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Strafanzeige gegen Tierlabore: Über 150.000 Tiere als „Überschuss“ illegal getötet

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Foto: CC0 / Pixabay / tiburi

Nicht alle Tiere in Versuchslaboren setzt die Forschung tatsächlich für Versuche ein – der „Überschuss“ wird meist aus Kostengründen getötet. Eine aktuelle juristische Studie stuft dieses Vorgehen jetzt als rechtswidrig ein.

Laut einer Statistik des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) kamen im Jahr 2018 rund 2,8 Millionen Tiere in Tierversuchen zum Einsatz. Diese Zahl setzt sich zusammen aus 2.138 Millionen Tieren, die unmittelbar in Versuche eingebunden waren und weiteren 686.000 Tieren, die zwecks Organ- oder Gewebeentnahme getötet wurden.

Der Verein Ärzte gegen Tierversuche gibt bereits seit einigen Jahren zu bedenken, dass es darüber hinaus eine hohe Dunkelziffer geben müsse. Grundlage dafür ist, dass Labore neben den Tieren, die tatsächlich im Rahmen von Versuchen leiden und sterben, noch erheblich mehr Tiere züchten und halten. Viele dieser Tiere weisen letztlich nicht die richtigen Voraussetzungen für bestimmte Versuche auf oder liefern den Forscher:innen unbefriedigende Ergebnisse. Das gilt insbesondere für den Bereich der Gentechnik, wo Versuchstiere „aussortiert“ werden, wenn sich die erzielte genetische Veränderung bei ihnen nicht einstellt.

Tierlabore: Hohe Dunkelziffer getöteter Versuchstiere

Rhesusaffen werden häufig für Tierversuche
Rhesusaffen werden häufig für Tierversuche (Foto: CC0 / Pixabay / PDPics)

Wie hoch diese Dunkelziffer tatsächlich ist, war lange nicht klar. Bisher ging Ärzte gegen Tierversuche allein aufgrund der „Vorratshaltung“ der Tiere von einer zweieinhalbmal größeren Zahl aus, als tatsächlich angegeben. Für die Gentechnik wurde ein „Überschuss“ in unbekannter Höhe veranschlagt. Die Bundesregierung gab auf Anfrage der Grünen zuletzt eine Zahl von 3,9 Millionen Tieren an, die in der Statistik des BMEL nicht erfasst seien – in erster Linie im Rahmen gentechnischer Versuche.

Diese Zahl sei laut Ärzte gegen Tierversuche aber vermutlich immer noch zu gering und gebe die realen Verhältnisse nicht ausreichend wieder. Der Verein erklärt das damit, dass bei Genversuchen meist nur ein sehr geringer Anteil der Versuchstiere tatsächlich die gewünschte genetische Veränderung aufweise. Die übrigen Tiere sowie die Elterntiere würden dann „unschädlich inaktiviert“, also getötet. Laut dem Geschäftsführer des Vereins, Claus Kronaus, liege die „Ausschussquote“ bei 90 bis 99 Prozent, sei also sehr hoch. Demnach müsse im Vergleich zur offiziellen Statistik auch die Dunkelziffer getöteter Tiere wesentlich höher sein.

Weitere Faktoren für Aussonderungen können auch das Geschlecht oder das Alter der Tiere sein. Weibliche Tiere etwa, insbesondere Mäuse, kommen aufgrund ihres Hormonhaushalts weniger häufig in Versuchen zum Einsatz als männliche. Darüber hinaus müssen alle an Versuchen beteiligten Tiere ungefähr das gleiche Alter haben, damit sich die Testergebnisse besser vergleichen lassen. Aber auch dadurch, dass Versuchstiere auf Vorrat gehalten und bei fehlendem Bedarf getötet werden, entsteht ein großer „Überschuss“.

Rechtsstudie stellt fest: „Überschusstötungen“ sind illegal

Ab 2022 dürfen Betriebe männliche Küken nicht mehr schreddern - ein Präzedenzfall für Versuchstiere.
Ab 2022 dürfen Betriebe männliche Küken nicht mehr schreddern – ein Präzedenzfall für Versuchstiere. (Foto: CC0 / Pixabay / Detonator)

Dieser Umgang mit Versuchstieren ist in der Forschung seit Jahrzehnten üblich. Bisher gab es keine Rechtsgrundlage für ein Verbot. Eine neue Rechtsstudie von Ärzte gegen Tierversuche in Zusammenarbeit mit der Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht (DJGT) hat jetzt aber nachgewiesen, dass solche Tötungen rechswidrig sind. Beide Vereine stellen deshalb eine Strafanzeige gegen Tierlabore und fordern dazu auf, diese Praktiken sofort zu beenden.

Die Studie stützt sich dabei auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum sogenannten „Kükenschreddern“. Das Gericht war im Juni 2019 zu dem Schluss gelangt, dass es für die systematische Tötung männlicher Küken in Legebetrieben keinen „vernünftigen Grund“ im Sinne des Tierschutzgesetzes gebe. In vielen Betrieben werden männliche Küken nach dem Schlüpfen vergast oder geschreddert, weil sich ihre Aufzucht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht lohnt. Das Gericht entschied aber, dass wirtschaftliches Interesse solche Massentötungen nicht rechtfertigen könne. Am 20. Mai 2021 beschloss der Bundestag schließlich ein offizielles Verbot – ab 2022 ist Kükenschreddern verboten.

Ärzte gegen Tierversuche verweist auf das Urteil als Präzedenzfall: Die Situation sei eindeutig vergleichbar mit der geschilderten Situation von Versuchstieren, die ebenfalls oft nur aus finanziellen Gründen getötet werden. Dr. Barbara Felde, Vorstandsmitglied der DJGT und Autorin der Studie, bestreitet nicht, dass die neue Gesetzgebung „großen Aufwand und hohe Kosten“ bedeute. Sie weist aber darauf hin, dass die Forschung diese Einschränkungen im Namen des Tierschutzgesetzes hinnehmen müsse: „[S]chließlich darf auch niemand seine Heimtiere einfach töten, wenn er sie nicht mehr haben will.“

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