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„Ich habe eine Behinderung und muss dafür noch bezahlen“ – Mensch mit Behinderung packt aus

Raul Krauthausen im Interview mit dem Spiegel
Foto: Anna Spindelndreier

Keine private Altersvorsorge, kein Gespartes und die Wohnung auf die Eltern geschrieben. Weil Raúl Krauthausen auf fremde Hilfe angewiesen ist, steht ihm finanziell nur eine bestimmte Summe zu. In einem Interview erzählt er von Praktiken beim Sozialamt und Strategien mit wenig Geld auszukommen.

Raúl Krauthausen ist Moderator und Inklusionsaktivist. Sein Kindheitstraum war es, Pilot zu werden. Statt es ihm auszureden, schenkte seine Mutter ihm ein Buch der Lufthansa – ihm wurde klar, wie aufwendig der Beruf ist und begrub seinen Traum. Statt 200.000 Euro im Jahr, das Gehalt mancher Lufthansa-Pilot:innen, muss Krauthausen heute mit deutlich weniger auskommen. Warum und wie er das schafft, erzählte er kürzlich in einem Interview mit dem Spiegel.

Reich zu werden war für Krauthausen nie das Ziel im Leben. Als Kind hätte es ihn bereits glücklich gemacht, nicht auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein. Um über die Runden zu kommen, musste seine Mutter Taxi fahren, Hausmeisterjobs annehmen und Babys hüten. Wenn sie zum Sozialamt gingen, so berichtete er im Interview, briefte sie ihn, wie er sich verhalten sollte. Beispielsweise habe er nicht erzählen dürfen, dass er alleine trinken kann, damit die Leistungen nicht gekürzt wurden.

Das Leben eines Menschen mit Behinderung ist teurer

Bis heute ist Geld ein leidiges Thema für Krauthausen. Eine private Rentenversicherung, Aktien und Bausparvertrag könne er sich nicht leisten. „Allein schon, weil ein behindertes Leben teurer ist als ein nicht behindertes“, sagte Krauthausen dem Spiegel. Er brauche Assistenz beim Duschen, auf Reisen und um aus dem Bett zu kommen. Da diese vom Amt bezahlt wird, darf er nur ein Sparvermögen von höchstens 50.000 Euro aufbauen. Die Wohnung, in der er lebt, gehöre seinen Eltern. Wäre es seine eigene, fiele sie nach seinem Tod dem Staat zu. „Ich bin doppelt gestraft: Ich habe eine Behinderung, sofern man die als Strafe begreifen mag – und muss dafür noch bezahlen.“

In den Jahren 2017 bis 2020 durften Menschen mit einer körperlichen Behinderung 27.600 Euro Vermögen aufbauen, davor waren es nur 2.600 Euro. Seit zwei Jahren wird dabei auch nicht mehr das Partnereinkommen angerechnet. Festgelegt sind die Regelungen im Bundesteilhabegesetz. Menschen mit geistiger Behinderung dürfen seit 2017 Rücklagen im Wert von 5.000 Euro anlegen.

Doch noch mehr als die eigene Armut, sagt Krauthausen im Interview, präge ihn seine Zeit in Kolumbien. Seine Großeltern lebten dort und als seine Mutter nach dem Studium keinen Job bekam, zog sie mit ihm dort hin. Dort habe er gelernt, was Armut wirklich bedeutet. Ihm sei bewusst geworden, wie privilegiert er ist. Eltern trugen andere gehbehinderte Kinder teils kilometerweit zur Schule. „Ich verstehe nicht, dass es immer heißt, jeder könne es weit bringen im Leben, wenn er nur an sich glaubt. Es kommt darauf an, wo du aufwächst. Und in welcher Familie“, so Krauthausen gegenüber dem Spiegel.

„Die schuften, acht Stunden am Tag“

Zu den persönlichen und finanziellen Belastungen komme für Menschen mit Behinderung, dass das Vorurteil bestehe, sie seien faul. Die Erzählungen der „faulen Behinderten“ stammen laut Krauthausen von der britischen Premierministerin Margaret Thatcher. Sie und ihre „Mannschaft“ hätten Argumente gesucht, um den Sozialstaat zu beschneiden – eine Denkweise, die auch in Deutschland angekommen sei. Krauthausen verwies während des Interviews auf den extrem niedrigen Lohn in Werkstätten für Menschen mit Behinderung: Menschen, die dort arbeiten, verdienen ein paar Hundert Euro im Monat. „Dabei bekommen selbst Praktikantinnen inzwischen den Mindestlohn. Es heißt dann immer: Ach, die Behinderten arbeiten ja nicht richtig. Doch, die schuften, acht Stunden am Tag.“

Insgesamt arbeiten 315.680 Menschen in den 2.971 Werkstätten für Menschen mit Behinderung in Deutschland (Stand Juni 2021). Das durchschnittliche Gehalt in diesen Werkstätten liegt bei 1,35 Euro die Stunde, also 220,28 Euro im Monat. Manche Menschen, die dort arbeiten, schämen sich deshalb. Da die Werkstätten leider auch wirtschaftlich arbeiten müssen, bezahlen sie ihre Mitarbeiter:innen oft schlecht.

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