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Stapelweise Grün: Wie Vertical Farms die Landwirtschaft verändern

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Foto: Aerofarms

In Vertical Farms werden Gemüsefelder nicht mehr gejätet, sondern gestapelt. So lässt sich Landwirtschaft in großem Stil auch auf engem Raum oder in Städten betreiben. Doch wie nachhaltig ist das futuristische Konzept?

Vertical Farms muten erst einmal trostlos an: Kaninchen gibt es keine, und auch sonst weckt das, was einige die Zukunft der Agrarwirtschaft nennen, nicht gerade romantische Naturgefühle. Statt Sonne scheinen hier überwiegend LED-Lampen. Manchmal fahren die Regalbeete sogar spazieren, um auch wirklich die optimale Menge an Tages- oder LED-Licht abzubekommen.

Das Grünzeug und Obst, das in Vertical Farms gedeiht, braucht nicht einmal mehr Erde: Moderne Verfahren wie Hydroponik (Aufzucht in wassergefüllten Behältern) oder Aeroponik (Einsatz von Sprühnebeln) sorgen dafür, dass die Pflanzen in optimalem Maß mit Wasser und Nährstoffen versorgt werden.

Vertical Farms: Weniger Platzbedarf, mehr Ertrag

Der Flüssigkeitsbedarf dieser Anbauverfahren ist vergleichsweise gering, und wenn intelligente Systeme am Werk sind, steuern sich Vertical Farms weitgehend selbst. Computer düngen und wässern ihre Zöglinge, kontrollieren die Temperatur, messen Wachstum und Ertrag und sammeln auf diese Weise Daten, die genutzt werden, um den Betrieb weiter zu optimieren.

Einige Farmen beherbergen sogar Fische, die als Teil einer Aquaponik-Anlage das Düngewasser mit Nährstoffen anreichern und sich im Gegenzug über das von den Pflanzen gereinigte Wasser freuen. Weil die Farmen über eine geschlossene und kontrollierte Umwelt verfügen, müssen viele Keime und Bakterien draußen bleiben. Deswegen kommt die vertikale Anbaumethode auch mit weniger oder gar keinen Pflanzenschutzmitteln aus.

Außerdem wichtig: Geschmack und Haltbarkeit. Dank zugesetzter Nährstoffe werden Lebensmittel aus vertikalen Farmen mitunter als wohlschmeckender empfunden, was auf die zunehmende Nährstoff-Armut vieler konventioneller Böden zurückzuführen ist. Auch die längere Haltbarkeit, die mit der modernen Anbaumethode erzielt werden kann, spielt für einige Länder und die Gastronomie eine Rolle.

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Was aussieht wie von Stanley Kubrick, ist vertikal wachsender Salat. (Bild: Freight Farms)

Ist Vertical Farming unnatürlich?

Doch das System ist umstritten. Kritiker halten Vertical Farming für unnatürlich. “Landwirtschaft an sich ist unnatürlich”, kontert Dr. Dickson Despommier, Ex-Professor für Umweltgesundheit und Vorreiter des Vertical Farming. Despommier ist nicht der Einzige, der sich für die Effizienz von Vertical Farms interessiert und zu ihrer Nachhaltigkeit forscht.

Und das aus gutem Grund: Vertical Farms wird zugetraut, eine wachsende Weltbevölkerung effizient und relativ klimaneutral zu ernähren. Die größte Vertical Farm der nahen Zukunft, Crop One in Dubai, soll bald in der Lage sein, bis zu 3000 kg Gemüse pro Tag (!) zu produzieren.

Vertical Farms: Gemüse aus der Wüste

Das ist erstaunlich, wenn man das Klima bedenkt, das in großen Teilen der Arabischen Emirate vorherrscht: Hitze, gepaart mit Dürre. Obst und Gemüse müssen deshalb teuer eingeflogen werden – was nicht nur die Preise in die Höhe treibt, sondern auch einen hohen CO2-Ausstoß verursacht.

Kein Wunder, dass sich Dubai für eine vertikale Farm wie Crop One begeistert, in der auf wenig Raum und mit wenig Wasser tonnenweise Gemüse produziert werden kann. Künftig wollen die Emirate Fluggäste von zahlreichen Airlines mit frischen Lebensmitteln aus dem eigenen Land versorgen.

Noch ist Crop One aber nicht fertiggestellt, die größte Vertical Farm der Welt steht bislang in New Jersey: Dort beherbergt das Unternehmen AeroFarms eine 6.500 Quadratmeter große Vertikalfarm, die pro Jahr über 900 Tonnen Lebensmittel produziert. Das geerntete Gemüse wandert hauptsächlich in den Supermarkt.

Pflanzen wachsen bei AeroFarms auf wiederverwendbaren Netzen aus recyceltem Mikroplastik und werden von Computern versorgt. Der Wasserverbrauch beträgt nur 5 Prozent dessen, was in der herkömmlichen Landwirtschaft benötigt wird. Auch der Platzverbrauch ist viel geringer: Pro Quadratmeter ist der Ertrag 350-mal so hoch wie zuvor. Kein Wunder, Äcker kann man schließlich nicht stapeln.

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350-mal mehr Ertrag pro Quadratmeter: Kein Wunder, wenn man hochstapeln kann. (Foto: AeroFarms)

Vertical Farms: Sind sie wirklich nachhaltig?

Aber wie nachhaltig sind Vertical Farms wirklich? Auf der einen Seite stehen Argumente gegen die herkömmliche Agrarwirtschaft: Sie ist global für ein Drittel unseres CO2-Austoßes verantwortlich, belastet das Wasser mit Düngern und Pestiziden und begünstigt Naturkatastrophen, weil große Flächen gerodet werden.

Die herkömmliche Landwirtschaft ist auch mitverantwortlich für weniger Biodiversität und das Artensterben. Außerdem begünstigt sie lange Transportwege. In all diesen Punkten schneiden Vertical Farms besser ab.

Auf der anderen Seite wird für die klassische Landwirtschaft argumentiert, wie wichtig beispielsweise Mikroorganismen aus der Erde für die menschliche Darmgesundheit seien. Diese Erde fehlt in vertikalen Farmen, stattdessen müssen Mikroorganismen und Nährstoffe der Bewässerung künstlich beigesetzt werden. Das stößt nicht zwangsläufig auf Verständnis – oder schürt sogar Ängste.

Ebenfalls hinterfragt werden die Massen an LED-Lampen, die nicht nur Tag und Nacht Energie verbrauchen, sondern auch hergestellt und entsorgt werden müssen: Ein relevanter Beitrag zum ökologischen Fußabdruck der Vertical Farms. Außerdem könnten viele Arbeitsplätze verlorengehen, wenn die Landwirtschaft stärker „vertikalisiert“ und damit effizienter wird.

Auf andere wiederum wirkt etwas so Industrielles wie eine Vertical Farm, die etwas so Natürliches wie Petersilie liefern soll, schlicht wenig vertrauenserweckend.  Ist das noch ‘normales’ Obst und Gemüse?

Dabei strotzen auch bewirtschaftete Böden nicht gerade vor Natürlichkeit: Sie müssen ebenfalls gedüngt und außerdem mit Pestiziden besprüht werden.

Vertical Farms: Das sagt die Wissenschaft

Die Wissenschaft soll helfen, das Für und Wider abzuwägen. Gegenstand der Forschung ist zurzeit der Nährwert der Frischkost, die in Vertical Farms wächst, sowie eine Lebenszyklus-Analyse, die die Umweltbelastung einer kompletten Vertical Farm von ihrer Geburtsstunde bis zum Abriss erfasst.

In puncto Nachhaltigkeit gibt es erste Studien, die Vertical Farms nicht nur Potential zusprechen, sondern sogar für notwendig halten: So betonte das Fraunhofer Institut 2018 in einer der bislang größten Erhebungen zum Thema, dass die Folgen des Klimawandels das Wachstum der Agrarwirtschaft in Zukunft deutlich begrenzen könnten.

Eine weitere Studie kam 2018 zu dem Schluss, dass Vertical Farms auf einer globalen Skala mehr ökologische Vor- als Nachteile bringen, zeigte aber auch auf, dass die Anbaumethode je nach Region mehr oder weniger sinnvoll erscheint.

Die Folge: Die Kapazitäten der konventionellen Landwirtschaft könnten für eine wachsende Weltbevölkerung nicht mehr ausreichen. Bezahlbare Lösungen müssten her – wie eben vertikale Farmen.

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Nie mehr Erde zwischen den Zähnen: Salat aus der Nährstofflösung. (Bild: Freight Farms)

Übersicht der Vor- und Nachteile von Vertical Farming

Vertical Farms haben also verschiedene Vor- und Nachteile. Hier ein Überblick.

Das spricht für Vertical Farming:

  • Keine langen Transportwege oder Kühlung: Das spart Ressourcen und es verderben weniger Lebensmittel während des Transports.
  • Effiziente Flächennutzung: Durch den mehrstöckigen Anbau können kleine Flächen viele Menschen versorgen.
  • Wasserverbrauch verringert sich: Da das Wasser im Kreislaufsystem des Vertical Farmings nicht versickert oder verdunstet, ist der Wasserverbrauch geringer als auf dem Feld.
  • Ganzjährige Ernte möglich: Da Vertical Farms nicht dem Wechsel der Jahreszeiten ausgesetzt sind, sind die Erträge deutlich höher.
  • Schutz vor Ernteausfällen: Die Pflanzen wachsen in einer kontrollierten Umgebung und sind unabhängig von klimatischen Bedingungen oder anderen Umwelteinflüssen. Das ist insbesondere mit Blick auf den Klimawandel von Vorteil, da extreme Wetterereignisse immer häufiger werden.
  • Weniger Spritz- und Düngemittel: Durch die kontrollierte Umgebung herrschen bereits gute Wachstumsbedingungen, weshalb weniger Pestizide nötig sind. Aber: Kommt es doch zum Schädlingsbefall, können diese optimalen Bedingungen auch zum Nachteil werden, da auch die Schädlinge davon profitieren. Dann sind große Mengen an Pestiziden nötig, um den aggressiven Befall zu stoppen.
  • Exotisches Obst und Gemüse regional verfügbar: In den regulierbaren Gewächshäusern können auch exotische Pflanzen angebaut werden.
  • Flächen können renaturiert werden: Indem Flächen effizienter genutzt werden, können Äcker in ihren Naturzustand rückgeführt werden. Das schont Ressourcen.
  • Erneuerbare Energiequellen: Der Energiebedarf der Vertical Farms kann beispielsweise durch am Gebäude angebrachte Solarzellen gedeckt werden. Aber auch entstehende organische Abfälle können in einer nahegelegenen Biogasanlage direkt der Stromerzeugung dienen.
  • Verbesserte Luftqualität: Der von den Pflanzen produzierte Sauerstoff kann die Luft in Ballungsräumen aufwerten.
  • Geringere Unfallgefahr für Arbeiter*innen: Im Vergleich zur Feldbewirtschaftung sind Arbeiter*innen beim Vertical Farming weder Pestiziden noch anderen Gesundheitsrisiken ausgesetzt, die häufig mit dem Ackerbau verbunden sind.
  • Geringe Personalkosten: Fast alle Prozesse finden automatisiert statt.

Das spricht gegen Vertical Farming:

  • Zusätzlicher Energieverbrauch und Mehrkosten: Beim Vertical Farming wird künstlich bewässert, belüftet, beleuchtet und überwacht. Auch der Bau einer Vertical Farm ist mit hohen Kosten verbunde. Wenn aber konsequent erneuerbare Energiequellen genutzt werden, können die Pflanzen dennoch nachhaltig angebaut werden.
  • Langer Weg bis zur wirtschaftlichen Rentabilität: Hohe Energiekosten und das große Startkapital können eingesparte Transportkosten teilweise wieder aufwiegen. Urbane Farmen sind damit nicht immer rentabel, insbesondere in den Anfangsjahren.
  • Keine Lösung für den Welthunger: Grundnahrungsmittel wie Weizen, Kartoffeln, Mais oder Reis eignen sich weniger für den Etagenanbau und benötigen weiterhin große landwirtschaftliche Flächen.
  • Keimrisiko besteht weiterhin: Auch in kontrollierter Umgebung können Keime auftreten. In diesem Fall kann sich die Krankheit sehr schnell ausbreiten, da auch für die Eindringlinge keine Störfaktoren bestehen.
  • Gefährdet das Überleben kleiner Betriebe: Vertical Farms lohnen sich vor allem im großen Stil. Um ein solches Projekt umzusetzen, sind Investoren nötig, wodurch eine Abhängigkeit von Großkonzernen entsteht. Zudem gehen durch die automatisierten Systeme Arbeitsplätze verloren.
  • Viel Technik nötig: Aus ökologischer Sicht umstritten ist auch die große Menge an benötigter Technik, wie beispielsweise LED-Lampen, die produziert und wieder entsorgt werden müssen. Auch der Bau einer Vertical Farm hinterlässt einen großen ökologischen Fußabdruck.
  • Risiko von Ernteausfällen besteht weiterhin: Auch wenn klimatische Faktoren keine Rolle mehr spielen, wird die Lebensmittelversorgung durch einige große Gebäudekomplexe umso verwundbarer. Im Falle von Stromausfällen, Erdbeben, Unfällen oder gar Sabotagen könnte das Versorgungssystem einer ganzen Stadt zusammenbrechen.

Vertical Farms: Auch schon in Europa angekommen

Mit rund 100 Millionen US-Dollar ist eine Vertical Farm natürlich kein Schnäppchen, für die Instandhaltung sollte man pro Jahr etwa 20 Millionen US-Dollar draufschlagen. Dem stehen eine höhere Effizienz, geringere Transportkosten sowie die Möglichkeit gegenüber, ganzjährig zu produzieren. Auch der Absatz kann besser kalkuliert werden.

Im besten Fall werden die Farmen gleich als Teil einer Kreislaufwirtschaft (circular economy) konzipiert, die ohne Müll auskommt und nur mit erneuerbaren Energien betrieben wird.

Das macht das Konzept nicht nur für Ölstaaten attraktiv. Auch anderswo ist man nicht untätig: In Australien werden „Modular Farms“ bereits in Containern vertrieben, die überall einsetzbar sein sollen. In England betreibt JFC eine Farm, die mit 17 Etagen fast so groß ist wie die von AeroFarms in den USA. Infarm aus Berlin dagegen hat sich zur Aufgabe gemacht, besonders kleine Vertical Farms in die Berliner Stadtlandschaft zu integrieren, um so lokale Märkte zu bedienen.

Kommt also auch unser Gemüse bald im großen Stil aus der Stadt? Abwegig ist das nicht, doch die Antwort hängt nicht nur von möglichen Investoren ab. Noch sind Wasser oder Land bei uns nicht so knappe Güter wie in anderen Weltgegenden. Mit einem Blick auf den ökologischen Fußabdruck könnte sich Vertical Farming aber auch hierzulande schon bald lohnen – ökologisch und ökonomisch.

Weiterlesen auf Utopia.de:

English version available: Vertical Farming: Taking Agriculture to New Heights

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