Utopia Image

Akuter Krisenmodus: Wie der Ukraine-Krieg den täglichen Einkauf beeinflusst

Die Reize im Supermarkt können das Einkaufen für autistische Menschen deutlich erschweren.
Foto: CC0 Public Domain / Pexels - Mehrad Vosoughi

Der tägliche Einkauf stellt viele Verbraucher:innen zur Zeit vor große Herausforderungen. Produktpreise steigen. Damit das Geld nicht knapp wird, krempeln die Menschen ihr Konsumverhalten um, wie Marktforscher:innen beobachten. Aber mit welchen sozialen und ökologischen Folgen?

Häufiger beim Discounter einkaufen, auf teure Markenartikel verzichten und mehr auf Sonderangebote achten: Der Ukraine-Krieg und die rasant steigenden Preise bei vielen Produkten haben das Einkaufsverhalten vieler Menschen in Deutschland innerhalb weniger Wochen verändert. Das zeigen aktuelle Umfragen und Daten von Marktforscher:innen.

„Haushalte reagieren sehr schnell, wenn sich die Rahmenbedingungen stark verändern“, sagte der Handelsexperte Robert Kecskes vom Marktforschungsunternehmen GfK der Deutschen Presse-Agentur. „Das war bei der Pandemie so, und es ist jetzt beim Ukraine-Krieg und der hohen Inflationsrate genauso.“ Die Menschen seien verunsichert, viele spürten, dass ihr frei verfügbares Einkommen schrumpfe und das habe deutliche Auswirkungen auf ihr Einkaufsverhalten.

„Konsumverhalten auf Sparflamme“

Das Kölner Handelsforschungsinstitut ECC spricht in einer aktuellen Studie schon von einem „Konsumverhalten auf Sparflamme“. Laut ECC wollen fast zwei Drittel der Menschen (64 Prozent) in der nächsten Zeit beim Einkaufen mehr sparen. Größere Anschaffungen würden aufgeschoben. Und natürlich werde auch beim Lebensmitteleinkauf gespart.

Hier ist der Einschnitt sogar besonders spürbar. Denn der Lebensmittelhandel gehörte zu den größten Gewinnern der Corona-Krise. Während der Pandemie mit ihren Lockdowns hatten die Bürger:innen das Geld, das sie nicht in Restaurants, Bars oder für Urlaubsreisen los werden konnten, zu einem beträchtlichen Teil im Lebensmittelhandel ausgegeben. Man gönnte sich etwas und griff öfter zu den teureren Produkten. Das ist vorbei.

Jetzt wird wieder auf den Cent geschaut. Und die Zahlen und Umfragen der Marktforscher:innen zeigen, auf welche Strategien die Verbraucher:innen dabei setzen. „Die Menschen sind kreativ und finden Lösungen, ihre Standards zu halten, ohne sprunghaft mehr Geld ausgeben zu müssen“, urteilt Kecskes.

Laut der Expert:innen haben die Verbraucher:innen ihr Einkaufsverhalten folgendermaßen umgestellt:

Sparmaßnahme Nummer eins: Mehr Preise vergleichen und mehr Sonderangebote kaufen. Laut ECC-Umfrage achten inzwischen fast zwei Drittel (61 Prozent) der Konsument:innen genauer als früher auf die Preise und greifen öfter zu Sonderangeboten. „Die Menschen passen auch wieder stärker darauf auf, dass sie nicht zu viel einkaufen, damit nichts weggeworfen werden muss“, beobachtet Kecskes.

Sparmaßnahme Nummer zwei: Verzicht auf teure Markenartikel. Knapp die Hälfte der Verbraucher:innen (48 Prozent) verzichten der ECC-Umfrage zufolge aktuell öfter mal auf teure Marken – und greift stattdessen lieber zu den preisgünstigeren Eigenmarken der Handelsketten. „Dieses Umsteigen beobachten wir in den letzten Monaten immer häufiger“, bestätigt auch GfK-Experte Kecskes.

„Hersteller von hochwertigen Markenartikeln werden in den nächsten Monaten im Lebensmittelhandel zu kämpfen haben. Denn angesichts der knappen Kassen werden niedrig- und mittelpreisige Marken an Bedeutung gewinnen“, ist auch Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU in Düsseldorf überzeugt. Das gelte insbesondere für die Eigenmarken der Händler, wenn sie den Kunden einen Mehrwert – wie etwa Bio oder regionale Herkunft – böten.

Sparmaßnahme Nummer drei: Die Menschen kaufen vermehrt bei den Discountern ein. „Von der Corona-Krise haben in erster Linie die Supermärkte profitiert, weil sich die Menschen in der Pandemie etwas Gutes tun wollten. Diese Verwöhnphase ist jetzt vorbei. Jetzt schlägt wieder die Stunde der Discounter“, so Fassnacht. Tatsächlich kehrten nach den Zahlen der GfK im März zahlreiche Verbraucher:innen den teureren Einkaufsstätten wie dem Fachhandel und den Supermärkten den Rücken und erledigten ihre Einkäufe lieber bei Aldi, Lidl und Co.. Der Marktanteil der Discounter wachse nach langer Zeit wieder, heißt es bei der GfK.

Sparmaßnahme Nummer vier: Konsumverzicht. Nach der Umfrage der ECC wurden infolge des Ukraine-Krieges vor allem Möbeleinkäufe aufgeschoben, aber auch bei Mode und Elektronik zögerten wegen des Kriegs ein Drittel der Befragten mit Neuanschaffungen. „Viele Leute werden nur noch das Nötigste kaufen. Die Leute horten ihr Geld“, sagt Fassnacht.

Auch am Lebensmittelhandel werde der Konsumverzicht vieler Verbraucher:innen nicht vorbeigehen, ist Branchenkenner Kecskes überzeugt. Da werde dann etwa angesichts gestiegener Kosten weniger Fleisch gegessen oder ein Löffel weniger Kaffeepulver in den Filter getan. Die Weinhändler:innen klagen bereits über spürbare Umsatzrückgänge.

„Die aktuellen Entwicklungen sind ein Schock für viele Verbraucher:innen. Die Menschen hatten gerade gehofft, dass nach der Pandemie alles wieder normaler wird – und dann kam der Krieg und damit wieder das Gefühl der eigenen Machtlosigkeit“, sagt Kecskes. „Das erhöht die Ängste und das sehen wir deutlich im Kaufverhalten.“

Billig-Ware geht oft zu Lasten der Umwelt und der Menschen

Utopia meint: Der Krieg in der Ukraine erschüttert Selbstverständlichkeiten. Die meisten Menschen sind angehalten zu sparen – insbesondere diejenigen, die bereits vor der Krise finanziell benachteiligt waren. Bürger:innen, die etwa im Niedriglohnsektor arbeiten, kann kaum übel genommen werden, dass sie nun besonders auf die Preise achten – und gegebenenfalls zu Produkte greifen, die nicht ökologisch oder fair produziert sind, da diese in der Regel teurer sind. Die Folgen einer erhöhten Nachfrage nach preisgünstigen Produkten sind derzeit noch unklar und hängen wohl auch von der Dauer dieses Trends ab. Jedoch geht sogenannte Billig-Ware, seien es Lebensmittel oder auch Kleidung, oft zu Lasten der Umwelt und der Menschen, die sie unter teils widrigen Bedingungen herstellen. Dieser Zustand könnte demnach verstärkt werden.

Wenn wir aber bereits laut den Marktforscher:innen anfangen, weniger zu kaufen, damit wir nichts wegwerfen müssen, könnten wir uns in einem zweiten Schritt fragen: Warum kaufen wir nicht grundsätzlich überlegter ein und lernen Produkte neu wertzuschätzen, fernab des akuten Krisen-Modus? Schwierige Zeiten wie diese bieten vor allem dem wohlhabenderen Teil der Gesellschaft die Möglichkeit, sein Konsum- und Einkaufsverhalten dauerhaft zu verändern, und eben nicht zu einem späteren Zeitpunkt in alte Muster zurückzufallen. Erst kürzlich haben so viele Unternehmen wie noch nie erklärt, ihre Preise in den kommenden drei Monaten zu erhöhen – um so die für sie gestiegenen Kosten an die Endverbraucher:innen weiterzugeben.

** mit ** markierte oder orange unterstrichene Links zu Bezugsquellen sind teilweise Partner-Links: Wenn ihr hier kauft, unterstützt ihr aktiv Utopia.de, denn wir erhalten dann einen kleinen Teil vom Verkaufserlös. Mehr Infos.

Gefällt dir dieser Beitrag?

Vielen Dank für deine Stimme!

Verwandte Themen: