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„Mit Ekel reagieren“: Ernährungspsychologin erklärt soziale Tabus beim Essen

"Mit Ekel reagieren": Ernährungspsychologin über Intuition und soziale Tabus beim Essen
Foto: CC0 / Unsplash / Jan Baborak

Was einem schmeckt und was nicht, bestimmt nicht nur die eigene Intuition. Eine Expertin erklärt, wovon individuelle Vorlieben beim Essen sonst noch abhängen und warum Diäten und Verbote nicht dabei helfen, gesünder zu essen.

Die eigene Ernährungsweise hängt nicht nur von einem selbst ab, sondern auch stark von gesellschaftlichen Tabus und Erziehung. Das erläutert Prof. Dr. Katja Kröller in einem Gespräch mit dem Spiegel. Die Ernährungspsychologin forscht an der Hochschule Anhalt zu den psychologischen Aspekten, die beim Essen eine Rolle spielen – und wie man langfristige Verhaltensänderungen erreicht.

Kröller zufolge verlernen Menschen das intuitive Essen schon früh – „also auf das Bauchgefühl zu hören, nur dann zu essen, wenn wir Hunger haben und aufzuhören, wenn wir satt sind.“

Soziale Normen bestimmen, wie und was wir essen

Der Grund dafür sollen gesellschaftliche Veränderungen sein, wie Kröller ausführt. In der Steinzeit haben Menschen gegessen, um ihren Hunger zu stillen. In modernen Industrienationen dagegen, in denen Nahrungsmittel im Überfluss vorhanden sind, diene Essen nicht mehr länger nur der Aufnahme von Nährstoffen, erklärt die Expertin weiter. Stattdessen bekomme Essen eine soziale und emotionale Funktion.

Schon Kleinkinder, so Kröller, lernen, nicht dann zu essen, wenn sie hungrig sind, sondern zu normierten Essenszeiten. Zudem werde Essen in der Kindererziehung oft zu pädagogischen Zwecken, beispielsweise zur Belohnung, eingesetzt. Aus diesem Grund würden Menschen später Essen häufig mit bestimmten Emotionen verbinden. Folglich haben vor allem gesellschaftliche Normen und individuelle Erfahrungen in der Kindheit, und nicht die körpereigene Intuition, einen Einfluss auf Essgewohnheiten.

Auch Ekel und Tabus sind teilweise erlernt

Dasselbe gelte auch für Ekelgefühle und Nahrungs-Tabus. Diese sind laut Kröller zwar zum Teil durch Intuition geregelt. Zum Beispiel, indem Menschen Nahrungsmittel ablehnen, die verdorben aussehen. Jedoch gibt es auch hier eine erlernte Komponente, wie Kröller darlegt: „Oft haben wir Abneigungen und Ekel auch erlernt, etwa wenn wir ein bestimmtes Produkt gegessen haben, das uns in dieser Situation nicht bekommen ist.“ 

Weiter sagt sie: „Wir sprechen in der Forschung tatsächlich von Tabus, das hat aber etwas mit dem zu tun, was ich im Umfeld praktisch kennengelernt habe. Und daraus entsteht dann eine soziale Norm, auf die man durchaus mit Ekel reagieren kann, auch wenn es eigentlich einfach nur Fleisch ist.“ Individuelle Erfahrungen in der Kindheit seien also zum Teil dafür verantwortlich, welche Nahrungsmittel abgelehnt werden. 

Diese Normen lassen sich der Expertin zufolge allerdings verändern. Wie etwa die Verwendung von Insekten in Nahrungsmitteln zeige. Das Tabu, Insekten zu essen, halte Menschen nicht davon ab, Lebensmittel mit Insektenmehl zu probieren. Denn so hätten wir „nur abstraktes Wissen“ über den fraglichen Inhaltsstoff. Wenn hingegen ganze Insekten erkennbar enthalten seien, würde es schwieriger.

Zudem vermutet Kröller, dass die jüngeren Generationen eher bereit ist, Neues zu probieren und glaubt darum an die Zukunft von Insektenmehl.

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Statt Verbote: Spielerischer Umgang mit Essen

Die individuelle Erziehung beeinflusst ebenfalls die Essgewohnheiten. Zwang und Verbote wirken hier eher kontraproduktiv. Denn Verbote führen nachweislich eher dazu, so Kröller, „dass man Lust auf das Verbotene bekommt“.

Stattdessen würden Kinder vor allem durch einen spielerischen Zugang zum Essen lernen, sich damit auf gesunde Art und Weise auseinanderzusetzen. Die Forscherin beschreibt so eine von ihr durchgeführte Studie mit Kindergartenkindern. Diese durften auf verschiedene Arten mit Obst und Gemüse spielen, bevor sie es aßen. Danach mochten die Kinder, wie die Studie herausfand, alle Sorten mehr als vorher.

In der Kindererziehung könne dies etwa bedeuten, dem Nachwuchs immer wieder gesunde Nahrungsmittel ohne Zwang anzubieten. Denn je öfter ein Nahrungsmittel angeboten würde, desto eher würden Kinder es probieren und dann gegebenenfalls eine Präferenz dafür entwickeln. Kröller fasst zusammen: „Wir essen nicht die Dinge, die wir mögen, sondern wir mögen die Dinge, die wir besonders häufig essen.“ Gesunde Ernährung sei also auch eine Folge positiver Erfahrungen.

In diesem Sinne rät Kröller auch von einem strengen Diätregime ab. Stattdessen schlägt sie vor, bewusst wieder ein intuitives Essverhalten zu entwickeln, also nur bei Hunger Nahrung aufzunehmen. „Anders als bei Diäten gibt es beim intuitiven Essen keine Einschränkungen, dass bestimmte Nahrungsmittel verboten wären.“ Ein solcher intuitiver und spielerischer Zugang zu Essen könne darum langfristig zu gesünderen Ernährungsgewohnheiten beitragen.

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