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Der Verkauf von Hessnatur – eine Chronik

Illustration: Miro Poferl

Der pleitegegangene Arcandor Konzern hat Hessnatur, das Versandhaus für Naturmoden, an den Schweizer Investor Capvis verkauft. Die eigens gegründete Genossenschaft aus Mitarbeitern und Verbrauchern, HnGeno, ist mit ihrem Übernahmegebot gescheitert. Damit nimmt ein mehrjähriger Konflikt ein zweifelhaftes Ende, in dessen Zentrum die Frage stand: Nachhaltigkeit und Turbokapitalismus – passt das zusammen? In einer Chronik fassen wir die verworrenen Entwicklungen zusammen und schaffen einen Überblick, der die Antwort erleichtern soll.

Hessnatur – Erfolgspioniere im Naturmodesektor

1976 gründen Dorothea und Heinz Hess das Versandhaus. Das Unternehmen wächst und wird zum Vorzeigebetrieb, der wirtschaftlichen Erfolg mit nachhaltigem Engagement verbindet. 2001 übernimmt Neckermann durch mehrheitliche Kapitalbeteiligung. Neckermann gehört zum Karstadt-Quelle-Konzern, der später in Arcandor umbenannt wird.

Capvis – Schweizer „Heuschrecke“

Die Capvis AG ist eine Private-Equity-Gesellschaft mit Sitz in Zürich. Sie wurde ursprünglich vom Schweizerischen Bankenverein gegründet, ist aber seit 2003 ausschließlich in privater Hand und damit ein unabhängiger Fonds.  Große Medien wie die taz haben Capvis den zweifelhaften Titel „Heuschrecke“ verliehen. Capvis hat bereits den baden-württembergischen Haushaltswarenhersteller WMF mit Rationalisierungen, Auslagerung von Service und China-Produktion in sechs Jahren um das dreifache im Wert gesteigert.

09. Juni 2009 – Arcandor geht pleite

Der gerade erst umbenannte Karstadt-Quelle Konzern meldet Insolvenz an. Hessnatur untersteht der Versand-Holding Primondo, die wiederum dem Karstadt-Quelle Mitarbeiter-Trust gehört. Dieser soll die Pensionen der Mitarbeiter sichern.

Ende 2010 – Ausverkauf für die Rente

Primondo selbst ist eigentlich gar nicht von der Insolvenz betroffen. Um jedoch die Renten des Trusts sicher zu stellen, startet ein Ausverkauf der Primondo-Versandhäuser an verschiedene Investoren.

Jahreswechsel 2010/2011 – Die Carlyle-Episode

Der amerikanische Heuschrecken-Investor Carlyle hat bereits sechs Versandhäuser von Primondo gekauft, als bekannt wird, dass auch Interesse an Hessnatur besteht. Der Investor ist auch an Rüstungsfirmen beteiligt und sein möglicher Einstieg beim Naturmoden-Versand löst heftigen Protest bei Belegschaft und Kunden aus. Der Widerstand hat Erfolg: Im Mai 2011 berichtet die FAZ, dass Carlyle sich endgültig von Hessnatur abgewandt hat. Matthias Siekmann, Geschäftsführer bei Primondo, kündigt an, bis September 2011 einen Käufer für Hessnatur gefunden haben zu wollen.

17. März 2011 – Gründung der HnGeno

Im Zuge der Aufregung um das Übernahmeangebot von Carlyle wird unter dem Vorsitz des Betriebsratschefs von Hessnatur Walter Strasheim-Weitz die Genossenschaft HnGeno gegründet. Diese soll durch Kapitalbeteiligung von Mitarbeitern und Privatpersonen an genügend Geld kommen, um ihrerseits Hessnatur von Primondo kaufen zu können.

Ende Mai 2011 – Verkaufsprozess im Geheimen

Ein Verkaufsprozess wird bekannt gegeben, von dem weder Mitbieter Ernst Schütz (Inhaber von Waschbär) noch der Hessnatur-Betriebsrat vorher gewusst haben. Schütz meint zur FAZ, er fühle sich „scheußlich belogen.“

Juni 2011 – Geplatzter Verkauf, zweite Auflage

Aus heiterem Himmel wird verlautbart, dass keine weiteren Kaufgebote angenommen würden und schon in diesem Monat der Kaufprozess abgeschlossen würde. HnGeno wird eine schroffe Abfuhr erteilt. Deren Gebot sei viel zu niedrig und unsicher finanziert, außerdem hätten sie „durch das aggressive und destruktive Verhalten die gegenseitige Vertrauensgrundlage langfristig zerstört.“ Aus dem Verkauf wird jedoch nichts, das Verfahren wird ausgesetzt.

Februar 2012 – Erneuter Verkauf angekündigt

Primondo kündigt an, das Verkaufsverfahren im zweiten Quartal 2012, also ab April, wieder aufnehmen zu wollen. Die HnGeno bringt sich in Stellung und will ein erneutes Übernahmeangebot machen.

31. Mai 2012 / 01. Juni 2012

Am 01. Juni wird eine Meldung veröffentlicht, der zufolge am 31. Mai 2012 das Versandhaus Hessnatur an den Schweizer Investor Capvis verkauft worden ist. Die Zustimmung vom Kartellamt steht noch aus, wird aber voraussichtlich in einigen Wochen erteilt werden. Die Meldung überrascht nicht nur die Öffentlichkeit, sondern vor allem die HnGeno, die nach eigenen Angaben nichts von entsprechenden Verhandlungen wusste.

Juni 2012 – Wachsender Widerstand

Die großen Medien beginnen, über den Verkauf zu berichten. Wieder geht ein Aufschrei durch Belegschaft und Kunden, die Furcht vor einem Heuschrecken-Überfall ist groß. Das Internetportal Wir-sind-die-Konsumenten.de sendet die unmissverständliche Botschaft: Bei einem endgültigen Verkauf an Capvis droht Boykott. Die Entrüstung im Internet nimmt zu. Capvis sucht die Deeskalierung, kämpft gegen das Image der Heuschrecke und will sich als wohlwollender Investor positionieren – mit mäßigem Erfolg.

25. Juni 2012 – Kartellrechtliche Zustimmung

Die Kartellbehörden in Deutschland und Österreich stimmen dem Verkauf zu, er ist damit unter Dach und Fach und Capvis Alleineigentümer von hessnatur. Walter Strasheim-Weitz kündigt an, mit der HnGeno weiterhin Widerstand zu leisten und rechtliche Schritte einzuleiten. Sein Vorwurf: Beim Verkauf wurde nicht ausreichend informiert, HnGeno wurde somit die Gelegenheit verwehrt, ein Gegengebot einzureichen.

27. Juni 2012 – Verfahren eingestellt

Die rechtlichen Schritte sind wirkungslos, das Verfahren wird vor dem Amtsgericht Gießen eingestellt, da der Klage durch den bereits vollzogenen Kauf die rechtliche Grundlage fehlt. Alles, was der HnGeno nun bleibt, ist, den Boykott zu forcieren. In der Hoffnung, dass dies den Investor Capvis zu einem baldigen Verkauf bewege, äußert die HnGeno weiterhin die Bereitschaft zum Kauf.

05. Juli 2012 – Capvis fordert die Auflösung der HnGeno

Capvis lässt verlauten, dass man davon ausgehe, dass die HnGeno nun aufgelöst werde, da deren Ziel nicht mehr zu erreichen sei. Eine klare Drohung formuliert man in Richtung Walter Strasheim-Weitz, den man bei Capvis in einem Interessenkonflikt sieht. Ein Betriebsrat könne nicht im Interesse der Belegschaft handeln und gleichzeitig Übernahme-Pläne schmieden. Die HnGeno gibt sich ungerührt und vertritt weiter das Ziel, durch einen Boykott den baldigen Ausstieg von Capvis herbei zu führen und danach Hessnatur zu übernehmen.

Fazit

Nach erstaunlich langem und erfolgreichem Widerstand gegen die Kräfte der internationalen Investmentbranche hat nun also doch ein Turbokapitalist bei Hessnatur das Ruder übernommen. Einer der Hauptinvestoren von Capvis ist ein Investmentfond, der die Finanzen des australischen Militärs verwaltet. Hessnatur-Käufer bezahlen in Zukunft also auf Umwegen die Gehälter der Soldaten „down under.“ Nachhaltig kann man das nur mit einer ordentlichen Prise Zynismus nennen. Auch die Entwicklungen bei WMF zeigen, dass Renditemaximierung kaum mit nachhaltigem Wirtschaften vereinbar ist. Allerdings hat Capvis bei WMF nicht, wie es in der Investment-Branche oft passiert, Geld direkt aus dem Unternehmen abgezogen. Die Schweizer haben selbst angegeben, bei Hessnatur keine Stellen streichen oder auslagern zu wollen. Die hohen sozialen und ökologischen Standards sollen nicht angetastet werden. Trotzdem gibt Capvis offen zu, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre ein Weiterverkauf angestrebt wird. Dieser soll natürlich nicht zum Nachteil der Investoren ausfallen.

Ob man bei Hessnatur weiterhin seine nachhaltige Mode kaufen will, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Eine wichtige Überlegung ist dabei sicherlich auch, wo das Geld schlussendlich ankommen soll. Schenkt man Capvis glauben, so wird man durch einen Einkauf bei Hessnatur auch weiterhin faire Löhne, umweltfreundliche Produktion und hohe soziale Standards unterstützten. Allerdings wird ein Teil des Geldes an unbekannte Investoren in Hinterzimmern fließen. Sicher ist nur eins: Ein Argument für den Wechsel von der Naturmode zurück zum Billigdiscounter ist diese Geschichte nicht.

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