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Neubauer hält AKW-Streckbetrieb für vertretbar – Gesamtmetall-Chef spricht von neuen Atommeilern

Luisa Neubauer
Foto: Paul Zinken/dpa

Die Bundesregierung will einen Stresstest, der Gesamtmetall-Chef bringt neue Atommeiler ins Spiel: FDP und Union hatten die Debatte um Laufzeitverlängerungen der AKW angestoßen. Nun wird über den Streckbetrieb diskutiert.

Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer hält eine begrenzte Laufzeitverlängerung der noch in Betrieb befindlichen deutschen Atomkraftwerke für vertretbar. „Was derzeit konkret in der Diskussion ist, ist der Streckbetrieb – also ein Weiterbetrieb der verbleibenden AKW für wenige Monate, ohne dass aber neue Brennstäbe gekauft werden. Das wäre ein Provisorium und keine grundlegende Weichenstellung“, sagte sie dem Tagesspiegel. Darin sieht Neubauer kein Problem, bezweifelt allerdings den Nutzen einer solchen Maßnahme.

Derzeit liefern die drei noch laufenden AKW Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 etwa 30 Terrawattstunden Strom pro Jahr und machen einen Anteil von rund fünf Prozent an der deutschen Stromproduktion aus.

Neubauer kritisiert Grundsatzdebatte um Atomkraft

Neubauer kritisierte, einige politische Kräfte wünschten sich eine Grundsatzdebatte um Energieversorgung und den Kauf neuer Brennelemente. „Ihnen geht es nicht mehr um einen Übergang, sondern um die Verhinderung einer echten Energiewende weg von Kohle, Gas, Öl und Atom.“ Wegen der Drosselung von Gaslieferungen durch Russland hatten FDP und Union die Debatte um Laufzeitverlängerungen angestoßen. Nach aktuell geltendem Recht müssen die drei verbliebenen AKW spätestens am 31. Dezember 2022 abgeschaltet werden.

Der Bundesregierung warf Neubauer vor, ihre Klimaschutzversprechen hintenanzustellen. „Die Bundesregierung entscheidet sich unterm Strich gerade, angesichts des Krieges die Klimakrise so zu behandeln als würde das Klima in irgendeiner Weise auf uns warten.“ Sie kritisierte den von der Regierung geplanten Import von Flüssigerdgas als zu weitreichend. „Da geht es nicht um einen Übergang. Damit legen wir uns fest.“ Aus der Energiekrise heraus würden Entscheidungen für Jahrzehnte getroffen. „Das ist irre.“

„Das geht doch nicht auf“

Neubauer widersprach aber dem Argument, Atomkraft könne zum Klimaschutz beitragen. Dieser wolle Katastrophenrisiken mindern. „Jetzt aus einem Katastrophenschutzgrund – Klimaschutz – für Atomkraft zu plädieren, wohl wissend, dass Atomkraft selbst ein großes Risiko mit sich bringt für eine andere Art von Katastrophen – das geht doch nicht auf.“ Neubauer sprach sich stattdessen für erneuerbare Energien aus – die brächten kaum Risiken mit sich.

In der Debatte um längere AKW-Laufzeiten wollen die CSU und die Industrie den Druck auf die Ampel-Regierung erhöhen. Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, sprach sich am Wochenende für einen Weiterbetrieb der noch laufenden Atomkraftwerke aus – er will auch über den Bau neuer Reaktoren reden. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hält verlängerte Laufzeiten von Meilern um mehrere Jahre für möglich. Auch andere Politiker von Union und FDP forderten längere Laufzeiten, um kurzfristig mögliche Stromengpässe im Winter im Zuge des Ukraine-Kriegs zu überbrücken.

Vor allem die in der Ampel mitregierenden Grünen tun sich aber schwer mit dem Thema. Sie hatten im Programm zur Bundestagswahl 2021 versprochen: „Wir werden den Atomausstieg in Deutschland vollenden.“ Sollte sich eine Notsituation abzeichnen, schlossen mehrere Grünen-Politiker aber bereits einen Streckbetrieb mit den vorhandenen Brennelementen noch laufender Atomkraftwerke nicht aus.

Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang erteilte einem Wiedereinstieg in die Atomkraft eine Absage. Sie sagte am Sonntag im ZDF-Sommerinterview mit Blick auf Aussagen von Finanzminister Christian Lindner (FDP), wonach Atomkraftwerke bis 2024 notfalls am Netz bleiben müssten: „Das, was Christian Lindner da will, ist nichts anderes als der Wiedereinstieg in die Atomkraft. Und das wird es mit uns auf jeden Fall nicht geben.“

Gesamtmetall-Chef will Debatte über Bau neuer Atommeiler

Gesamtmetall-Präsident Wolf sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, er halte eine längere Laufzeit für absolut notwendig. So könne man die Verstromung von Gas deutlich reduzieren und dazu beitragen, die Stromversorgung zu sichern, wenn kein Gas mehr zu Verfügung stehe. „Wir müssen aber auch eine Debatte über den Bau von neuen Atomkraftwerken führen“, sagte er. „Weltweit werden derzeit 50 neue Atomkraftwerke gebaut, die Technik hat sich weiterentwickelt.“

Dobrindt forderte in der Welt am Sonntag eine Entscheidung zur „Vernunft-Energie“. Mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin sagte er: „Wir werden uns noch lange Zeit Putins brutalem Versuch, den Westen durch Energieterror zu destabilisieren, ausgesetzt sehen. In dieser Lage sind Laufzeitverlängerungen für die Kernkraft von mindestens weiteren fünf Jahren denkbar.“

Noch drei Atomkraftwerke in Betrieb – Stresstest angeordnet

Für die verbleibenden drei AKW hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)  einen neuen Stresstest zur Stromversorgung angeordnet. Ergebnisse sollen laut Ministerium in den nächsten Wochen vorliegen.

Der Hintergrund: Erdgas, das knapp zu werden droht, wird tatsächlich vor allem zum Heizen eingesetzt. Es trägt aber auch rund zehn Prozent zur Stromproduktion in Deutschland bei. Wenn man länger auf Atomenergie setzen würde, könnte man also mehr Gas zum Heizen nutzen.

Der frühere Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) hält zur Klärung der Grünen-Position zu längeren AKW-Laufzeiten einen Parteitag für nötig, wie er dem Tagesspiegel sagte. Er selbst sprach sich klar gegen eine Verlängerung aus. Er betonte, auch ein Streckbetrieb sei eine Laufzeitverlängerung.

Bundesamt gegen Laufzeitverlängerungen

Der Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, Wolfram König, lehnt verlängerte Laufzeiten von Atomkraftwerken in Deutschland ab. Er sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „Der mühsam errungene gesellschaftliche Konsens würde auch grundsätzlich infrage gestellt werden.“

Nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 hatte der Bundestag den Atomausstieg bis 2022 beschlossen. SPD und Grüne – damals in der Opposition – unterstützten den Kurs der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).

Warum eine Verzögerung des Atomkraft-Ausstiegs riskant ist, hat Utopia hier für euch zusammengefasst: Bei Energie unabhängig von Russland werden: Wieso Atomkraft der falsche Weg ist

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