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The Hunger Games oder: Mein Jahr als Flexiganer

Mein Jahr als Flexiganer
Fotos: © shinelight / photocase.de; © A_Lein, 279photo - Fotolia.com

Für ein Jahr war unser Autor flexigan unterwegs. Über Höhen, Tiefen und ein verdammt gutes Butterbrot.

So ein frisch geschnittenes Hofpfisterbrot, die Öko-Sonne zum Beispiel, wo der Rand schön knuspert, wenn man reinbeißt. Und darauf jetzt eine dicke Schicht kühlschrankkalter Butter, so dass sich das geschmackstragende Fett der Butter beim ersten Bissen am hinteren Teil der Schneidezähne mit dem Gaumen verbindet. Dazu einen aufgeschäumten Cappuccino oder Milchkaffee, wenn es sein muss auch ein Latte Macchiato.

900.000 Veganer und ich

Es gibt in Deutschland 900.000 Veganer. Und ich kann mir beileibe nicht vorstellen, dass sie freiwillig auf Butterbrot und Milchbart verzichten. Oder Butterbreze? Semmelknödel? Schokolade!

Gerade weil ich eine krankhafte Fixierung auf Essen habe, war ich bisher schon ziemlich stolz darauf, Vegetarier zu sein. Keiner der Sorte, die versucht, auf Teufel komm raus die anderen bösen Fleischesser davonzu überzeugen, wie grundschlecht sie sind und dass sie ziemlich sicher in der Carnivorenhölle landen. Ich vergleiche die Massentierhaltung nicht mit dem Holocaust und schaue auch nur manchmal angeekelt, wenn Freunde oder Familie sich eine Billigbratwurst oder ein 3-Euro Schnitzel bestellen.

Ich bin jetzt in meinem vierten Jahr fleischlos und nach anfänglicher Trennungsschmerzphase von meiner geliebten Leberkassemmel bin ich zum Überzeugungstäter geworden. „Kein Fleisch?“ fragt mich mein fünfjähriger Sohn und wer Kinder hat, der weiß, wie verdammt genau diese Gnome unser schön aufgebautes Gerüst aus Lügen demontieren können. „Aber du isst doch Fisch?“ sagt er entblößend. „Ja, Fisch schon, aber vornehmlich aus regionaler und ökologischer Herkunft. Und Fisch ist ja nicht Fleisch.“ Widerspreche ich mir selbst? Nun gut, ich widerspreche mir selbst.

Sind Veganer besser fürs Klima?

Gegen Ende 2015, als der soziale Druck der „Was sind deine Vorsätze fürs neue Jahr„-Fragen meiner Freunde überhand nahm, beschloss ich, einen Schritt weiter zu gehen. Der jährliche Ratgeber von Greenpeace über bedrohte Fischarten tat sein übriges.

Hinzu kamen Fakten wie zum Beispiel, dass sich das Essverhalten wesentlich stärker auf das Klima auswirkt als das Mobilitätsverhalten. Wenn man bedenkt, dass für die Produktion eines saftiges Rindersteaks pro Kilo 25 mal so viel klimaschädliches Kohlendioxid in die Atmosphäre gepupst wird wie bei einer zehn Kilometer langen Autofahrt, scheinen die radfahrenden Hippie-Hipster, die sich aber ab und zu gerne ein Stück Fleisch reinhauen, gar nicht mal mehr so öko, wie sie gerne wären.

Und genau das ist ja die moralische Überlegenheit, die wir Vegetarier in Sachen Klimaschutz gerne an den Tag legen. „Ihr Fleischfresser killt das Klima! Esst weniger (oder am besten) gar kein Fleisch!“

Als ich die CO2-Tabelle aber weiter runterscrollte musste ich mit Erschütterung feststellen, dass ein Kilo Butter fast doppelt so viel emittiert wie ein Hüftstück der milchgebenden Kuh. Ich werde jetzt zwar nicht so schnell ein Kilo Butter am Stück verdrücken aber die Erkenntnis, dass mein aus ökologischen Gründen gewähltes Vegetarierdasein vielleicht gar nicht so viel zu meinem Kampf gegen den Klimawandel beiträgt, wie ich dachte, war zermürbend. Gerade weil ich als passionierter Koch stark auf die drei Geheimnisse der französischen Küche zurückgreife, die da wären: Butter, Butter, Butter.

Was ist das für 1 veganes Life

Ich beschloss also, ein Jahr vegan zu leben. Naja, nicht ein volles ganzes Jahr. Nicht 365 Tage. Ich wollte mich langsam an die Materie herantasten und einmal pro Woche nun auch Fisch, Milch und Ei verneinen. Der Flexiganer war geboren.

Zu Beginn war ich noch voller Elan – beging jedoch zwei entscheidende Fehler. Erstens: Ich hatte mir auferlegt, mich einen Tag pro Woche vegan zu ernähren, ohne diesen Tag festzulegen. So schob sich das Ganze in den ersten Wochen immer weiter nach hinten, was ein eindeutiges Zeichen für meine Widerwilligkeit war. Ich beschloss also, einen festen Tag in der Woche der lakto-ovoischen Abstinenz zu widmen und erkor den Mittwoch zum VeganWednesday. Die Mitte der Woche zu wählen war nicht nur psychologisch schlau, „VeganWednesday“ ist auch ein ziemlich guter Hashtag: einprägsam und definitiv small-talk-tauglich.

Mein zweiter Fehler: Ich hatte mich nicht vorbereitet. Ich merkte am Vegantag, dass ich nur Eiernudeln, kaum Gemüse und keine veganen Süssigkeiten eingekauft hatte und hungerte mich so durch den Tag. Meine Stimmung war dementsprechend blendend, meine Kolleginnen machten mittwochs einen großen Bogen um mich. Ob Hulk wohl Veganer ist?

Auf VeganWednesday folgt VegetarianThursday

Ich ertappte mich dabei, wie ich an jedem VeganWednesday Mitternacht herbeisehnte, um mir dann nachts noch ein Stück Vollmilchschoki zu gönnen – immerhin war ich jetzt 24 Stunden vegan! Der VegetarianThursday ist nicht nur weniger hashtagtauglich wie der VeganWednesday, sondern begann am Anfang auch oft mit Rührei, Croissant und Milchkaffee. Ich hasste mich zutiefst, während sich meine Glückshormone exponentiell mit jedem Schluck Schaum vermehrten.

Auch meiner Familie fiel es nicht leicht, sich an meine selbst auferlegte Geißelung zu gewöhnen. Mein Sohn versuchte zum Beispiel mehrmals unser gelegentliches Geschmackstestspiel gegen mich zu verwenden. Dabei muss man mit geschlossenen Augen etwas probieren und erraten, was es ist – so will ich ihn zum Gemüse essen bringen. Meist öffnete ich im letzten Moment ob des verführerischen Geruchs die Augen und sah ihn hämisch lächelnd ein Stück Schweinesalami in Richtung meines Mundes strecken.

„Man muss nur fest genug nicht daran denken!“

In jüdischen Kreisen berichtet man von der allgegenwärtigen Praktik, die harten Regeln des heiligen Sabbaths auf trickreiche Weise zu umgehen. So stellte auch ich mich manchmal ein bisschen naiv und redete mir ein, dass solange ich nicht wusste, dass ein Lebensmittel nicht vegan ist, es vegan sein muss. Man muss nur fest genug nicht daran denken!

Abgesehen davon kam ich ganz gut zurecht: Dass Bier und Wein oft nicht vegan sind störte mich als Antialkoholiker nur gering, richtig gute Gummibärchen zu finden, die keine Tiergelatine enthalten, ist immer noch ein laufendes Projekt.

Ob ich gesünder lebe, seitdem ich flexigan bin?  Das ist mir eigentlich relativ egal. Nein, ich sehe noch nicht aus wie Attila Hildmann. Ich mache das nicht, weil ich geil aussehen, einen Sixpack haben oder Frauen abschleppen will. Ich mache das aus ethischen Gründen kruzefix (ja, es ist ein Mittwoch, an dem ich das hier schreibe). Spätestens seit ich festgestellt habe, dass Lebensmittel wie Chips, Cola oder Popcorn vegan sind, (zumindest die meisten) sind sie feste Bestandteile meines Ernährungsplans. Kulinarisch bewegen sich meine Mittwoche zwischen warmem Sobanudel-Salat mit karamelisiertem Tofu und Kartoffelknödeln mit Maggi (ja, Maggi ist vegan!). Ich habe übrigens kein Gramm zu- oder abgenommen.

Ein lehrreiches Jahr

Ein Jahr ist um. Oder zumindest 52 Wochen, in denen ich so ziemlich jeden Mittwoch bewusst oder unbewusst nicht nur auf Fisch, sondern auch auf Milch, Eier und alles andere Tierische verzichtet habe. Und leider war es ein Verzicht. Ein Jahr hat mir noch nicht gereicht, um mir das vegane Leben schönreden zu können.

Dennoch ist das Experiment für mich geglückt. Denn ein Grund, mich auf dieses Abenteuer überhaupt einzulassen war das No Impact Man Prinzip: Es ging mir nicht darum, ein Leben voller Verzicht und Verbote zu leben, sondern zu erkennen, was an meinem Lebensstil wirklich notwendig ist und welche umweltschädlichen Handlungen ich ohne große Probleme vermeiden kann. So konnte ich erkennen, dass man Kuhmilch sehr gut mit Alternativen ersetzen kann, ohne dass es einen merklichen Geschmacks- und somit Glücksunterschied gibt. Gleichzeitig hat sich mein kulinarisches Bewusstsein erweitert und ich habe neue Rezepte ausprobiert, die jetzt öfter auf den Tisch kommen.

Am 31.12.2016 sitze ich vor einem frisch geschnittenen Hofpfisterbutterbrot und einem cremigen Milchkaffee. Und während ich genüsslich in das Brot beiße und einen Schluck Kaffee schlürfe, beschließe ich, dass ich 2017 zwei Tage die Woche vegan leben werde. Schritt für Schritt, Biss für Biss taste ich mich an das völlige Vegansein ran.

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