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Verschwörungserzählungen: Biologische Gründe für den Irrglauben

Verschwörungserzählungen: Biologische Gründe für den Glauben
Foto: CC0 Public Domain / Pixabay - mhouge

Im Zusammenhang mit Corona haben sich besonders viele Menschen zu Verschwörungserzählungen hingezogen gefühlt und diese verbreitet. Doch warum hat der Glaube an sie zugenommen und warum ist es so schwer sich von ihnen loszulösen? Erste Erklärungen bietet Hirnforscherin Katharina Schmack.

Etwa 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland glaubt an Verschwörungserzählungen im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine, wie aus einer aktuellen Umfrage des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) hervorgeht. Bei der Studie mit 2.031 Teilnehmenden wurde die Zustimmung unter anderem folgender Aussagen abgefragt: „Der Krieg in der Ukraine dient nur der Ablenkung von der Corona-Pandemie“, „Putin geht gegen eine globale Elite vor, die im Hintergrund die Fäden zieht“ und „Putin wird vom Westen zum Sündenbock für alles gemacht, um von den wahren Problemen abzulenken“. Doch warum glauben Menschen an solche Verschwörungstheorien und halten an ihnen fest?

In einem Gespräch mit der Zeit äußerte die Londoner Hirnforscherin Katharina Schmack biologische Gründe, warum Menschen an Verschwörungserzählungen glauben. Das Thema beschäftigt Soziologie, Politikwissenschaft und Psychologie schon lange. Schmack bietet verschiedene Erklärungen und führt Studien als Beleg an. Bei einigen Aussagen ist die Wissenschaftlerin vorsichtig; es scheint plausibel zu sein, aber noch nicht endgültig erforscht.

Ist es das Bedürfnis, anders zu sein als die anderen, oder die Überforderung in Krisenzeiten, die Menschen dazu bringt an Verschwörungserzählungen zu glauben. Aber warum sind es dann gleich irrationale Thesen und warum lassen sich Betroffene nicht von Argumenten überzeugen?

Muster erkennen, wo keine sind – Dopamin wird ausgeschüttet

Eine der Erklärungen von Schmack ist die Veranlagung, Muster zu erkennen, wo keine sind. Wir alle erlernen Zusammenhänge: Wir wissen, dass ein Donnergrollen in der Ferne schon auf ein Gewitter hinweist. Doch Muster zu sehen, wo keine sind, nennen Wissenschaftler:innen „illusorische Mustererkennung“.

Das zeigt auch eine Studie aus dem Jahr 2017 der Vrije Universität Amsterdam und der University of Kent. Durch Fragebögen ermittelten die Forscher:innen, wie sehr Menschen an Verschwörungserzählungen glaubten und zeigten ihnen Bilder von den Künstlern Victor Vasarely und Jackson Pollock. Vasarely malt mit symmetrischen Formen und Ordnung, Pollock im völligen Chaos. Es zeigte sich ein Zusammenhang: Menschen, die an Verschwörungserzählungen glaubten, sahen in den chaotischen Gemälden Muster und Ordnungen.

Wer Muster erkennt, fühlt sich gut und stößt Dopamin aus. Denn man hat etwas verstanden, was vielleicht niemand anderes versteht. Dopamin ist unser Glückshormon, wir stoßen es auch beim Sex, beim Verzehr von Zucker und der Einnahme von Drogen aus. Schmack vermutete gegenüber der Zeit, dass Verschwörungserzählungen dann wie eine Droge wirken und Menschen davon süchtig werden können. Denn wer Dopamin ausschüttet, der möchte immer mehr davon erleben. Das sei aber bisher nur eine Theorie der Wissenschaftlerin, an der noch weiter geforscht werden müsse.

Informationen werden den Erwartungen angepasst

Als Grund, warum Menschen sich nur schwer abbringen lassen von Verschwörungserzählungen, sieht Schmack die Erwartungshaltung. Es könne sein, dass die Gehirne von Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben, Erwartungen mehr gewichten und sie Dinge so sehen, wie sie sie erwarten. Das wäre damit auch eine Erklärung, warum Argumente an Betroffenen quasi abperlen. Denn sensorische Informationen werden nur in der Form wahrgenommen, in der sie zu den eigenen Erwartungen passen. Dadurch geraten Menschen in einen Strudel, aus dem sie nicht mehr oder nur sehr schwer herausfinden.

Dazu nannte die Hirnforscherin ein Experiment, das sie bereits 2013 mit Kolleg:innen der Charité, der Humboldt-Universität  und des Karolinska-Instituts durchführte. Die Forscher:innen zeigten Proband:innen eine 3-D-Animation einer Kugel, die sich sowohl nach links als auch nach rechts drehen kann, und brachten die Proband:innen dazu, zu erwarten, dass sich die Kugel nur in eine Richtung drehe, was sie nicht tat. Mit visuellen Arealen im Gehirn konnten die Forschenden nachweisen, dass die Teilnehmer:innen ihre Wahrnehmung ihren Erwartungen anpassten und tatsächlich nur eine Drehrichtung sahen. Der Effekt war größer bei denjenigen, die an Verschwörungserzählungen glauben.

Schmack wisse, dass die Realität komplexer sei als ein Laborexperiment, dennoch ließen sich Schlüsse ziehen. „Wir alle benutzen Erwartungen, wenn wir Dinge wahrnehmen. Aber es ist wichtig, dass man die richtige Balance hat, durch seine eigenen Erwartungen seine Umwelt strukturiert und gleichzeitig offen bleibt für neue Information.“

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