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Streitgespräch „Vegan leben“: Verzicht oder nicht?

Vegan-Pro-Contra-Streitgespräch
Illustration: Miro Poferl

Vegan leben bedeutet verzichten – und Verzicht macht unglücklich! Oder: Veganer müssen auf gar nichts verzichten und leben zudem viel gesünder! Zwei Utopia-Mitarbeiter im Streitgespräch.

Anja Schauberger, Redaktion
Anja Schauberger, Redaktion

„Verzicht macht unglücklich!“

„Ich bin ein Veganer Stufe 5, ich esse nichts, was einen Schatten wirft“ Damals, als dieser Satz im Jahr 2000 bei den Simpsons fiel, lachte man noch herzlich darüber – so realitätsfern schien er. Heute muss man schon kurz schlucken, denn allzu weit sind wir vom „Veganer Stufe 5“ nicht mehr entfernt – mit all unseren Verboten und Regeln fürs Essen.

Veganismus ist dabei der Trend, der sich im Moment der größten Beliebtheit erfreut. Die neue Laktoseintoleranz sozusagen. Produkte, die schon immer ohne tierische Zusatzstoffe auskamen, tragen plötzlich das Logo „vegan!“ und kosten dafür gleich mal zwei Euro mehr. In Cafés muss man ausdrücklich nach nicht-veganem Kuchen fragen und wer Eier oder Milch zu sich nimmt, wird neuerdings gemustert, wie es bisher nur Fleischesser über sich ergehen lassen mussten.

Und hier sind wir schon bei dem Punkt, der mich am meisten stört am Vegansein: Das ganze Drumherum, die Bekehrung. Ich gehe einmal davon aus, dass man sich mit der Entscheidung keine tierischen Produkte mehr zu essen, irgendwie am Weltfrieden beteiligen möchte. Nun, die Welt hat vielleicht ein bisschen mehr Frieden, dafür herrscht jetzt am Esstisch Krieg. Da frage ich mich: Warum den Anderen nicht einfach sein lassen? Auch hier sieht man einmal mehr, dass Ernährung zu unserer neuen Religion geworden ist: Wenn sich jemand in einem Imbiss zu dir setzt, dich von Jesus überzeugen möchte und du aber einfach aufstehst und gehst, bekommst du von den anderen Gästen Applaus oder zumindest ein Lächeln. Versuche das einmal bei einem Veganer. Unser neues Wertesystem sagt: Alles, was vegan ist, ist gut. Alles, was von Tieren kommt, ist eklig. Ich esse allerdings gerne so natürlich wie möglich –Eier und Milch finde ich natürlich, Lupinen-Soja-Schnitzel nicht so.

Warum muss ich mich eigentlich plötzlich dafür rechtfertigen, wenn ich am Wochenende ein Rührei mache? Rühreier mit Kater schmecken einfach. (Ja, Alkohol trinke ich auch noch, mit mir ist wirklich alles zu spät). Ich weiß über die Zustände dieser Hühner Bescheid – und ich hoffe, dass ich es ein bisschen besser machen, indem ich Bio-Eier kaufe. Oder, wenn ich Kaffee mit Kuhmilch trinke, weil mir das nun mal am besten schmeckt. Oder ich gerne alles mit Käse esse und überbacke, weil das einfach verdammt glücklich macht. Meine steile These: Essen macht glücklich, demnach macht nicht essen unglücklich. Und sich selbst ständig verbieten etwas zu essen, am aller unglücklichsten. Vielleicht ist das ja der Grund, warum einige (natürlich nicht alle!) Veganer derart verbissen mit einem diskutieren.

Zum Thema, den Anderen einfach sein lassen: Ich esse zum Beispiel sehr selten Fleisch – nur, wenn ich richtig Lust darauf habe und weiß, dass es irgendwie aus der Region kommt und nicht mit Antibiotika vollgepumpt ist. Ist allerdings meine Entscheidung und jemand, der sich gerne billiges Discounter-Hühnchen reinzieht, ohne Übelkeit danach, dem gratuliere ich. Mein Körpergefühl sträubt sich da dagegen. Ähnlich, wie bei wässriger Milch für 19 Cent und Eiern, die nach nichts schmecken. Ich glaube, wer seinen eigenen Körper kennt, der weiß ziemlich genau, was gut für einen ist. Mir persönlich und da möchte ich wirklich nicht missionieren, war nach dem Verzehr veganer Gerichte immer sehr schwer im Magen und ich habe mich alles andere als gut gefühlt. Wann es mir dafür gut geht: Nach meinem Lieblingsrührei mit Ziegenschafskäse – alles Bio, alles unvegan.

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„Jeder soll so leben und essen, wie er oder sie mag“

Regina Nowak, Sales & Consulting
Regina Nowak, Sales & Consulting

Als eine von zwei Veganerinnen hier im Utopia-Büro, wurde ich gefragt, ob ich nicht ein „pro-veganes“ Statement schreiben möchte. Dabei bin ich ein denkbar schlechtes Beispiel: Ich bin kein militanter „Naziveganer“, der bei jedem Anblick von Fleisch „Igitt“ oder „Mord!“ schreit. Ich finde eher, ich stecke in einem Dilemma: Argumentiere ich „pro-vegan“, schwinge ich gleichzeitig (ohne das zu wollen) die moralische Keule und stelle mich als ethisch am besten lebendste Person ever dar.

Dabei will ich das gar nicht. Denn so bin ich nicht. Und meiner Meinung nach kann und soll eigentlich jeder so leben und essen, wie er oder sie es mag. Mir ist es ehrlich gesagt vollkommen WURST, was andere essen oder nicht essen. Seltsamerweise muss ich mir dennoch ständig anhören, aus welchen persönlichen Gründen („kann nicht auf Käse verzichten“, „esse sowieso nur ganz selten Fleisch und wenn dann nur Bio“…) jemand niemals vegan leben könne – dabei interessiert mich das überhaupt nicht. Gleichzeitig wird mir dann aber auch vorgeworfen, ich würde ständig das Vegandasein predigen. Was für eine Zwickmühle!

Weil ich nun aber ausdrücklich gefragt wurde, erzähle ich hier, was mich persönlich dazu brachte, zuerst vegetarisch und nach weiteren 14 Jahren vegan zu leben. Ich las in einer Jugendzeitschrift (ja, die Bravo) davon, dass Delphine gefangen, ihre Flossen brutal abgeschnitten und sie verstümmelt wieder in den Ozean geworfen werden – nur, um die Flossen als Haiköder zu nutzen. Den Haien werden dann ganz ähnlich nur die Flossen abgetrennt, bevor man sie lebend zurück ins Meer wirft. Und für was? Für Suppe.

Ungefähr zeitgleich nahmen wir im Biologieunterricht das Thema Züchtung und Genmanipulation an Tieren durch. Rückblickend staune ich, was uns unsere Biologielehrerin damals an Videos zeigte. Fette, verwahrloste Hühner in Mastbetrieben, deren Brüste so groß und schwer gezüchtet sind, dass ihre dünnen Knochen sie nicht tragen können und ständig umkippen.

Ich wollte nicht Teil dieses Kreislaufes sein. So etwas sollte nicht wegen mir an Tieren durchgeführt werden. Also verweigerte ich fortan Fleisch – ja, auch Wurst und Fisch und Hühnchen. Und durfte mir fortan sagen lassen, dass ich ja nun den Tieren das Futter wegäße.

Damit lebte ich lange ganz gut und glücklich. Irgendwann fragte ich mich aber, woher der Käse eigentlich kommt, den ich so gerne esse. Warum geben Kühe eigentlich Milch? Ist das nicht für deren Junge gedacht, so wie Mütter auch ihre Babys stillen?

Ich informierte mich ein wenig, las Bücher wie „Tiere essen“ und „Anständig essen“ und erfuhr, dass Kühe künstlich dauerschwanger gehalten werden, damit sie konstant Milch geben. Damit die Milch eindickt und Käse aus ihr wird, geben die Hersteller üblicherweise Naturlab bzw. tierisches Lab hinzu (das wird aus dem Magen von Kälbern gewonnen). Ich hatte mich also eigentlich doch von Tieren ernährt, als ich stolzer Vegetarier war.

Ich fragte mich, ob es nicht auch anders geht. Und entschied mich, eine Woche vegan zu leben. Daraus wurden zwei Wochen, dann ein Monat und seitdem lebe ich vegan. Mein Freund lebt (aus ganz eigenen Gründen) vegetarisch. Es gibt keinen Streit, keine neidvollen Blicke auf den anderen Teller. Es ist eigentlich auch gar kein Thema bei uns. Nur von anderen wird es immer zum Thema gemacht. „Wie, du lebst vegan? Schränkst du dich da nicht voll ein?“

Nein, das tue ich nicht. Ich weiß, dass ich alles essen könnte, was es gibt. Ich möchte es nur nicht.
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