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Venedig ist überall: Das Ende der Welt in einem Bild

Hochwasser Venedig
Foto © Claudia Manzo

Venedig hat Jahrhunderte überlebt, viele Hochwasser und die Pest. Heute ist klar: Wir werden Venedig verlieren. Die Frage ist nur, warum? Ein Kommentar.

Wer einmal in Venedig war weiß: Diese Stadt verschlingt ihre Besucher. Zu unwirklich wirken die Bauten, die scheinbar direkt auf dem Wasser stehen, zu vergänglich wirkt der Prunk, zu überfüllt sind die schmalen Gassen. Ein surrealer Ort, der einen nicht loslässt, weil er real ist.

Venedig überlebte die Pest und jedes Hochwasser

Anders betrachtet: Eine Stadt auf matschigem Untergrund und unzähligen Holzpfählen – wurde diese gebaut, um unterzugehen? Nein, Venedig wurde gegründet, um fortzubestehen. Mehr als 20 Pestepidemien hat die Stadt überlebt. Die verheerendste 1576 raffte 46.000 Menschen dahin – ein Drittel der damaligen Bevölkerung. Im November 1630 starben innerhalb eines Monats 16.000 Venezianer an der Pest. Venedig war im Hochmittelalter der Schnittpunkt von Okzident und Orient. Eine weltoffene Stadt für den Handel – und dadurch auch offen für eine Krankheit, die sich von Mensch zu Mensch überträgt. Wie konnte man die Pest trotzdem besiegen? Verkürzt gesagt: durch die Gründung einer Gesundheitsbehörde und den weitreichenden Einsatz neuartiger Quarantäne-Maßnahmen.

Wie Gondeln oder der Markusplatz gehört auch das Hochwasser quasi schon immer zu Venedig – und damit auch die Gefahr, dass „aqua alta“ (Hochwasser), die Stadt zerstören kann. Darum wurde bereits 16. Jahrhundert ein „Wasserkomitee“ gegründet. Dieses ließ beispielsweise Wehre und Dämme in Richtung Mittelmeer bauen und leitete in einem gigantischen Bauprojekt Flüsse um, um die Versandung der Lagune aufzuhalten. Auf den Punkt gebracht: Bis heute überlebte Venedig jedes Hochwasser, weil man wirkungsvolle Maßnahmen ergriff, um die Stadt zu schützen.

Venedig wird untergehen – die Frage ist nur wann

Jetzt ist 2019. Vor einem Jahr konnte man lesen: „Venedig werden wir verlieren, das ist nicht umstritten“. Für Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und andere Experten ist es nur noch fraglich, wann es passieren wird. Der Grund: Der Klimawandel lässt die Meeresspiegel ansteigen. Eine Stadt, die Jahrhunderte überlebte, gilt heute also offiziell als verloren.

Kapitalismus auf Kreuzfahrt – die neue Pest

Wann auch immer Venedig untergehen wird, sie ist schon heute eine Geisterstadt. Vor 28 Jahren lebten noch 78.000 Menschen im historischen Zentrum, heute sind es noch 55.000. Fast die Hälfte derer ist über 60 Jahre alt.

Die 55.000 Einwohner bekommen jedes Jahr Besuch von 30 Millionen Touristen. Das heißt: Jeden Tag um die 25.000 Touristen mehr als Menschen, die dort leben. Viele von ihnen fallen als Tagestouristen von Kreuzfahrtschiffen ein, verstopfen die Wasserbusse und Sehenswürdigkeiten, verspeisen ein überteuertes Touristen-Menü, und ergattern ein Andenken aus Murano-Glas. Letztere sind heute meist Billig-Nachmachen aus China und stammen nicht mehr aus der Handwerks-Tradition der Venedig-Insel.

Die überdimensionierten Kreuzfahrtschiffe selbst geben nicht nur einen – selbst für Venedig – äußerst surrealen Anblick ab. Sie sorgen auch für massive Feinstaubbelastung und extreme Wasserverdrängungen, die den Untergrund der Lagune erodieren lassen. Das bedroht die Statik der Stadt.

Wer länger in Venedig urlaubt, bucht oft über Airbnb eine Wohnung. Doch was als nettes Sharing-Angebot daherkommt, ist knallharter Kapitalismus. Denn über die Internetplattform werden reguläre Wohnungen an Touristen zu Preisen vermietet, die sich Einwohner nie leisten könnten. Die Folge: Das Leben in Venedig wird vielen Venezianern zu teuer – und darum fliehen sie aus der Stadt.

Viral: Wir sehen uns zu, wie wir untergehen

Was haben Kapitalismus, Klimawandel, Pest und das untergehende Venedig miteinander zu tun? Die Antwort zeigt ein Bild perfekt, das auf Facebook viral ging. Zwei Frauen, offenbar Touristinnen, stehen tief im Hochwasser, es scheint, als wären sie gerade eben noch shoppen gewesen. „It is easier to imagine an end to the world than an end to capitalism“ schrieben einige der vielen Facebook-Nutzer, die das Bild gepostet haben. Das populäre Zitat stammt aus  Mark Fishers „Capitalist Realism: Is There No Alternative?, das Original-Foto stammt von der italienischen Fotografin Claudia Manzo.

Venedig hat Jahrhunderte überlebt, viele Hochwasser und die Pest. Wenn es um Leben und Tod ging, hat die Stadt nicht einfach so weitergemacht, sondern radikale Maßnahmen ergriffen. Seit einem Jahr nun ist Venedig offiziell totgesagt. Der Klimawandel wird die Meeresspiegel steigen lassen – dagegen können wir laut Wissenschaft nichts mehr tun.

Es passt gut ins Bild, dass der Schnappschuss nicht vom aktuellen Hochwasser stammt, sondern aus dem Vorjahr. Same procedure every year: Wir konsumieren Bilder und regen uns darüber auf, dass die Touristinnen trotz Hochwasser weiterkaufen. Was gemerkt? Wir machen weiter wie bisher, obwohl unser Planet eine ähnliche Diagnose erhalten hat wie Venedig. Die Wissenschaft sagt, dass wir nur eine fünfprozentige Chance haben, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen – die nächsten zwei Jahre sind für die Zukunft der Menschheit entscheidend. Wir müssen uns alle bewegen und zwar jetzt – oder wir sehen uns weiterhin zu, wie wir untergehen.

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