Der Klimawandel und ein verbessertes Nahrungsangebot in der Landwirtschaft führen zu einer sprunghaften Vermehrung des Schwarzwilds. Jäger versuchen mit teils umstrittenen Methoden, die Population zu begrenzen – und heizen deren Wachstum selber an.
Sie haben großen Hunger, sind mobil, anpassungsfähig und schlau. Und sie sind inzwischen fast überall: Ob in Sachsen, Brandenburg oder Nordrhein-Westfalen, ob am Stadtrand von Hamburg oder in den Parks von Berlin – eine stark angewachsene Wildschweinpopulation macht Landwirten und Hausbesitzern zu schaffen, weil die Tiere auf der Suche nach Futter Äcker, Wiesen und Gärten durchwühlen. Doch auch Umweltschützer sind in Sorge, weil sie um das ökologische Gleichgewicht im Wald fürchten.
In einigen Regionen ist die Zahl der Tiere in den vergangenen Jahren förmlich explodiert, denn die Lebensbedingungen für das Schwarzwild sind immer besser geworden. Dazu trägt nicht zuletzt die Landwirtschaft selbst bei, die den Maisanbau zur Biogasproduktion beinahe verdreifacht hat. In den oft ausgedehnten Äckern können die Schweine tagelang unbemerkt schlemmen. Aber auch im Wald ist der Tisch immer reicher gedeckt – dank des Klimawandels produzieren Kastanien, Eichen oder Buchen mehr Früchte. So gibt es kaum mehr Gebiete, in die die intelligenten Allesfresser nicht vorgedrungen sind. Selbst im Alpenvorland, wo es mangels Nahrung seit Jahrhunderten keine Wildschweine gab, fühlen sie sich inzwischen heimisch.
Die Zahl der Abschüsse ist deutlich angestiegen
Da natürliche Feinde – trotz der Rückkehr der Wölfe – die großen Wildschwein-Populationen nicht in Schach halten können, sind die Jäger gefordert, die Vermehrung des Schwarzwildes zu begrenzen, da sind sich fast alle einig. Die Zahl der Abschüsse ist in den vergangenen Jahren in allen betroffenen Regionen deutlich angestiegen. In Schleswig-Holstein zum Beispiel wurden im Jagdjahr 2015/2016 bereits 12.556 Tiere geschossen – im Jahr 2005 waren es noch 8206 und 1980 gerade mal 1569. Dabei fallen vielerorts sogar die Tabus: Die Schonzeiten sind aufgehoben, Jungtiere, Alttiere und Leitbachen dürfen das ganze Jahr geschossen werden. Im Dunkeln werden Scheinwerfer oder Nachtsichtgeräte eingesetzt, um die Tiere auszumachen.
Der Landrat des brandenburgischen Oder-Spree-Kreises hat sogar eine „Erlegungsprämie“ von zwanzig Euro pro Tier ausgelobt, um die Jäger zu zusätzlichen Abschüssen zu motivieren. Dort fürchtet man nicht nur die weitere Zerstörung der Oderdeiche, die von den Wildschweinen auf der Suche nach Wurzeln, Würmern oder Maden immer wieder aufgewühlt werden. Mit der Begrenzung der Population soll auch verhindert werden, dass sich die in Teilen Osteuropas grassierende Afrikanische Schweinepest ausbreitet und auf Hausschweinbestände übergreift.
Auch im mecklenburgischen Landkreis Vorpommern-Greifswald fürchten die Verantwortlichen die Ausbreitung der Seuche. Selbst die Rekordabschusszahlen der vergangenen Jahre – 10.170 Tiere töteten die Jäger hier in der Saison 2015/2016 – erscheinen ihnen nicht mehr ausreichend. Deshalb greift man dort nun zu ungewöhnlichen Maßnahmen: So werden Kastenfallen aufgestellt, sogenannte Saufallen, in denen Gruppen von Wildschweinen gefangen und dann einzeln entnommen und außerhalb der Hörweite der anderen Tiere getötet werden. Vor allem auf Jungtiere bis zu einem Alter von 15 Monaten haben es die Jäger dabei abgesehen, da die krankheitsanfälligeren Frischlinge die Schweinepest häufiger übertragen.
Tierschützer kritisieren Jagdmethoden
Bei Tierschützern stößt diese Art der Jagd auf scharfe Kritik: Tierschutzwidrige Jagd- und Tötungsmethoden müssten der Vergangenheit angehören, fordert der Sprecher des Deutschen Tierschutzbundes, Marius Tünte: „Dazu zählen beim Schwarzwild unter anderem der Saufang, aber auch Hetzjagden.“ Die Jagd müsse, wenn überhaupt, tierschutzgerecht erfolgen und bedürfe zudem laut Tierschutzgesetz eines vernünftigen Grundes. Die Schonzeiten müssten eingehalten werden: Im Spätwinter, wenn das Wild Ruhe benötigt, dürfe die Jagd nicht gestattet sein.
Für den Tierschutzbund ist die Populationsentwicklung der vergangenen Jahrzehnte ein Beleg dafür, dass die Jagd den Wildschweinbestand nicht regulieren kann. „Wenn überhaupt weiterhin gejagt werden soll, müssten überregionale Konzepte erarbeitet werden, an die sich die Jagdausübungsberechtigten zu halten haben“, sagt Tünte.
Naturschützer fordern Absprachen über Reviergrenzen hinweg
Eine bessere revierübergreifende Kommunikation unter den Jägern ist nach Einschätzung von Markus Bathen, dem Jagdexperten des Naturschutzbund Deutschland (Nabu), die entscheidende Voraussetzung für eine erfolgreiche Wildschweinjagd, die den Anforderungen des Tier- und Naturschutzes gerecht wird. „Eine Rotte Wildschweine kann sich über Reviergrenzen hinweg bewegen“, sagt Bathen. Deshalb müssten die Jäger sich regelmäßig austauschen – auch um zu vermeiden, dass die falschen Tiere geschossen werden. Denn die Rotten werden von weiblichen Schweinen, den Leitbachen, angeführt. Werden diese Tiere getötet, kann das zu einer Aufteilung der Rotte führen und das Fortplanzungsverhalten verändern, da sich infolge der fehlenden Orientierung an der Leitbache die Jungtiere früher vermehren.
Der Nabu macht sich zudem für das Prinzip der Intervalljagd stark – mit organisierten Treibjagden während zweier Wochen im Herbst, durchgeführt von gut ausgebildeten Jägern mit Hunden, die für die Wildschweinjagd trainiert wurden. Damit könne der Stress für die Tiere vermindert werden, der auch Ursache für vermehrte Schäden in Wald und Flur sei. „Wenn Wildschweine das ganze Jahr geschossen werden, sorgt das bei den Tieren für ständige Störung“, erklärt Bathen. „Die Tiere laufen dann längere Strecken, haben dadurch mehr Energieverbrauch, einen höherer Futterbedarf – und richten bei der Futtersuche größeren Schaden an.“
Fütterung durch Jäger heizt Vermehrung der Wildschweine noch an
Der Ökologische Jagdverband (ÖJV) sieht Defizite bei der Ausbildung der Jäger. „Wir fordern seit Jahren, dass es regelmäßige Schießleistungsnachweise geben muss“, sagt dessen Bundesvorsitzende Elisabeth Emmert. Bislang seien die nur zum zum Erwerb des Jagdscheins vorgeschrieben. Vor allem aber müssten die Jäger damit aufhören, Wildschweine im Winter mit Mais anzufüttern. „Deshalb sind die Probleme auch hausgemacht“, sagt Emmert. „Mit der sogenannten Kirrung versuchen viele Jäger die Tiere herauszulocken – heizen damit aber die Vermehrung der Schwarzwildbestände noch weiter an.“
GASTBEITRAG vom Greenpeace Magazin.
TEXT: Matthias Lambrecht
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