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„Mit Truthähnen Fußball gespielt“: Wieso Tierquälerei selten bestraft wird

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Foto: CC0 Public Domain – Pixabay/ hans

Ein Interview der Zeit mit zwei Juristinnen gibt Aufschluss darüber, wieso Tierquäler:innen so selten verurteilt werden – trotz Beweislast.

Wir alle kennen Undercoveraufnahmen von Tierschutzorganisationen, die sich in Massentierhaltungsbetriebe eingeschlichen haben. Es sind meist schwer erträgliche Bilder, die öffentliche Entrüstung hervorrufen; oft werden danach Ermittlungen aufgenommen. Doch wie eine Untersuchung von zwei Juristinnen zeigt, verlaufen solche Verfahren oft im Sand – und es sind nicht nur Massentierhaltungsbetriebe betroffen.  

„Es geht nicht allein um Massentierhaltung.“

Elisa Hoven und Johanna Hahn kennen den Vorwurf, dass beim Tierschutz das Strafrecht nicht angewendet wird – sie wollten genau wissen, was dran ist. Gegenüber Zeit Online haben die beiden Juristinnen ihre Ergebnisse vorgestellt. Diese fallen erschreckend eindeutig aus.

Die meisten Ermittlungsverfahren werden eingestellt,“ erklärt Johanna Hahn. Gemeinsam mit Elisa Hoven hat sie 150 Fälle untersucht – bei elf davon kam es zu Verurteilungen, zehn davon waren Geldstrafen. In einem einzigen Fall sei jemand zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Dass Ermittlungen im Sand verlaufen, gelte für kleine Betriebe genauso wie für große. „Es geht nicht allein um Massentierhaltung“, so Hahn.

Für ihre Untersuchung haben die beiden sowohl Akten der Tierschutzorganisation Peta studiert als auch Akten in Ermittlungsbehörden – um eine verzerrte Wahrnehmung auszuschließen. Außerdem geben die beiden an, mit Staatsanwält:innen, Amtstierärzt:innen, Tierschutzbeauftragten und „Insidern der Branche“ Interviews geführt zu haben.

„Wir haben Verstöße auf allen Ebenen beobachtet, bei der Haltung, beim Transport, bei der Schlachtung“, so Elisa Hoven. Als Beispiel führt sie einen Fall in Bayern an, bei dem 24 Rinder verhungert sind, weil sie unzureichend versorgt wurden. Dabei hebt Hahn hervor, dass es meist Schweine und Geflügel seien, die in Betrieben verhungern. „Das ist für die Staatsanwaltschaft überhaupt kein Grund, irgendwas zu ermitteln, weil ein üblicher Verlust schon eingerechnet wird. Fünf Prozent der Hähnchen dürfen zugrunde gehen, das ist die Faustformel.“

Mit Truthähnen Fußball gespielt – trotzdem werden Täter:innen nicht verurteilt

Wieso landen Verantwortliche für Tierquälerei selten vor Gericht? Die beiden Juristinnen nennen verschiedene Gründe. Zum Beispiel gibt es in Deutschland nur eine einzige Zentralstelle für Tierschutz-Strafsachen.

Oft begründen Zuständige ihre Untätigkeit auch damit, dass sich ein Eingreifen nicht lohnen würde. Ein Beispiel nennt Elisa Hoven: „Einmal wurde uns das so begründet: Man könne den Beschuldigten vernehmen, es sei aber davon auszugehen, dass der dies und jenes zur Verteidigung sagen oder sich nicht äußern werde. Dadurch falle ein hinreichender Tatverdacht weg. Also besser gar keine Vernehmung und das Verfahren einstellen.“

Mangel an Beweismaterial herrscht laut Angaben von Hoven nicht. Es gäbe eindeutiges Videomaterial von Tierschutzorganisationen. „Oft handelt es sich um Hunderte Stunden Videomaterial, das lässt sich nicht manipulieren.“

Brutale Fälle von Tierquälerei kennen die Juristinnen zu Genüge. Johanna Hahn bezieht sich im Interview auf Berichte, laut denen mit „Truthähnen [] regelrecht Fußball gespielt“ wurde. „Und die Verfahren wurden alle eingestellt mit der Begründung, dass die Truthähne ja sowieso zum Schlachthof gefahren wurden, sodass es ja keine lang anhaltenden Leiden waren. Die waren ja später sowieso tot.“

Die beiden heben hervor, wie stark sich dies von dem Umgang mit Tierquälerei bei Haustieren unterscheidet: Wer seinen Hund bei hohen Temperaturen stundenlang im Auto leiden lässt und dabei erwischt wird, müsse immerhin mit einem Strafbefehl rechnen. „Obwohl das Gesetz nicht zwischen Nutztieren und Haustieren unterscheidet“, so Hahn.

Staatsanwaltschaft ermittelt kaum vor Ort

Wie die beiden Juristinnen berichten, gab es bei einigen Verfahren zwar einen „massiven Anfangsverdacht“, trotzdem aber keine Durchsuchung. Laut Hoven lautete die Begründung: „Das werden wir niemals mehr beweisen können. Die Videos sind eine Woche alt, die Tiere wurden inzwischen geschlachtet, da können wir nichts mehr machen.“

Die Juristin lässt diese Ausrede aber nicht gelten – schließlich seien die Haltungsbedingungen vor Ort ja immer noch dieselben. Sie führt als mögliche Erklärung an, dass die Behörden in machen Fällen überlastet seien und keine Zeit für gründliche Prüfungen haben. Doch auch unser Strafrecht mache es den Staatsanwält:innen nicht leicht, eine Straftat nachzuweisen.

„Wir hatten Fälle, in denen klar war, dass gegen Tierschutzvorschriften verstoßen wurde. Um diese Leute zu bestrafen, muss bewiesen werden, dass Tiere länger anhaltende, erhebliche Schmerzen erlitten haben“, so Hahn. Wieso das schwer zu beweisen ist, erklärt Elisa Hoven: Die Tiere werden nach kurzer Zeit geschlachtet.

„Da geht man mit Landwirten gemeinsam zur Jagd. Oder man trifft sich im Bierzelt“

Eine weitere Erklärung für die Untätigkeit im Tierschutz sehen die beiden Juristinnen in engen persönlichen Verbindungen zwischen Landwirt:innen und denjenigen, die Verstöße untersuchen oder melden sollten. Kontrollen fänden ohnehin recht selten statt, doch würden sie auch teils vermieden. „Die Leiter von Landratsämtern sind oft mit ihrer Umgebung verhaftet. Da geht man mit Landwirten gemeinsam zur Jagd. Oder man trifft sich im Bierzelt“, erklärt Hoven im Interview. „Uns wurde berichtet, dass Amtsleiter immer mal wieder sagen: ‚Hier brauchen wir nicht so genau hinzugucken, diesen Landwirt kenne ich ja.‘“ Im Falle eines Bundestagsabgeordneten der CDU wurde das Verfahren nach einer Geldzahlung eingestellt. Die Begründung: „Diese Geldauflage beseitigte laut Staatsanwälten das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung.“

Tierquälerei besser ahnden: Was muss sich ändern?

Immer wieder gelangen Fälle von Tierquälerei an die Öffentlichkeit. Was kann man tun, um Tiere in Zukunft besser zu schützen? Die Juristinnen Hoven und Hahn schlagen vor: Das Strafrecht konkreter machen. Wer eine Schweinebucht mit zu vielen Tieren belegt, macht sich bereits strafbar – so solle es in Zukunft laufen. Ebenso, wer ohne Betäubung ein Tier schlachtet.

Das volle Interview findest du hier (Zeit Plus).

Utopia meint: Es mag unvorstellbar erscheinen, warum Menschen Tiere quälen. Noch unvorstellbarer dann, dass die Verfahren eingestellt werden oder die Schuld den Täter:innen zumindest teils abgesprochen. Zumindest in Einzelfällen lässt sich eine Begründung (wenn auch keine Entschuldigung) dafür finden. So begab sich bei einem prominenten Fall von Tierquälerei der angeklagte Landwirt in psychiatrische Behandlung, nachdem auf seinem Hof im Mai 2021 170 tote und 50 stark unterernährte Rinder entdeckt wurden. Ein Gutachten stellte fest, dass er zum Tatzeitpunkt vermindert schuldfähig war. Hier muss auch die Frage gestellt werden, inwiefern das (auch durch politische Subventionen getriebene) System des „immer mehr und immer billiger“ dazu beiträgt, ungesunde Zustände für Landwirt:innen und Tiere zu befördern.

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