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„Wahnsinn, diese Begründung“: Heftige Kritik an Steinmeiers Pflichtdienst für junge Menschen

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Sollten junge Menschen für eine bestimmte Zeit einen Pflichtdienst leisten? Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagt: Ja. Doch sein Vorstoß stößt vielfach auf Kritik. Von „Gemeinsinn“ könne nicht die Rede sein.

„Ich weiß, dass es nicht einfach werden wird, aber ich wünsche mir, dass wir eine Debatte über eine soziale Pflichtzeit führen“, sagte Frank-Walter Steinmeier im Interview mit der Bild am Sonntag. Der Bundespräsident spricht sich demnach für die Einführung eines Pflichtdienstes für junge Menschen aus, ließ aber offen, wie lange so ein Dienst dauern soll. Es müsse „kein Jahr“ sein, so Steinmeier, sondern vielmehr eine bestimmte „Pflichtzeit“.

Es gehe um die Frage, „ob es unserem Land nicht gut tun würde, wenn sich Frauen und Männer für einen gewissen Zeitraum in den Dienst der Gesellschaft stellen“, hieß es in dem Interview. So könne der Dienst in der Bundeswehr, bei der Betreuung von Senior:innen, oder etwa in Obdachloseneinkünften geleistet werden. „Gerade jetzt, in einer Zeit, in der das Verständnis für andere Lebensentwürfe und Meinungen abnimmt, kann eine soziale Pflichtzeit besonders wertvoll sein“, sagte Steinmeier.

Die Menschen kämen raus „aus der eigenen Blase“ und helfe anderen Menschen in Notlagen. „Das baut Vorurteile ab und stärkt den Gemeinsinn.“ Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht, die 2011 ausgesetzt wurde, lehnt der Bundespräsident nach eigenen Aussagen jedoch ab.

Steinmeier sieht „wachsendes Verständnis dafür“

Steinmeier erlebe „ein wachsendes Verständnis dafür, dass sich Menschen eine gewisse Zeit für die Gemeinschaft einsetzen, dass sie sich engagieren“. Die Politik solle dieses Bewusstsein mit einer Debatte über die soziale Pflichtzeit aufnehmen.

Steinmeiers Vorstoß stößt unterdessen auf gespaltene Reaktionen. Auf Twitter kommentierte die Klimaaktivistin Luisa Neubauer: „Ich weiß nicht, ob man aktuell gut über einen Pflichtdienst streiten kann. Im Lichte von jugendpolitischem Versagen in der Pandemie & zukunftspolitischem Herumgetrampel in der Klimakrise ist es schlicht schwer zu glauben, dass man gerade kategorisch das Beste für die Jungen will.“

Friedericke Busch, Geschäftsführerin der Holtzbrinck Publishing Group, warf ein, dass sich der Vorstoß nicht auf junge Menschen beschränken sollte. „Vielleicht können ja alle Menschen unabhängig ihres Alters den Pflichtdienst einmal in ihrem Leben machen?“ Eltern, unter ihnen Mütter, halten dagegen: Sie würden seit Jahren unbezahlte Care-Arbeit leisten.

Die FDP-Abgeordnete Anja Schulz zeigte sich, ähnlich wie Neubauer, empört – sie stört sich an Steinmeiers Appell an „den Gemeinsinn“: „Wahnsinn, diese Begründung nach zwei Jahren Pandemie an junge Menschen zu senden, die sich in dieser Zeit zumeist vorbildlich und rücksichtsvoll zum Wohle aller verhalten haben, ist wirklich bemerkenswert.“

„Junge Menschen sind aber auch nicht einfach nur Humankapital“

Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, meinte, man könne zum Pflichtdienst „stehen wie man will“. „Junge Menschen sind aber auch nicht einfach nur Humankapital, das möglichst frühzeitig verwertet werden muss“, so Schneider.

Während Befürworter:innen den Mangel an Personal in den von Steinmeier genannten Bereichen wie etwa Pflege und Wohltätigkeitsarbeit als Argument für einen Pflichtdienst anführten, hielten Kritiker:innen entgegen, dass die Tätigkeiten systematisch unterbezahlt seien – und es deshalb das Problem nicht löse, sondern nur dazu führe, mehr Menschen schlecht zu bezahlen.

Wieder andere sagten, dass es womöglich keine gute Idee sei, ungelernte junge Menschen etwa auf Pflegebedürftige loszulassen. „Bitte bleibt mir fort mit dem Pflichtdienst. Es kann in Fällen tatsächlich sehr gut funktionieren, aber Menschen mit Behinderung sind nicht dazu da, eure Null-Bock-Kids zu erziehen bzw. ‚die Augen zu öffnen‘, um nach einem Jahr wieder vergessen zu werden“, hieß es da.

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