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Wie verkauft man Wurst auf TikTok? So wollen Aldi & Co. verzweifelt am Fleischkonsum festhalten – ein Kommentar

Wurst
Foto: CC0 Public Domain / Pexels - charlesdeluvio

Die Fleischindustrie ist besorgt, denn Fleischkonsum nimmt in Deutschland ab. Sind neue Marketingwege die Lösung? Und wie verkauft man eigentlich Wurst auf TikTok? Ein Kommentar aus unserer Redaktion.

MEAT Talk sagt eigentlich schon alles: Man spricht über Fleisch. Beim diesjährigen Branchenforum der Fleischindustrie der Unternehmensberatung Ebner Stolz hörte man vor allem besorgte Stimmen angesichts des schwindenden Fleischkonsums. Fleisch ist nicht so beliebt, wie es mal war. Das ist für Produzenten und Vertrieb Anlass zur Sorge. Konkret mangele es laut Branchenkenner:innen nicht nur an Nachfrage, sondern auch an Exportmöglichkeiten. Außerdem sei die zusätzliche Kostenexplosion (z. B. durch steigende Futtermittelpreise) bei der Fleischproduktion ein weiteres Hindernis.

Damit nicht genug: Aldi-Manager Mario Elbers warnte auf der Tagung vor einer Preissteigerung und vor Mitnahmeeffekten zu Lasten der Verbraucher:innen. „Die Preissensibilität der Kunden nimmt aktuell zu“, beschrieb Elbers die Motivationslage. Anders formuliert: Kund:innen wollen laut Elbers nicht mehr für Lebensmittel ausgeben – eher weniger. Gleichzeitig führte er „aktuell explosionsartige Preisentwicklungen“ als Grund für warenübergreifende Preiserhöhungen an, ohne dabei die eigenen Margen verändern zu wollen. Kurzum: Die Vertrerer:innen der Fleischindustrie scheinen in Bedrängnis.

„Fleisch und Wurst sind in der jungen Generation zum Teil irrelevant geworden.“

Doch genug zu den Problemen der Fleischindustrie. Es fand auf dem MEAT Talk auch Ursachenforschung statt. Warum wird weniger Fleisch gegessen? Das einhellige Fazit lautete, dass etwas mit der Kommunikation nicht stimme. So konsumiere beispielsweise die Generation der heute Mitte 30-jährigen nur noch 60 Prozent vom Durchschnitt des deutschen Fleischkonsums. „Fleisch und Wurst sind in der jungen Generation zum Teil irrelevant geworden“, meint der Food-Aktivist und Publizist Hendrik Haase. Und der Grund dafür soll sein, dass die Botschaft „Fleisch ist toll“ nicht ankommt?

Rezepte ohne Fleisch vegetarisch kochen
Vor allem jüngere Menschen verzichten zunehmend auf Fleisch. (Foto: CC0 / Pixabay / lukasbieri)

Haase geht davon aus, dass die in Deutschland nachgefragte Fleischmenge weiterhin rapide sinken wird. Vor allem, so Haase, „wenn das Produkt Fleisch nicht anders kommuniziert wird.“ Im Umkehrschluss könnte dies bedeuten: Mit dem Produkt Fleisch ist nichts verkehrt, man muss nur anders darüber sprechen? Das klingt gewissermaßen so, als müsse man sich Symptome nur schönreden, um das grundlegende Problem zu beheben.

Vielleicht ist die Ursache für die sinkende Nachfrage jedoch schlicht das Produkt: Fleisch. Was nämlich bei der Ursachenforschung ausgeklammert wurde ist die Frage, ob Fleisch noch ein zeitgemäßes Nahrungsmittel ist, das Menschen kaufen wollen, oder ob es nicht an der Zeit für neue (pflanzliche) Alternativen ist.

„Diversifizierung“ und Social Media sollen Fleischkonsum erhöhen

Besseres Marketing und eine optimierte Kommunikation sollen es richten. Dafür werden offenbar auch keine neuen Wege gescheut. Die Empfehlung Hendrik Haases lautete deshalb: „Der Handel muss sich überlegen, wie verkaufe ich Wurst auf TikTok.“ Weiter schlägt er vor: „Die Fleischbranche muss mit Qualität, Transparenz und Emotionalität überzeugen, ansonsten wird sie schon bald von fermentierten Ersatzprodukten aus Pflanzen oder dem Bioreaktor substituiert.“ Als Positivbeispiel für ein gutes Marketing nannte Haase die Startup-Szene – also zum Beispiel Produzenten pflanzlicher Alternativen. Diese bietet „zum Teil schon jetzt gleichwertigen Genuss und wird bald zu günstigeren Preisen produzieren“, so der Food-Aktivist.

Steak roh Fleisch
Der schöne Schein: Marketing und bessere Kommunikation sollen es laut Fleischindustrie richten und den Fleischkonsum ankurbeln. (Foto: CC0 Public Domain / Pixabay - Reinhard Thrainer)

Andere sehen Grund zur Hoffnung, zum Beispiel der Aldi-Manager Elbers: „Die aktuellen Preissteigerungen begünstigen die Nachfrage nach Haltungsform 3 und 4, weil die Differenz im Preis zwischen dem Fleisch aus unterschiedlichen Haltungsformen nicht mehr so groß ist.“ Da es preislich keinen Unterschied mehr macht, seien laut Elbers nun auch Produkte attraktiver für Kund:innen, bei deren Produktion auf mehr Tierwohl geachtet wird. Wenn Fleischesser:innen zumindest auf Fleisch aus besseren Haltungsformen umsteigen, ist das begrüßenswert. Aber: Durch geringere Preisunterschiede zwischen den Stufen den Fleischkonsum erhöhen? Diese Logik hinkt angesichts der Tatsache, dass Menschen Veggie-Würste kaufen, obwohl sie teurer sind als das tierische Pendant – weil sie eben kein Fleisch konsumieren wollen.

Roland Verdev, CEO des Wurst- und Schinken-Produzenten The Family Butchers, hält Diversifizierung für einen Schlüssel zu mehr Fleischkonsum. So lautet seine Strategie: „Wir müssen die Käufergruppen unterscheiden in Genuss-Menschen und diejenigen, die Wurst und Fleisch als Grundnahrungsmittel kaufen.“ Denn – darin seien sich die Branchenexpert:innen des MEAT Talk einig – im Zuge der steigenden Lebenshaltungskosten wird sich das Konsumverhalten schneller verändern. Ob in dieses Konsumverhalten noch der Konsum von Fleisch passt, diese Frage scheinen sich die Expert:innen jedoch nicht zu stellen.

Bio-Fleisch: richtig kaufen
Konsument:innen greifen immer seltener zu Fleisch. (Foto: © petunyia - Fotolia.com)

Augen zu und durch?

Es macht den Eindruck, als seien Aldi und Co. einem Irrglauben aufgesessen, der sich nun allmählich rächt. So glaubte die Branche offenbar, Fleisch würde immer beliebt bleiben. Vielleicht wurden pflanzliche Fleischalternativen sogar als eine Modeerscheinung abgetan, die Fleisch nie den Rang ablaufen kann. Nur sehr langsam scheint es den Branchenkenner:innen zu dämmern, dass dies nicht der Fall ist.

Lieber hält man jetzt noch am Status Quo fest und versucht mit kleinen kosmetischen Maßnahmen, die Konsument:innen wieder zum Kauf von Fleisch zu bewegen. Ein wenig mit Wurst auf TikTok zu tanzen soll es richten? Dass sich die Wünsche der Konsument:innen bereits grundlegend geändert haben könnten, wird ignoriert, und Chancen werden verpasst, zum Beispiel die Produktion (vermehrt) auf pflanzliche Lebensmittel umzustellen. Das wäre nicht nur für Tiere, Umwelt und die Konsument:innen-Bedürfnisse besser, sondern letztlich auch im Interesse der (Noch-)Fleischproduzent:innen.

Quelle: mit Material der dpa

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