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„Ein verzerrter Eindruck von Unsicherheit hat sich ausgebreitet“: Mai Thi Nguyen-Kim bei Luisa Neubauer

„Dieses Schwarz-Weiß-Bild müssen wir aufbrechen“: Mai Thi Nguyen-Kim bei Luisa Neubauer über die Herausforderungen der Wissenschaft
Foto: “Mai The Nguyen-Kim auf der Republic 19“ von Martin Kraft unter CC-BY-SA-4.0 via Wikimedia Commons, zugeschnitten / dpa - Paul Zinken

Egal ob Pandemie oder Klimaschutz – manche Menschen leugnen die Erkenntnisse der Wissenschaft. Das wurde in den letzten zwei Jahren so deutlich wie nie zuvor. Mai Thi Nguyen-Kim und Luisa Neubauer sprechen im Podcast über die Gründe des Misstrauens.

Die letzten Jahre Corona-Pandemie haben gezeigt, dass manche Menschen das Vertrauen in die Wissenschaft verloren haben. Chemikerin und Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim spricht mit Luisa Neubauer in ihrem „1,5-Grad“-Podcast darüber, wie sich die Skepsis entwickeln konnte und was sich in der Politik ändern muss.

Erkenntnisse in Wissenschaft entwickeln sich ständig weiter

Manche Menschen denken, Wissenschaftler:innen würden ständig Fehler machen und müssten sich ständig korrigieren, weil sie eigentlich gar keine Ahnung von dem hätten, was sie tun. Mai Thi Nguyen-Kim sieht einen Zusammenhang mit der kontinuierlichen Berichterstattung. Neue Erkenntnisse würden direkt in die Öffentlichkeit gelangen. Bei einigen Menschen entstehe dadurch der Eindruck: „Achso, das ändert sich ja eh jeden Tag, dann brauch ich auch erst gar nicht auf die Wissenschaft hören“, so Nguyen-Kim.

Während der Corona-Pandemie wurden immer wieder neue Erkenntnisse öffentlich kommuniziert und teils verbessert. Für viele Menschen war das ein Zeichen von Unsicherheit der Wissenschaftler:innen.
Während der Corona-Pandemie wurden immer wieder neue Erkenntnisse öffentlich kommuniziert und teils verbessert. Für viele Menschen war das ein Zeichen von Unsicherheit der Wissenschaftler:innen. (Foto: CC0 Public Domain / Pexels - CDC )

„Ein verzerrter Eindruck von Unsicherheit“ hätte sich dadurch ausgebreitet. In der Corona-Pandemie forschten Wissenschaftler:innen an einer unbekannten Ausprägung des Sars-Virus. Dadurch wurden jeden Tag neue Erkenntnisse offengelegt und somit änderten sich auch die daraus resultierenden Maßnahmen immer wieder.

Laut Nguyen-Kim gebe es zwei Lager: Eines, das ein falsches Verständnis einer unfehlbaren Wissenschaft hat und eines, das sagt, die Wahrheit gäbe es nicht. „Dieses Schwarz-Weiß-Bild müssen wir aufbrechen. … Ist es wirklich zu viel verlangt, sich auf Fakten zu einigen?“, fragt Nguyen-Kim.

Corona darf nicht zur Blaupause werden

Fakten sollten sowohl in der Pandemie als auch in der Klimakrise der Ausgangspunkt jeglicher Entscheidungen sein. Doch die Chemikerin sieht eine Herausforderung dabei im Umgang mit kurzfristigen versus langfristigen Entscheidungen. Wenn man früher handele, sei es kurzfristig vielleicht schlechter. Auf lange Sicht aber besser und auch meistens wirtschaftlich günstiger. Das treffe ihrer Meinung nach sowohl auf die Corona-Pandemie also auch auf die Klimakrise zu.

"Die Klimakrise ist eine Revolution. Jetzt gilt es, Aktivierungsenergie reinzustecken, um danach in eine lebenswertere Welt zu kommen", so Nguyen-Kim.
„Die Klimakrise ist eine Revolution. Jetzt gilt es, Aktivierungsenergie reinzustecken, um danach in eine lebenswertere Welt zu kommen“, so Nguyen-Kim. (Foto: CC0 Public Domain / Pexels - Nico Becker)

In der Pandemie gehe es darum „auszuharren, durchzuhalten, überleben, um irgendwann wieder in der Normalität anzukommen“. Bei der Klimakrise sei das eigentliche Ziel ein anderes. „Es ist eine Revolution. Jetzt gilt es, Aktivierungsenergie reinzustecken, um danach in eine lebenswertere Welt zu kommen“, so Nguyen-Kim.

Weg von individuellen Entscheidungen hin zu politischen

Entscheidend für eine lebenswertere Welt sei laut der Wissenschaftlerin allerdings ein Umdenken in der Gesellschaft. Man dürfe sich nicht länger mit dem Individualverhalten Einzelner aufhalten. Sie nennt ein Beispiel von zwei Nachbarn, die SUV fahren – der eine wählt die Grünen, der andere die CDU. Die meisten Menschen würden den Grünen-Wähler unsympathischer finden und ihn als Heuchler bezeichnen. „Das ist dem Klima aber erstmal scheißegal, wer da in dem SUV sitzt, was dem Klima aber nicht egal ist, wer gerade die politische Entscheidung trifft“, so die Wissenschaftlerin. Wir müssten alle auf die Politik zeigen, anstatt aufeinander.

"Das ist dem Klima aber erstmal scheißegal, wer da in dem SUV sitzt", so die Wissenschaftlerin.
„Das ist dem Klima aber erstmal scheißegal, wer da in dem SUV sitzt“, so die Wissenschaftlerin. (Foto: CC0 Public Domain / Pexels - Ricardo Esquivel)

Was wir stattdessen brauchen, weiß Nguyen-Kim auch: „Wir brauchen einen ausreichend hohen CO2-Preis, wir brauchen eine sozialgerechte Kompensation und wir brauchen flankierende (zusätzlich, begleitend) Maßnahmen für alle Bereiche, wo der Markt nicht regelt, wo der CO2-Preis alleine nicht regelt.“ Man könne schließlich nicht auf das Auto verzichten, wenn es keine Alternative gibt. „Nichts davon kann ich als Individualperson beeinflussen. Da muss man verstehen, wo die Verantwortung liegt. Und noch können sich Regierende auf der ganzen Welt recht entspannt zurücklehnen, weil dieser Druck aus der Bevölkerung noch nicht kommt“, so Nguyen-Kim.

Utopia meint: Mehr Menschen müssen sich mit den Fakten zur Klimakrise vertraut machen und dementsprechend aktiv werden. Das kann bedeuten, dass man den eigenen Alltag nachhaltiger gestaltet und zum Beispiel häufiger mit dem Fahrrad statt dem Auto fährt. Weil dies aber nicht für alle Menschen in allen Regionen gleichermaßen einfach ist, ist es auch wichtig, dass die Regierung handelt, um die Grundsteine für eine nachhaltige Zukunft zu legen.

Eine weitere Möglichkeit zu handeln ist es deswegen, politisch aktiv zu werden. Es hilft, auf die Straße zu gehen – mit Abstand und Vorsicht den Mitmenschen zuliebe: Fridays for Future streiken wieder: Wie du dich trotz Corona engagieren kannst. Genauso hilft es, sich an Petitionen zu beteiligen, sich politisch zu engagieren und mit Mitmenschen ins Gespräch zu kommen. Und auch wenn du vielleicht schon Wut verspürst, weil du denkst, dass zu wenig unternommen wird, sollten wir alle freundlich und respektvoll miteinander kommunizieren. Kein:e störrische:r Verwandte:r wird sich umstimmen lassen, wenn du ihn/sie persönlich angreifst und verletzt.

Wenn du nicht genau weißt, was du in Diskussionen sagen kannst, haben wir hier Tipps für dich:

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