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Öko-Autos: die legalen Tricks der Autoindustrie

Greenwashing – Autoindustrie
Foto: © Tomasz Zajda - Fotolia.com

Die Verbrauchswerte moderner Fahrzeuge sind tatsächlich niedriger als bei Automobilen der 80er/90er-Jahre. Dennoch stimmen die offiziellen Angaben der Hersteller nicht – sie sind zu niedrig. Diese systematische Untertreibung hat Auswirkungen auf den Geldbeutel der Verbraucher und damit auch auf die Umwelt. Und: Sie sorgt auch dafür, dass die Produktion alternativer Antriebssysteme nicht in Gang kommt.

Der BMW X1 ist ein beliebtes, relativ kompaktes SUV. Mit dem 1,6-Liter-Diesel, so der Konzern, liegt der Durchschnittsverbrauch bei 4,1 Litern – das Ergebnis ist ein errechneter Schadstoffausstoß von 109 Gramm CO2 pro 100 Kilometer. Das Auto unterbietet den in der EU-Verordnung zur Verminderung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen vorgegebenen Grenzwert von 120 Gramm CO2 pro 100 Kilometer also spielend. Und da sich die Verordnung von 2007 als Durchschnittswert auf alle Fahrzeuge, die ein Hersteller verkauft – also auf den sogenannten Flottenverbrauch – erstreckt, hilft der X1 1.6d dabei, dass letztlich auch größere, spritfressende Fahrzeuge angeboten werden können. Bei BMW sorgt also Modelle wie der X1 dafür, dass der wuchtige X5 oder die schnellen M-Modelle im Programm bleiben dürfen.

Die Crux ist allerdings, dass das SUV in der Realität und bei vorsichtiger Fahrweise mit einem Verbrauch von 5,5 bis 6,0 Litern Diesel bewegen lässt. Das ist ein durchaus akzeptabler Wert. Aber er liegt mindestens knapp 35 Prozent über den Angaben von BMW.

Die Mischung macht’s

BMWs X1 ist nur ein Beispiel von vielen. Für alle Hersteller gilt, dass sie den von der EU gewünschten, niedrigen Flottendurchschnittsverbrauch über den Verkauf sparsamer Klein- und Kompaktwagen oder auch Elektrofahrzeuge zu erreichen versuchen – und auch ihre „Dickschiffe“ weiter anbieten können. Dass die modernen Motoren, etwa der 1.4 TSI von VW oder der genannte BMW-Diesel tatsächlich recht effektiv mit dem fossilen Kraftstoffen umgehen – und damit zumindest derzeit noch ökonomisch sinnvoll sind, steht fest: Um optimale Effizienz zu erreichen, werden die Getriebeeinstellungen und Motorsteuerzahlen optimiert, werden Start-Stopp-Automatik und intelligente Einspritzsysteme eingesetzt.

Damit kann ein Zweitonnen-Van wie der VW Sharan 2.0 TDI tatsächlich mit weniger als sieben Litern Diesel auf 100 Kilometer bewegt werden. Allerdings gibt der Hersteller den Verbrauch kombiniert mit 5,6 Litern an. Dass dadurch auch der Flottenverbrauch des Volkswagenkonzerns sinkt, ist logisch – aber nicht nur jetzt, sondern gerade hinsichtlich der verschärften Richtlinien, die ab 2020 gelten, fragwürdig.

2020 kann die Industrie legal die Ökobilanz frisieren

2020 müssen zunächst einmal nur 95 Prozent der verkauften Neuwagen eines Unternehmens die geforderten 95 Gramm CO2 auf 100 Kilometer erreichen. Erst im Jahr darauf gilt die Regel dann für alle neuen Autos. Die Aufweichung der Vorschrift wird unter anderem von BMW und Daimler-Benz bzw. vom Europäischen Automobilherstellerverband ACEA (European Automobile Manufacturers‘ Association) mit massiver Lobbyarbeit vorangetrieben – wer die Macht hat, kann sie auch nutzen.

Das Ergebnis beschreibt Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des Verkehrsclub Deutschland (VCD): „Für die Jahre 2020 bis 2022 wurden sogenannte Supercredits vereinbart. Damit können besonders abgasarme Autos, also etwa Elektroautos mehrfach in die Flottenverbrauchsbilanz eingerechnet werden.“ Lottsiepen erklärt das seltsame, aber legale Verfahren anschaulich: „Fahrzeuge, die weniger als 50 g CO2/km emittieren, können wie folgt auf die CO2-Bilanz angerechnet werden: Ab 2020 als zwei Fahrzeuge, ab 2021 als 1,67 Fahrzeuge und 2022 als 1,33 Fahrzeuge.“ Erst ab 2023 ist das emissionsarme Auto dann in der Statistik, was es eigentlich faktisch immer schon war – ein einziges Automobil.

Der Testverbrauch ist schon immer nicht real

Wie messen Hersteller eigentlich den Verbrauch ihrer Fahrzeuge? Natürlich nach einem standardisierten Verfahren. Dieses wird in der Regel am Rollenprüfstand im Rahmen eines Zweiphasen-Prozederes simuliert und nennt sich NEFZ oder „Neuer Europäischer Fahrzyklus“.

Dieser funktioniert laut Johannes Boos, Pressesprecher beim ADAC, so: „Der erste Teil repräsentiert den innerstädtischen Fahrbetrieb, bei dem das Fahrzeug kalt gestartet und anschließend im Stop-and-Go-Betrieb mit einer Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gefahren wird. Der zweite Teil des Fahrzyklus repräsentiert den außerstädtischen Fahrbetrieb mit einer Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h. Der gesamte NEFZ dauert 1.180 Sekunden, also knapp 20 Minuten. Die Streckenlängen betragen im ersten Teil (innerorts) zirka 4 km und in Teil zwei (außerorts) zirka 7 km. Die Durchschnittsgeschwindigkeit über die gesamte Strecke von ca. 11 km beträgt 33,6 km/h.“

Dass noch nicht mal der umsichtigste Autofahrer im Alltag diese Werte erreichen kann, dürfte klar sein. In der Praxis, so testen die großen Automagazine regelmäßig, muss man – je nach Modell und Motorisierung – bis zu 38 Prozent auf den „offiziellen“ Verbrauchswert schlagen. Je größer der Motor, desto mehr wird er durch den Normzyklus benachteiligt, wie Johannes Boos erklärt: „ Ein Beispiel: Im Prüfzyklus wird das Auto auf dem Prüfstand mit einer Außentemperatur zwischen 20 und 30 °C gestartet, sämtliche Verbraucher sind dabei abgeschaltet. Häufig ist es bei uns aber kälter, und Heizung sowie Licht werden benötigt. Bei Wärme oder sehr schwülem Wetter arbeitet auch die Klimaanlage zur Kühlung oder Entfeuchtung. Diese Nebenverbraucher kosten zusätzlich Kraftstoff. Darüber hinaus beträgt die Höchstgeschwindigkeit im Prüfzyklus nur 120 km/h und wird zudem auch nur kurzzeitig gefahren. Damit sind grundsätzlich Autos mit großen Motoren benachteiligt, weil deren Aufwärmphase länger dauert.“

Boos erklärt auch, warum das so ist: „Während dieser Phase läuft der Motor in einem weniger effizienten Bereich. Kleine Motoren werden schneller warm, im warmen Betriebszustand verbrauchen sie weniger – somit sinkt der Verbrauch im EU-Zyklus.“ Was der ADAC-Experte verdeutlicht, hat Auswirkungen auf den Flottenverbrauch: Das Testverfahren gaukelt Werte vor, die deutlich niedriger sind als der Alltagsverbrauch und es benachteiligt großvolumige Modelle. Da nun aber die Kompakt- und Kleinwagen den Massenmarkt bedienen, also mit Abstand am häufigsten verkauft werden, ist die Notwendigkeit, noch mehr in alternative, umweltschonende Antriebe zu investieren, für die Konzerne gering. Denn alle Hersteller werden, so der ADAC, auch 2020 den schärferen Flottenwert an CO2-Emission spielend unterbieten.

Hybrid mit Hybris

Die Mitgliederumfragen und Tests des ADAC ergeben immer wieder, dass bei Hybridfahrzeugen der Unterschied zwischen Normverbrauch und Alltag noch einmal höher liegt, wie Johannes Boos betont: „Ein aktueller Vergleich der im ADAC EcoTest gemessenen Kraftstoffverbräuche mit den Herstellerangaben zeigt zum Teil deutliche Abweichungen. Besonders auffällig ist die hohe Abweichung von über 25 Prozent zwischen EU-Verbrauchsangabe und EcoTest-Verbrauch bei den Hybrid-Fahrzeugen.“

Woran das liegt? „In der Praxis sind die Leistungsanforderungen teils höher als in den Herstellertests, beispielsweise auf der Autobahn, und die Strecken länger, auf denen dann vor allem die bei Fahrtbeginn an der Steckdose vollgeladenen Plug-In-Hybriden ihre Besonderheiten nicht mehr ganz ausspielen können.“ Auf die Art, wie die Industrie misst, lässt sich aber kein Fahrzeug bewegen – egal, mit welcher Art Kraftstoff es betrieben wird: „Bei den Benzinern“, ergänzt Boos, „liegen die ADAC-Messungen im Durchschnitt zehn Prozent über den Herstellerangaben; bei den Dieselmodellen um zirka 14 Prozent. Die Erdgas-Autos (CNG) zeigen in der Praxis übrigens mit 9 Prozent durchschnittlich die geringste Abweichung vom Herstellerwert.“

Die Industrie bestimmt die Norm – mit vielen Tricks

Eine Studie des International Council on Clean Transportation (ICCT) fand bereits 2013 heraus, dass der Normverbrauch Jahr für Jahr weiter vom tatsächlichen Verbrauch abweicht. Zwischen 2002 und 2012 stieg die Diskrepanz von acht Prozent im Jahr 2002 zu durchschnittlich 38 Prozent im Jahr 2012. Dass dabei die deutschen Premiumhersteller mit 30 Prozent (BMW), 28 Prozent (Audi) und Daimler (26 Prozent) besonders kräftig zu Buche schlagen, ist beinahe folgerichtig. Aber auch die Hybrid-Pioniere von Toyota hatten zuletzt eine Diskrepanz von 15 Prozent zu verzeichnen.

Wie ist das möglich? Wird vielleicht der Rollenprüfstand manipuliert? Der nicht, aber das Auto selbst: Während des Testzyklus ist der Kraftstofftank fast leer, die Türverkleidungen werden abmontiert, auch andere, leichtere Sitze kommen zum Einsatz – all das spart Gewicht. Der Verkehrsexperte Axel Friedrich, früher Abteilungsleiter beim Umweltbundesamt, merkt an, dass die Hersteller alle Register zögen. Er spricht davon, dass die Autobauer die Lichtmaschinen abkoppeln oder mehr Luft in den Reifen pressen. Oder dass, um einen günstigeren Luftwiderstandswert zu erreichen, die Serienfelgen durch Exemplare ohne Löcher ersetzt werden. Für ein paar Minuten geht das, ohne dass die Bremsen erhitzen, im Alltag wären solche Räder nicht sinnvoll.

Ebenso werden häufig die Spalten an der Karosserie, also an Türen, Kofferraum- und Motorraumdeckeln, abgeklebt. Eine Anhäufung findiger Tricks, die zu immer weiter von der Realität abweichenden Ergebnissen führt. Axel Friedrich sieht nur eine Lösung: „Die Manipulationen können nur durch Kontrollmessungen unter realistischen Verkehrsbedingungen verhindert werden.“

Der Nebeneffekt von legaler Trickserei und realitätsfremden Testverfahren ist, dass der Bedarf an „grüner“ Mobilität, zumindest aus Herstellersicht, klein gehalten werden kann. Denn wären die von der Autolobby mitdiktierten CO2-Vorgaben aus Brüssel strenger und würden die Verbrauchsdaten korrekt, also ohne Tricks alltagsnah ermittelt, müsste die Industrie in stärkerem Maße auf alternative Antriebe setzen.

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