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„Wie der wilde Westen“: Darum ist Long Covid schwer zu bekämpfen

„Wie der wilde Westen“: Darum ist Long Covid schwer zu

Noch immer gibt es keine wissenschaftlich belegte Behandlung gegen Long Covid. Woran das liegt und ob es Hoffnung für die Zukunft gibt, erfährst du in diesem Artikel.

Zehn Prozent aller Covid-Erkrankten leiden laut der Initiative Long Covid Deutschland länger als drei Monate nach der Infektion an anhaltenden oder neu auftretenden Beschwerden. Dies tritt auch bei einem milden oder sogar asymptomatischen Verlauf auf.

Mediziner:innen sind nach wie vor ratlos, welche Behandlungen sie Long Covid Patient:innen empfehlen könnten. Denn bislang gibt es keine einzige Behandlungsmethode, die erwiesenermaßen gegen das relativ neue gesundheitliche Phänomen wirkt, so das Fachmagazin nature.

Der Immunologe Danny Altmann vom Imperial College London fasst die aktuelle Situation deshalb mit den Worten zusammen: „If you look at long COVID at this moment in time, I’d paint a slightly ‘Wild West’ and desperate picture really.“ – „Wenn man sich Long Covid im Moment ansieht, würde ich da fast schon ein Bild vom ‚Wilden Westen’ malen, ein verzweifeltes Bild eigentlich.“

Long Covid: Ein komplexes Krankheitsbild

Ein zentraler Grund für die Ratlosigkeit von Forschenden gegenüber Long Covid, ist die Komplexität der Erkrankung. So ist bislang immer noch unklar, warum manche Menschen nach einer Corona-Infektion Long-Covid-Symptome entwickeln. Da die Hauptursache des Krankheitsbildes nicht geklärt ist, ist es Wissenschaftler:innen deutlich erschwert, passende Behandlungsmethoden zu entwerfen.

Es gibt jedoch schon einige Thesen, die die Entstehung von Long Covid erklären können. So finden sich Hinweise darauf, dass das Virus zumindest in Teilen auch lange nach der Infektion noch das Immunsystem stimuliert und dementsprechende Beschwerden verursacht.

Es könnte auch sein, dass durch Covid erzeugte Antikörper körpereigene Proteine angreifen oder das Virus kleine Blutgerinnsel verursacht. Forschende gehen davon aus, dass auch mehrere dieser Hypothesen stimmen könnten und Long Covid somit durch eine Vielzahl von Faktoren ausgelöst wird.

Bisher handelt es sich um Annahmen, die noch nicht abschließend geklärt sind.

Mehr als 200 Long-Covid-Symptome

Mehr als 200 Symptome werden derzeit mit Long Covid in Verbindung gebracht.
Mehr als 200 Symptome werden derzeit mit Long Covid in Verbindung gebracht.

Ein weiteres Problem ist, dass es bislang noch keine klaren Schlüsselsymptome gibt, die Long Covid eindeutig als klar abzugrenzende Krankheit auszeichnen. So gibt es bislang über 200 Symptome, die mit Long Covid in Verbindung gebracht wurden. Dazu gehören zum Beispiel auch Müdigkeit oder Bewusstseinstrübung. Derartige Symptome sind schwer objektiv zu messen. Bislang war es auch noch nicht möglich, Patient:innen in Untergruppen je nach ihren Symptomen zu unterteilen.

Dieser Aspekt erschwert es Forschenden, entsprechende Tests zu konzipieren. Denn bei klinischen Studien können so eventuell Patient:innen zusammentreffen, die unter ganz unterschiedlichen Ausprägungen der Erkrankung leiden und dementsprechend unterschiedliche Behandlungen benötigen.

Ein vielversprechendes Medikament könnte sich dann in einer Studie als ‚unwirksam‘ zeigen, einfach, weil Forschende es der „falschen“ Versuchsgruppe verabreicht haben.

Viele Ansätze, aber Probleme bei klinischen Studien

Trotz der schwierigen Forschungslage um Long Covid suchen Wissenschaftler:innen weltweit unermüdlich nach möglichen Behandlungen. Aktuell führen Forschende mindestens 26 unterschiedliche klinische Studien durch. Doch auch dabei gibt es Probleme: So haben die meisten dieser Tests nicht ausreichend Proband:innen. Oder es gibt keine Kontrollgruppe, anhand derer Wissenschaftler:innen ihre Ergebnisse überprüfen könnten.

Bislang kommen Forschende in Studien zudem zu ganz unterschiedlichen Schlüssen. Einige nutzen bekannte Medikamente wie Colchicin, um die Ursache von Long Covid zu beheben. Dabei handelt es sich um einen Entzündungshemmer, der dabei helfen soll, fehlgeleitete Immunreaktionen einzudämmen. Andere Mediziner:innen konzentrieren sich auf Präparate, die auch bei schweren Covid-Verläufen zum Einsatz kommen.

In anderen Studien steht im Vordergrund, verschiedene Symptome der Erkrankung zu beheben oder den Einfluss von Long Covid auf das Herz-Kreislauf-System abzumildern.

Trotz dieser zahlreichen Forschungen gibt es bislang jedoch leider noch kein einziges Medikament, dass garantiert gegen Long Covid wirkt.

Viele antivirale Medikamente noch nicht getestet

Bislang gibt es noch kein Medikament, das erwiesenermaßen gegen Long Covid hilft.
Bislang gibt es noch kein Medikament, das erwiesenermaßen gegen Long Covid hilft.

Ein weiterer Grund für die anhaltende Ratlosigkeit bei Long Covid könnte auch sein, dass Forschende einige vielversprechende Arzneimittel noch gar nicht in Studien getestet haben. So gibt es mehrere antivirale Medikamente, die bereits bei einer akuten Coronainfektion zum Einsatz kommen.

Einige Wissenschaftler:innen gehen davon aus, dass es am sinnvollsten wäre, diese auch bei anhaltenden gesundheitlichen Beschwerden nach Covid zu verwenden. Doch auch dies ist bislang nur eine Annahme und kein wissenschaftlich überprüfter Fakt. Das liegt unter anderem daran, dass antivirale Arzneimittel in der Regel teuer und auf dem Markt nur in geringen Mengen erhältlich sind.

Zusammengefasst sind die Gründe dafür, dass die Welt bereits so lange auf eine Behandlung für Covid wartet:

  • Hauptursache des Krankheitsbildes nicht geklärt
  • bislang noch keine klaren Schlüsselsymptome
  • viele Symptome schwer objektiv messbar
  • fehlende Kontrollgruppen
  • zu kleine Versuchsgruppen
  • naheliegende Kandidaten für Therapieansätze (antivirale Arzneimittel) schwer zu beschaffen

Ein Blick in die Zukunft: Bald wirksame Medikamente?

Aufgrund des Mangels an wissenschaftlich fundierten Behandlungsmethoden empfehlen einige Mediziner:innen ihren Long-Covid-Patient:innen fragwürdige Therapien. So hat sich mittlerweile auch der Mythos verbreitet, dass Betroffene von Long Covid mehr Sport treiben müssten.

In einigen Fällen kann Sport die Erkrankung jedoch sogar verschlimmern. Manche Patient:innen versuchen auch in Eigenregie die Krankheit zu heilen und greifen auf Medikamente oder Therapien zurück, die nicht wissenschaftlich oder medizinisch geprüft sind.

Umso wichtiger ist es, dass es bald klare Leitlinien zum Umgang mit Long Covid gibt. Dabei gibt es durchaus Hoffnungsschimmer. Auch der Immunologe Danny Altmann ist optimistisch. So würden aktuell bereits die richtigen Prozesse ablaufen, sagt er gegenüber nature. Schon im nächsten Jahr könnte es eindeutige Ergebnisse zu wirksamen Medikamenten geben.

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