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Dariadaria über ethisches Wirtschaften: „Was ich mache, ist Kapitalismus“

Dariadaria spricht im Utopia-Interview über ethisches Unternehmertum und nachhaltige Mode.
Fotos: DIE IDA / Unsplash - Ilya lix

Die meisten Menschen dürften Madeleine Alizadeh als Dariadaria kennen. Auf Instagram erreicht die Unternehmerin 330.000 Follower:innen. 2017 gründete sie das Label dariadéh für nachhaltige Mode. Seitdem versucht sie, in einem kapitalistischen System ethisch zu wirtschaften. Im Utopia-Interview spricht Alizadeh über jene Herausforderung.

Vor 13 Jahren startete Madeleine Alizadeh ihren Blog Dariadaria. Mode war schon damals ihre Leidenschaft. Doch die Schattenseite der globalen Fast-Fashion-Industrie, wie etwa Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden, veranlassten die heute 33-Jährige zum Umdenken. Sie beschloss 2017, ihr eigenes Modelabel dariadéh zu gründen – und wollte es damit besser machen als die großen Konzerne. Inzwischen hat Alizadeh einen eigenen Laden in Wien, ihre Mode finden Kund:innen im eigenen Online-Shop sowie in zehn Kauf-Dich-Glücklich-Filialen. Doch die Herausforderungen, gerechter mit Mensch und Umwelt umzugehen, sind groß, wie sie im Interview mit Utopia erklärt. Ein Gespräch über nachhaltige Mode, kapitalistische Zwänge und Feminismus in einer Branche, die Näher:innen noch immer ausbeutet.

Utopia: Bei dariadéh tut sich gerade viel. Kürzlich erst wurde Ihr Unternehmen Öko-Tex Made in Green zertifiziert. Heißt: Ihr Modelabel hält sich an bestimmte Umwelt- und Sozialstandards; Kund:innen können nun nachvollziehen, woher alle Materialien des jeweiligen Strickpullovers stammen. Das klingt sinnvoll, aber vollständig nachverfolgbar sind Ihre Kollektionen trotzdem nicht – wieso?

Madeleine Alizadeh: Für uns war die Zertifizierung ein sehr langer Prozess. Zwei Jahre hat er gedauert, und ich muss im Nachhinein zugeben, dass ich etwas naiv an die Sache rangegangen bin (lacht). Wir hatten schließlich fertige Produkte, was soll da so lange dauern? Nun ist es so, dass Kund:innen vor allem die Herstellung von Kleidungsstücken aus 100 Prozent Bio-Baumwolle über einen QR-Code nachvollziehen können. Den Weg von der Weberei, über die Stätte, wo die Konfektionierung passiert, bis hin zu dem Ort, wo ein Pulli gestrickt wird. Allerdings sind etwa Oberteile, für die recycelte Stoffe verarbeitet wurden, nicht zertifiziert. Denn obwohl ein solcher Stoffkreislauf wichtig ist, lässt sich der Ursprung des Materials leider nicht rückverfolgen. Und das ist bei Öko-Tex Made in Green der springende Punkt: Kund:innen soll die Lieferkette (Supply Chain) möglichst transparent gemacht werden.  

Dariadaria: „Was ich mache, muss sich rechnen“

Dass recycelte Kleidungsstücke durch das Raster fallen, deutet bereits an, dass Zertifizierungen auch ihre Tücken haben? Zumindest für Konsument:innen, die solch eine Orientierung wollen und dann bei einem nicht-zertifizierten T-Shirt vielleicht denken: Hier ist was faul.

Ja, das kann für kleine, aber vor allem selbstfinanzierte Unternehmen, wie auch wir eines sind, eine Herausforderung sein. Denn solche Zertifizierungsprozesse sind wirklich teuer und binden auch personelle Ressourcen. Das bedeutet: Nachhaltige Labels, die sich ohne Investor:innen etwas aufbauen, können sich das vielleicht erstmal gar nicht leisten – und müssen daher besonders glaubwürdig oder transparent sein, damit die Kund:innen auch ohne Zertifikat einkaufen. Wenn aber Verbraucher:innen nur Kleindungsstücken mit solchen Siegeln vertrauen, unterstützen sie womöglich Brands nicht, die es mit ihrer Umweltbilanz ehrlich meinen. Wir bei dariadéh hatten das große Glück, dass wir mit Öko-Tex eine mediale Kooperation eingehen konnten. Öko-Tex hat uns dadurch kostenlos bei der Zertifizierung der Fabrik in Portugal, in der wir produzieren lassen, unterstützt. Anders hätten wir das nicht stemmen können.

Gut gemeint, schlecht gemacht? „Die Dosis macht das Gift“

Klein- und mittelständische Modeunternehmen können es gut meinen und trotzdem ökologischen Unsinn betreiben.

Ich würde sagen, die Dosis macht das Gift. In kleinen Strukturen, wo alles überschaubar ist, ist die Wahrscheinlichkeit relativ gering, dass viel schiefläuft. Das ist vielleicht vergleichbar mit Bio-Eiern: Wenn man die Eier aus dem Garten der Oma isst, dann sind die zwar nicht zertifiziert; aber das sind wahrscheinlich die besten Eier, die man bekommen kann. Oder man geht in den Supermarkt, wo sie von großen Betrieben kommen. Da greift man dann nach den Bio-Eiern, die aber im Vergleich zu Eiern aus dem Garten der Oma – etwa in Sachen Tierwohl – verlieren würden. Genau diese Masseneier sollten dann zertifiziert sein, um den Schaden zu minimieren. Und deswegen ist es so wichtig, dass die Konsument:innen diese Nuancen sehen und verstehen. Eine Zertifizierung ist zwar wichtig, aber kein Allheilmittel.

Woran liegt es, dass große Modeunternehmen solche Zertifizierungsschritte meiden – und vielmehr auf Selbstverpflichtung setzen?

Weil es politisch so unterstützt wird! Solange es keine Subventionen oder anderweitigen Anreize für Unternehmen gibt, sich unabhängig überprüfen lassen, sind Lippenbekenntnisse oder Schritte in Eigenverantwortung wirtschaftlich interessanter. Das ist das große Problem dahinter: Es muss eine Struktur geben, die ethisch korrekt ist und umweltschützendes Unternehmertum belohnt. Ich glaube außerdem, es hakt auch schon daran, dass die ganz großen Fast-Fashion-Konzerne ihre komplette Produktionsweise umstellen müssten, was zusätzlich zur Finanzierung eines Zertifikats teuer wäre.

„Es ist oft sehr schwierig, etwas ohne Kunststoff-Anteil zu finden“

Worauf wird bei dariadéh in der Herstellung geachtet und nach welchen Kriterien suchen Sie die Materialien aus?

Bei uns gibt es mehrere Ebenen, die uns in der Produktion wichtig sind – und manche haben eigentlich nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Die erste Ebene umfasst die Materialien, sodass die Kleidungsstücke keinerlei konventionelle Synthetik beinhalten. Für Kragen dann Bio-Elasthan, der keine öko-toxischen Rückstände hinterlässt. Dann achten wir auf recycelte Fasern. Allerdings ist es hier oft sehr schwierig, etwas ohne Kunststoff-Anteil zu finden. Der ideale Stoff ist für uns eine Naturfaser, die bio-zertifiziert ist. Baumwolle zum Beispiel. Die verwenden wir, aber auch beispielsweise Lyocell oder Cupro. Dann stellt sich noch die Frage, wo man einkauft und die Fasern verarbeiten lässt. Uns sind kurze Wege wichtig. Sprich: Fasern, die aus der Türkei kommen, verarbeiten wir – soweit es geht – vor Ort und nicht in Serbien oder in Portugal, wo wir ebenfalls produzieren.

Eine der anderen Ebenen betrifft sicherlich die Preispolitik?

Richtig, die anderen Faktoren sind nicht sonderlich romantisch, schließlich sind wir ein Unternehmen in einem kapitalistischen System. Das, was ich mache, ist Kapitalismus und muss sich rechnen; auch wenn ich das nach bestem Wissen und Gewissen tue. Entsprechend müssen die Kleidungsstücke zu einem Preis verkauft werden, der die Kosten deckt – zum Beispiel für die Materialbeschaffung oder Mitarbeiter:innen. Und von dem wir leben können. Das ist das Offensichtliche. Steigt man aber tiefer ein, wird zum Beispiel auch relevant, wie schnell ein Stoff verfügbar ist. Es gibt äußerst schöne nachhaltige Stoffe, die aber leider nur zu einer – für uns viel zu großen – Mindestmenge verkauft werden. Die kommen dann nicht in Frage. Oder Stoffe, deren Wiederbeschaffung viel zu viel Zeit – und damit Geld – beansprucht. Es gibt unzählig viele Parameter, die alleine schon beim Einkauf eine Rolle für den späteren Preis spielen.

Der Spagat zwischen Wettbewerbsfähigkeit und wahren Produktionskosten

Zumal diese Preise mit denen der (Ultra)-Fast-Fashion-Industrie konkurrieren. Auch wenn das Bewusstsein inzwischen da ist, dass nachhaltigere Mode deutlich mehr kostet: Wie gelingt der Spagat zwischen Verkaufspreisen, die für eine breitere Masse attraktiv sein sollen; und Preisen, die Gewinn abwerfen? Und das unter der Prämisse, dass sie die wahren Produktionskosten abbilden? Stichwort: Faire Entlohnung der Näher:innen.

Dieser Spagat beschäftigt uns kontinuierlich – gerade jetzt, wo wir eine Cost-of-Living-Crisis haben. Vieles wird teurer. Das merken auch wir beim Einkauf. Dennoch wollen wir die höheren Kosten nicht 1:1 auf die Kund:innen abwälzen. Das bedeutet für uns im Umkehrschluss, dass wir zum Beispiel für ein nachhaltiges T-Shirt, das 49 Euro im Verkauf kosten soll, nicht den ultra-luxuriösen Stoff verwenden können. Oder wir das Design einer Bluse ändern müssen. Da würde etwa ein Interface – also ein zusätzlicher Stoff im Kragen – oder ein zusätzlicher Knopf am Ärmel das Stück teurer machen. Es gibt einige Stellschrauben, an denen wir drehen. Ich sag immer: Das ist wie in einem Cockpit, man muss auf mehrere Knöpfe gleichzeitig drücken, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Das gelingt aber auch nicht immer. Der Preis ist und bleibt ein ausschlaggebendes Argument, warum manchmal gewisse Kleidungsstücke bei uns nicht umgesetzt werden. Das ist natürlich frustrierend.

Vermutlich auch für die Kund:innen, die durch das breite Angebot von Billig-Mode mehrheitlich sozialisiert sind?

Ich meine das nicht vorwurfsvoll, aber ja: Auch wir haben Kund:innen, die nicht richtig nachvollziehen können, wieso es bestimmte Kleidungsstücke bei uns nicht gibt. Zum Beispiel Blazer, die so viele Komponenten benötigen, sodass man am Ende doch Plastik verarbeiten müsste. Wir bieten auch keine Kleider in Neonfarben oder mit Pailetten an. Mein Team und ich versuchen dann immer transparent zu machen, warum wir in unseren Möglichkeiten limitiert sind. Das ist einfach ein Lernprozess, in dem wir uns alle befinden.

Mehrkosten durch größere Größen: „völlig verkraftbar“

Auch wenn nicht jeder Kund:innenwunsch erfüllt werden kann: Auffällig ist, dass Sie – anders als die gängige Praxis – keinen Aufpreis für große Größen verlangen. Ist das schon inklusiv?

Inklusive Mode hat generell noch einen langen Weg vor sich. Dass Unternehmen keinen Aufpreis für etwas mehr Stoff verlangen, sollte selbstverständlich sein. Ich empfinde es auch als diskriminierend, dass große Menschen extra für mehr Beinfreiheit im Flugzeug bezahlen müssen. Die Mehrkosten durch größere Größen sind finanziell völlig verkraftbar. Es ist unternehmerisch gang und gäbe, Kosten zu verteilen und entsprechend einzupreisen. Außerdem wäre es – ganz nüchtern betrachtet – unternehmerisch dumm, große Größen nicht zu bedienen. Wenn die Durchschnittsgröße von Frauen bei 42 liegt, würde man ja an den Kund:innen vorbei produzieren. Man muss nicht besonders ethisch gepolt sein, um zu erkennen, dass diese Personen mit einbezogen werden müssen.

Apropos Ethik. Wie oft sind Sie selbst in den Produktionsstätten, um sich ein Bild von den Arbeitsbedingungen vor Ort zu machen?

Ich bin zwei bis vier Mal im Jahr vor Ort. Aber das heißt eigentlich gar nichts. Nicht falsch verstehen; es ist wichtig, dass Unternehmer:innen da sind. Ich kenne beispielsweise die Besitzer:innen der Fabrik, in der unsere Baumwollprodukte produziert werden, gut. Aber wenn Unternehmer:innen zu irgendwelchen Produktionsstätten fahren, dann wird ihnen gerne Mal der Hof gemacht und alles sieht tipptopp aus, obwohl das nicht stimmen muss. Am Ende muss ich mich – neben den durch die Zertifizierung implementierten Kontrollen – auf das Wort der Menschen ein Stück weit verlassen, mit denen ich zusammenarbeite. Schließlich bin ich beim Daily Doing nicht vor Ort; und somit auch nicht direkt in die Probleme involviert, die dort auftreten können. Was ich tun kann, ist möglichst fair mit allen, auch den Näher:innen, umzugehen. Zwischen Prozessen und Kontrollen steckt einfach auch viel Menschliches.

Fast Fashion – per se antifeministisch?

Wie sieht so ein fairer Umgang mit den Näher:innen neben Bezahlung und einem sicheren Arbeitsplatz aus? Kritiker:innen der derzeitigen Modebranche sagen, sie sei per se anti-feministisch, da die großen Modekonzerne Näher:innen systematisch ausbeuten würden. Und deshalb sollten Kund:innen sie nicht unterstützen, so das Argument.

Zwei Dinge hierzu. Erstens: Ich kann das Argument nachvollziehen. Aber nachhaltigere Mode muss man sich bislang leisten können – man muss die Wahl haben. Und die haben leider nicht alle Menschen. Dieser Kontext darf in der ganzen Nachhaltigkeitsdebatte nicht vergessen werden. Es gibt genügend Feminist:innen, die für mehr Gleichberechtigung eintreten, aber eben nicht das Geld haben, nur ethisch und ökologisch korrekt einzukaufen. Zweitens: Ein fairer Umgang mit den produzierenden Menschen bedeutet zum Beispiel, ihre Lebenswelten in die Produktionsprozesse mit einzubeziehen. Wir hatten so einen Fall für einen Teil unserer Näher:innen, die von zu Hause aus arbeiten wollten und in keiner Fabrik, die weiter weg liegt. Da so ein Home Office aber unter Sub-Contracting fällt, wäre das durch die Zertifizierung nicht erlaubt gewesen. Der Grund: Subunternehmen bergen die Gefahr der Ausbeutung. Wir haben dann aber einen Weg gefunden, den Mitarbeitenden entgegenzukommen – und gemerkt, dass das eine recht westliche Sicht ist, zu denken, die Näher:innen würden nicht auch Wert auf eine freie Arbeitseinteilung oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie legen.

„Deshalb wird dariadéh nicht an der Struktur rütteln“

Welche Herausforderungen sehen Sie für dariadéh in den kommenden Monaten?

Ich appelliere immer wieder an die Struktur. Was wir machen, wird nicht die Welt verändern. Mein Team und ich versuchen, ethisches Unternehmertum zu praktizieren – soweit das in kapitalistischen Strukturen eben möglich. Es ist eine politische Aufgabe, menschenunwürdigen und umweltschädlichen Praktiken entgegenzuwirken. Es braucht hier einen globalen Wandel. Deshalb wird dariadéh nicht an der Struktur rütteln, obgleich viele kleine Rädchen auch etwas Großes schaffen können.

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