißallergie oder Nussallergie, mit einfachen Blut- oder Provokationstests feststellen lassen, fehlt bei Unverträglichkeiten häufig noch grundlegendes Wissen über die dabei ablaufenden Mechanismen im Körper. Es konnten noch keine eindeutigen sogenannten Biomarker entschlüsselt werden, anhand derer man eine klare Diagnose ableiten kann. Vor allem eine vermutete Histaminintoleranz oder eine Glutensensibilität (nicht zu verwechseln mit Zöliakie, der Glutenunverträglichkeit) sind daher schwer zu diagnostizieren.

Weiterhin erschwert die Diagnose von Unverträglichkeiten, dass Symptome abhängig von der Dosis und weiteren Faktoren (Medikamente, Alkohol, Tageszeit und Sport) auftreten können.

Viele Menschen mit einer selbst diagnostizierten Unverträglichkeit erhalten daher auch trotz ärztlicher Untersuchungen mitunter jahrelang keine Gewissheit, ob ihre Verdauungsprobleme tatsächlich einer Intoleranz gegenüber bestimmter Lebensmittelbestandteile zu schulden sind.

Laut dem Ernährungsmediziner Christian Sina würde diese Ungewissheit mit einem solchen Leidensdruck vieler Patient:innen einhergehen, dass diese sich sogar wissenschaftlich umstrittenen Untersuchungen wie dem Serum-IgG-Verfahren oder dem Mikrobiomtest unterziehen. Für diese kostspieligen und noch nicht wissenschaftlich fundierten Tests müssen sich die Patient:innen selbst Proben entnehmen und an Labore schicken. 

Kleine Änderungen können Symptome schon lindern

Der Weg zu einer Unverträglichkeitsdiagnose kann also einer Odyssee gleichen. Den in der Zeit zitierten Expert:innen zufolge ist es entscheidend, herauszufinden, woher die Beschwerden genau stammen.

Dazu seien diese Methoden hilfreich:

  • Andere Erkrankungen ausschließen: Mit der Ärztin/dem Arzt muss die Krankheitsgeschichte nach möglichen anderen Ursachen durchforstet werden. Beispielsweise kann Durchfall – ein typisches Unverträglichkeitssymptom – auch eine Nebenwirkung von Gallenflüssigkeit im Darm sein (was nach einer operativen Entfernung der Gallenblase passiert). 
  • Orale Provokation, am besten doppelblind und placebokontrolliert: Dabei werden den Patient:innen über mehrere Tage hinweg verschiedene Dosen beispielsweise von Histamin oder aber Placebos verabreicht. So können die Mediziner:innen nachweisen, ob Symptome nicht von einer Erwartungshaltung ausgelöst werden.
  • Ernährungs- und Symptomtagebücher: Unter Anleitung von Ernährungstherapeut:innen können Betroffene Buch darüber führen, wie viel sie von einem Stoff vertragen und welche Begleitumstände eine Reaktion triggern. 
  • Forschung: Die Mechanismen hinter Unverträglichkeiten müssen noch weiter entschlüsselt werden. 

Lässt sich auf diesen Wegen eine Reaktion auf bestimmte Lebensmittelbestandteile nachweisen, reichen laut Margitta Worm bereits kleine Änderungen des Lebensstils anstelle umfangreicher Ernährungsumstellungen aus, um die Symptome in den Griff zu bekommen. Wer beispielsweise sehr viel Obst isst, kann auch als gesunde Person eine gestörte Fruktoseaufnahme bekommen. Dieser könnte man bereits entgegenwirken, indem man etwas weniger Obst zu sich nimmt. 

Nicht immer ist eine vermutete Unverträglichkeit der Grund für den Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel. So vermeiden viele Veganer:innen laktosehaltige Produkte, um Tierleid zu verhindern und das Klima zu schützen.

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