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Wie grün ist Martin Schulz?

Wie grün ist Martin Schulz?
Foto: "43. Bundesparteitag der SPÖ" SPÖ Presse und Kommunkation unter CC BY-SA 2.0

Martin Schulz kann mitreißend über Europa reden und heftig über politische Gegner schimpfen. Mit seinem Einsatz für die Umwelt ist der SPD-Kanzlerkandidat bislang aber nicht aufgefallen.​

Martin Schulz stammt aus der Bergbaustadt Würselen im Norden Aachens. Mehr als ein Jahrhundert lang wurde dort Kohle abgebaut, doch wegen der sinkenden Nachfrage musste das Bergwerk 1969 schließen.

Die Folgen prägten den jungen Martin Schulz in seiner Zeit als Bürgermeister der Stadt: „Die Arbeitsplatzverluste waren nicht so dramatisch, weil die Bergleute auf andere Zechen verteilt wurden“, erzählte er 2009 in einem Interview mit der SPD-Parteizeitung „Vorwärts“. „Aber der Verlust der Wirtschaftskraft war enorm. Wir haben 20 Jahre gebraucht, um die Umstrukturierung zu einer postmontanen Stadt hinzubekommen.“

Martin Schulz: erst Bürgermeister, dann Brüssel

Elf Jahre lang war Schulz Bürgermeister in Würselen und bemühte sich, die kränkelnde Zechenstadt wieder aufzupäppeln. Eine lehrreiche Erfahrung. Als Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel 2015 ankündigte, alte Braunkohle-Kraftwerke mit einer Sonderabgabe zu belegen, zögerte Schulz daher nicht lange. Er fuhr nach Weisweiler ins rheinische Braunkohlengebiet – ein Heimspiel für ihn – und traf sich mit Vertretern des Stromkonzerns RWE. Wenn wegen Gabriels Sonderabgabe Kohlemeiler stillgelegt werden müssten, führe das zu „sozialen Brüchen“, warnte er. „Wir haben uns noch nicht von der Braunkohle verabschiedet.“

Nach seiner Zeit als Bürgermeister erklomm er die Karriereleiter in Brüssel. Seit 1994 sitzt Schulz im Europäischen Parlament, ab 2012 war er dessen Präsident. Einer, der etwas zu Schulz‘ umweltpolitischen Profil sagen kann, ist Pieter De Pous. Der Direktor für EU-Politik beim Europäischen Umweltbüro, dem Dachverband von über 140 Umweltorganisationen, ist nicht gut auf Schulz zu sprechen. Er musste mehrmals beim damals frisch gewählten Parlamentspräsidenten anfragen, bevor dieser zu einem ersten Treffen bereit war.

Auch beschloss das EU-Parlament unter Schulz, den Ausstoß von Treibhausgasen bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent im Vergleich zu den Werten von 1990 zu reduzieren. Ein wenig ambitioniertes Ziel, so De Pous: „Das war sowieso das unterste Ende der Fahnenstange.“

Unterstützer von TTIP und CETA

Fragt man dieser Tage die Brüsseler Büros der großen NGOs, was Schulz zum Umweltschutz beigetragen hat, herrscht jedoch vorwiegend Ratlosigkeit. Der neue SPD-Kanzlerkandidat scheint ein unbeschriebenes Blatt. Als Präsident des EU-Parlaments gehörte es rein formal auch nicht zu seinen Aufgaben, sich in den täglichen Politikalltag einzumischen. Normalerweise ist der Präsident dafür verantwortlich, dass der demokratische Betrieb reibungslos abläuft. Er hält den Vorsitz bei Plenarsitzungen und vertritt das Parlament in Außenangelegenheiten.

Doch hat Schulz oft genug Ausnahmen gemacht, wenn es eines seiner Kernthemen betrifft.

So schmiss er im März 2016 einen griechischen Abgeordneten der rechsrechtsradikalen Partei „Goldene Morgenröte“ aus dem Plenarsaal, nachdem dieser Türken beschimpft hatte. Seit der vergangenen Europawahl sind viele Politiker im Parlament vertreten, die unverblümt rassistische Positionen vertreten. Es gebe immer mehr Abgeordnete, die systematisch rote Linien überschritten, sagte Schulz. Deswegen müsse eine „Grundsatzentscheidung“ her.

Auch beim Thema Freihandel bezog Schulz klar Stellung. Als das EU-Parlament im Juni 2015 über das Verhandlungsmandat der EU-Kommission zum Freihandelsabkommen TTIP entscheiden sollte, verschob er die Abstimmung in letzter Minute. Es habe zu viele Änderungswünsche gegeben, so seine Begründung. Tatsächlich sah er wohl kommen, dass die Resolution zu diesem Zeitpunkt keine Mehrheit bei den Sozialdemokraten gehabt hätte. Schulz ist erklärter Unterstützer von TTIP und CETA. „Er hat oft eingegriffen, sich abgesprochen und dafür gesorgt, dass klare Mehrheiten zustande kamen“, sagt Nina Katzemich, Campaignerin beim Verein Lobbycontrol.

„TTIP war eine der wenigen Abstimmungen, an denen Schulz mit abgestimmt hat“, erinnert sich Martin Häusling, grüner Abgeordneter im Umweltausschuss des EU-Parlaments. Laut dem Portal Abgeordnetenwatch nahm Schulz seit 2014 nur an zwei Abstimmungen des EU-Parlaments teil. Meist hatte er andere Termine. Doch für TTIP nahm er sich die Zeit. „Auch CETA wollte Schulz möglichst schnell durchbringen“, erzählt EU-Parlamentarier Häusling. „Die Bedenken zu den Themen Umweltschutz und Verbraucherschutz nahm er nicht ernst.“

Darin sieht Häusling noch Schulz’ größte Schwachstelle. „Ich schätze ihn wirklich als hervorragenden Pro-Europäer, aber in Sachen Umwelt ist in Brüssel nicht sehr aktiv gewesen“, sagt Häusling. „Wenn er Bundeskanzler werden will und eine Koalition mit den Grünen anstrebt, dann muss er da noch ein paar Schippen drauflegen.“

Immerhin: Einmal ist Schulz als Atomkraftgegner in Erscheinung getreten – als es um seinen eigenen Wahlkreis ging. Im Juni 2016 empfing er eine Delegation aus Aachen, die die EU-Kommission aufforderte, die Vorfälle im belgischen Pannen-AKW Tihange 2 zu untersuchen und mögliche Verstöße gegen europäische Verträge zu prüfen. Er teile die Sorgen der Menschen in der Region, sagte Schulz. „Ich stehe auf ihrer Seite. Wir sollten mit Tihange 2 in dieser Form nicht leben müssen.“

GASTBEITRAG vom Greenpeace Magazin.
TEXT: Julia Huber

Das Greenpeace Magazin erscheint unabhängig, 100% leserfinanziert, frei von Werbung und ist digital und gedruckt erhältlich. Es widmet sich den Inhalten, die wirklich zählen: Das Thema heißt Zukunft und gesucht wird nach neuen Lösungen, kreativen Auswegen und positiven Signalen. Utopia.de präsentiert ausgewählte Artikel aus dem Greenpeace Magazin.
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