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„Traut ihr euch?“: Eismacher fertigt Eis aus Insekten

Ein Eismacher verkauft Eis mit Insekten
Foto: Unsplash / Cadenc _moving // Pixabay / Pixel-mixer (Symbolbilder)

Er hat schon ungewöhnliche Eiscremes gefertigt. Aber die neueste Kreation eines Eisverkäufers aus Baden-Württemberg stößt bei Kund:innen auf gemischte Reaktionen. Denn sie enthält Insekten – eine Folge des neuen EU-Rechts.

„Traut ihr euch?“, fragt Thomas Micolino herausfordernd, wenn man seine Eisdiele betritt. Die Frage bezieht sich auf den Inhalt des Metallbehälters, der da ganz links an der Theke auf die Kund:innen wartet. Vier Kilo frische, hellbraune Eiscreme liegen da, drapiert auf einem grünen Kunstrasen, sorgfältig abgetrennt von den restlichen, üblichen Sorten, von Malaga, Mango und Schokolade. Sicherheitsabstand vom Spezialeis – damit sich die Gäste nicht ekeln.

Eine Verwechslung ist sowieso ausgeschlossen. Die spezielle Eiscreme ist garniert mit getrockneten braunen Insekten. Tote Grillen befinden sich auf dem Speiseeis. Damit klar wird, dass genau das drin ist: Getrocknete Heimchen, Acheta domesticus, Hausgrillen. In jeder anderen Küche würde man bei diesem Anblick nach einem kurzen Aufschrei den Kammerjäger rufen. Bei Thomas Micolino hört man die Frage: „Waffel oder Becher?“

Micolino, 33 Jahre alt, führt eine eher ungewöhnliche Eisdiele, mitten auf dem Marktplatz in Rottenburg am Neckar, zwischen Schwäbischer Alb und Schwarzwald. Immer wieder sorgte er mit seinen Kreationen für Aufsehen. Einmal stellte er eine Eissorte mit echtem Blattgold her („Musste ich wieder einstellen, vier Euro die Kugel war für viele zu teuer“), auch Gorgonzola oder Leberwurst bot er schon als Sorten an. Nun produziert er Eis aus Insekten.

Warum? Vor allem weil Micolino laut Gesetzgebung nun darf. Seit geraumer Zeit dürfen Hausgrillen nach EU-Recht in Lebensmitteln verwendet werden. Die Insekten dürfen nun gefroren, getrocknet oder als Pulver verwendet werden, ebenso wie die Larven des Getreideschimmelkäfers. Ähnliche Regeln gibt es bereits für Wanderheuschrecken und Larven des Mehlkäfers.

Insekten als Nahrungsmittel? „Das wird eine große Rolle spielen“

Insekten gelten als nahrhaft und reich an Proteinen, sie zählen in vielen Ländern zur gewöhnlichen Küche. Die Verbraucherzentrale Hamburg spricht bislang von einem ganz kleinen Nischenmarkt. Aber Insekten können zu einer nachhaltigen Ernährung beitragen, da sie verhältnismäßig ressourcenschonend gezüchtet werden können, heißt es bislang. „Das wird eine große Rolle spielen in der Ernährung der Menschheit in Zukunft“, meint Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).

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„Mir wird langweilig, wenn ich immer dasselbe mache“

Micolino behauptet, er habe die erste deutsche Eisdiele mit Insekten-Eis, überprüfen lässt sich das schwer. Es soll kein Marketinggag sein, ihn habe einfach die Lust am Experimentieren getrieben. Er habe selbst schon Insekten im Urlaub probiert, auch Schlange und Krokodil, berichtet er. „Mir wird langweilig, wenn ich immer dasselbe mache.“ Monatelang hat er in seiner kleinen Eisfabrik im Hinterzimmer herumprobiert, an der richtigen Komposition mit den Tieren gearbeitet, den Geschmack verfeinert. Er bezieht die Grillen aus einer Zucht aus der Region, kocht das Pulver extra nochmal ab bei 90 Grad. Um vier Kilo Eis herzustellen, braucht er 200 Gramm Heimchen-Mehl, dazu unter anderem Sahne, Zucker, Milch, Vanille, Cookies und Wildhonig aus dem Schwarzwald.

Aber natürlich freut sich der Eisverkäufer über die Aufmerksamkeit für seinen kleinen Laden. Nach einem Instagram-Post über das Insekten-Eis meldete sich die örtliche Zeitung, seitdem geben sich die Journalist:innen die Klinke in die Hand. Eigentlich wollte er sein Insekten-Milcheis nur ein paar Tage anbieten, aber nun verlängert er aufgrund des Andrangs die Aktion.

Kund:innen schwanken zwischen Neugierde und Ekel

Die Kund:innen schwanken zwischen Neugierde und Ekel. Viele Kund:innen wollen zumindest einmal probieren. „Sonst kann ich nicht mitreden“, sagt einer, der eine Portion Grillen-Eis aus der Waffel schleckt. Ins Dschungelcamp, sagt er, würde er zwar nicht gehen, aber so ein wenig Insekten-Eis finde er nicht eklig. „Solange mich keine Augen dabei angucken“, sagt er. Nussig schmecke es. „Haferflockig, etwas bitter“, urteilt ein weiterer Kunde.

Bislang sei niemand, der probiert habe, enttäuscht gewesen, berichtet Micolino. Aber die Reaktion fällt bei Weitem nicht nur positiv aus. In den sozialen Medien haben empörte Follower:innen ihm die Kundschaft aufgekündigt. Er präsentiert auf seinem Handy eine Wut-Mail. „Müssen Sie jeden Sch… mitmachen?“ schreibt ihm da einer. Der Eisverkäufer kann das nicht verstehen, schließlich zwinge er die Menschen ja nicht dazu, sagt er. „Das ist nur eine Kopfsache.“ Jeder, der dagegen sei, solle vorbeikommen und probieren. Er lockt seine Kund:innen sogar mit einem Angebot: Jede:r, der/die eine Kugel Insekten-Eis bestellt, bekommt eine zweite Kugel der Wahl spendiert.

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