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„Früher waren die Sommer auch heiß!“– Warum unsere Erinnerung uns täuscht

Früher gab es auch heiße Sommer?
Foto: CC0 Public Domain / Pexels - BARBARA RIBEIRO

Auch früher gab es in der Schule hitzefrei und wir schwitzten im Büro – Hitze im Sommer sei eben normal. Stimmt das oder trügt uns unsere Erinnerung? Wir haben bei einer Psychologin nachgefragt.

Der Juni 2023 war der zehnte Juni in Folge, der zu heiß war; Wetterdienste kündigen bereits die die nächste Hitzewelle mit Temperaturen über 30 Grad an und auch wir bei Utopia berichteten wiederholt über die heißen Temperaturen; zuletzt über den „unangenehmen Wettercocktail“ aus Hitze und Ozon sowie die Frage, wann Hitze für Menschen gefährlich wird.

Immer wieder hören und lesen wir (nicht nur, aber vor allem) an heißen Tagen Aussagen wie folgende: „Früher gab es auch schon so heiße Sommer.“ und „30 Grad und mehr sind im Juli ganz normal.“. Stimmt das oder spielt uns unsere Erinnerung hier einen Streich? Wir haben 2022 mit Kommunikationspsychologin Anita Habel darüber gesprochen.

Frau Habel stellte uns gegenüber klar: „Es stimmt, es gab auch in der Vergangenheit heiße Tage. Der Unterschied zu früher ist aber, dass Hitzeperioden jetzt stärker und häufiger auftreten und länger dauern.“

„Temperaturentwicklungen sind für unser Gehirn nicht wichtig genug“

Warum aber glauben wir dann, dass sich die Temperaturen im Sommer nicht geändert haben? Das hat mehrere Gründe: Zunächst neigen wir Menschen dazu, uns die Dinge zu merken, die emotional wichtig für uns waren. „Temperaturentwicklungen sind für unser Gehirn nicht wichtig genug, wir können uns schwer an Details erinnern, die für uns keine wichtige Rolle gespielt haben“, so Anita Habel.

Auch verschätzen wir uns, wenn wir uns beispielsweise daran erinnern wollen, wie viele Tage hintereinander es heiß war. „Dauern und Häufigkeiten können wir schwer einschätzen, vor allem wenn es sich um alltägliche Dinge wie das Wetter handelt“, weiß die Psychologin.

Wichtige Details und Ereignisse bleiben dagegen einfacher im Gedächtnis. Habel erklärt: „Wenn Details Kontraste zum Alltag darstellen, merken wir sie uns.“ Habe ich an einem heißen Tag beispielsweise einen Sonnenstich erlitten, kann ich mir besser merken, dass es an diesem Tag über 37 Grad Celsius hatte.

Klima ändert sich nicht schnell genug, als dass wir es sofort bemerken würden

Doch nicht nur Erinnerungen spielen laut der Expertin in diesem Kontext eine Rolle, sondern auch die menschliche Wahrnehmung. „Menschen können Veränderungen schwerer einschätzen, wenn diese sich langsam, also nicht schlagartig, vollziehen.“ Bei der Klimakrise und den schleichend steigenden Temperaturen sei dies der Fall, denn erst über einen längeren Zeitraum fallen die klimatischen Veränderungen im Alltag auf.

„Deswegen ist es so wichtig, die wissenschaftlichen Befunde ernst zu nehmen, auch wenn diese noch nicht mit dem eigenen Erleben zusammenpassen. Denn sie belegen zweifelsfrei: Es wird heißer“, sagt Habel im Gespräch mit Utopia.

Fazit: Wir erinnern uns nicht unbedingt falsch daran, wie heiß es früher war. Aber wir erinnern uns nicht genau genug daran, um verlässliche Aussagen zu treffen.

Auch Meteorologe Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst (DWD) sagte der dpa: „In der Erinnerung bleiben vor allem persönliche Rekordmomente und Extreme.“ Besonders warme und sonnenreiche Sommer hielten sich eher im Gedächtnis als die regenreichen und kälteren. „Der Mensch erinnert sich eben statistisch nicht sauber„, so der Wetterexperte.

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So heiß war es vor 40 Jahren tatsächlich

Gab es nicht auch früher schon Sommertage mit 40 Grad? Ja, die gab es. 1983 etwa wurde in Gärmersdorf bei Amberg (Oberpfalz) ein bis 2001 gültiger Temperaturrekord von 40,2°C gemessen. Doch seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881 dauerte es damit fast hundert Jahre, bis es in Deutschland über 40 Grad Celsius heiß war. Seit den 2000er Jahren dagegen wurde diese Temperatur wiederholt gemessen: im „Jahrhundertsommer“ 2003, im August 2015 an drei Stationen gemessen, vier Jahre später im Juli 2019 sogar an 25 Stationen. Und die Abstände werden immer kürzer: Auch im Juli 2022 war es über 40 Grad heiß.

„In 20 Jahren wird womöglich in jedem Sommer irgendwo in Deutschland eine Temperatur von mehr als 40 Grad gemessen“, sagt Meteorologe Friedrich. „Hitzewellen werden zunehmen, es wird immer wieder Rekordtemperaturen geben.“

Hitze und extreme Niederschläge treten häufiger auf

Einzelne Hitzerekorde können immer wieder auftreten, doch durch den Klimawandel werden sie sich häufen. Karsten Haustein vom Institut für Meteorologie an der Universität Leipzig erklärt: „Ein einzelnes Extremereignis ist erstmal immer nur eine Manifestation von Wetter“. Dieses könne theoretisch unter vielen Klimabedingungen auftreten. „Was sich ändert, ist die Häufigkeit bestimmter Wetterlagen, wie Hitze- und Niederschlagsextreme.“

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Im Zeitraum 1991 bis 2020 war es im Juni DWD-Daten zufolge im Schnitt um ein Grad wärmer als im Zeitraum 1961 bis 1990. Der diesjährige außergewöhnlich warme, sehr trockene und überaus sonnenscheinreiche Juni lag mit 18,4 Grad sogar nochmal zwei Grad darüber.

„Eine Hitzewelle, die ohne Klimawandel ein Jahrhundertereignis gewesen wäre, ist jetzt normaler Sommer„, sagt Friederike Otto vom Environmental Change Institute an der Universität in Oxford. „Das, was ohne Klimawandel unmöglich gewesen wäre, sind jetzt die neuen Extremereignisse.

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