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„Zusammen ist es Klimaschutz“

„Zusammen ist es Klimaschutz“ ()

„Zusammen ist es Klimaschutz“ heißt die neue Klimaschutz-Kampagne des Bundesumweltministeriums. Utopia-Mitarbeiter Florian Semle war bei der Auftaktveranstaltung am 11. November dabei, als sich Umweltministerin Barbara Hendricks den Fragen der deutschen Nachhaltigkeits-Blogger stellte.

Ich war wohl zu utopisch, als ich das Diktiergerät einpackte, um unzensiert und vollständig die Antworten unserer Umweltministerin Barbara Hendricks auf die Fragen der Utopisten aufzunehmen. Die Gelegenheit für technische Assistenz gab es nämlich auf dem Bloggertreffen zur neuen Klimakampagne nicht. Dafür aber einen demokratischen Stuhlkreis mit Politik auf Augenhöhe. Immerhin.
Ganz sicher war ich zu utopisch, als ich davon ausging, dass wir von den vielen Fragen wenigstens einiges abarbeiten könnten, nachdem das Bundesumweltministerium explizit angeregt hatte, auch Fragen aus der Community zu sammeln. Auch die Veranstalter aber waren ein wenig zu utopisch – weil einfach jeder, der irgendwie mal angeschrieben wurde, auch tatsächlich kam. Offensichtlich herrschte auch im Web Redebedarf in Sachen Klimaschutz und Klimawandel. Die exklusive Fragerunde geriet mit rund zwanzig Anwesenden Webwerkern zu einem Speed-Dating der Nachhaltigkeit, mit ein bis zwei Fragen pro Blogger. Aus der Not heraus habe ich meine Agenda mit dem ganzen Packen Utopistenfragen kurzerhand abgewandelt und aus den gestellten Fragen auf dem Bloggertreffen ein Social Interview zusammengestellt, das zumindest viele Utopistenfragen berührt.

Utopia-Frage: Frau Hendricks, die Nutzung der Kohle gilt als Brückentechnologie ins regenerative Zeitalter. Wie lange soll diese „Brücke“ ihrer Meinung nach in Deutschland genutzt werden und was tun Sie, um sie entscheidend zu verkürzen?

Die Bundesregierung geht davon aus, dass der Energiemix im Jahr 2050 europaweit zu 80% von regenerativen Energieträgern geleistet werden kann. Teil dieser Rechnung ist, dass im Jahr 2022 letztmals Atomstrom in Deutschland produziert wird und auch der Atomausstieg kompensiert werden muss. Der Anteil der fossilen Energieträger soll wenn möglich weiter reduziert werden und innerhalb des fossilen Energiemixes soll der Anteil von Gas weiter steigen, der der Kohle signifikant sinken. Der entscheidende Faktor ist laut Hendricks die Speichertechologie, das „missing link“ für den Durchbruch der Regenerativen.

Diese Antwort schlich sich abstrakt an einer sehr konkreten Frage nach dem eigenen politischen Ziel vorbei. Auf dem Abstraktionsniveau hätte Sigmar Gabriel womöglich das Gleiche gesagt – und das erklärt vieles: Am 3. Dezember findet die entscheidende Kabinettssitzung statt und vorher sind deutliche Äußerungen in Richtung Gabriel nicht sehr opportun. Verständlich, zumindest bist zum 3. Dezember.

Julia Koch vom sehens- und lesenswerten veganen Lifestyle Blog Timestheychangin: Wann unternimmt die Politik etwas gegen die konventionelle Tierzucht, die vergleichsweise klimaschädigend ist?

Es stimmt, dass die Tierzucht und insbesondere die von Schlachtvieh klimaschädlicher ist als die vergleichbare pflanzenbasierte Landwirtschaft. Der Veggie Day hat Frau Hendricks jedoch gezeigt, dass sich eine fleischlose oder -ärmere Ernährung nicht über Zwang durchsetzen lässt. Sie halte deshalb von solchen Maßnahmen nichts und möchte auch die weniger klimaschädigende vegane Ernährung nicht anders besteuern, sondern darauf hinweisen, dass es diese Lebensentwürfe gibt und dass es sich lohnt, darüber nachzudenken.

Nun. Die Frage war wohl nicht so metaphysisch gemeint, wie die „nachdenkliche“ Antwort sie erscheinen lässt. Eine andere Ernährung lässt viele der Probleme gar nicht erst entstehen, welche die Klimakampagne der Bundesregierung aufgreift und die Übernahme von Verantwortung für die Folgen der eigenen Ernährung hat zunächst mal nichts mit Zwang zu tun.

Christoph Harrach, mit Karmakonsum einer der Großmeister der grünen Bloggerszene in Deutschland: Nachhaltigkeit kommt von innen. Man muss vorleben, was man selbst vertritt. Wie nachhaltig leben Sie?

Nicht 100 prozentig nachhaltig, aber persönlich sehr bescheiden. In Sachen Mode müsse sie meist von Freunden darauf aufmerksam gemacht werden, dass eine modischen Anschaffung jetzt wieder mal fällig sei. Frau Hendricks hat kein besonderes Faible für Kleider, mehr für gutes Essen und da auch gerne Bio. Freizeit und Urlaub verbringt sie gerne daheim im Rheinischen und genießt die Landschaft und die wenige stressfreie Zeit auf dem Fahrrad in der Natur.
Beruflich fällt die Klimabilanz deutlich negativer aus: Die Konferenz im kommenden Jahr in Lima ist nur mit dem Flugzeug vertretbar zu erreichen und die Klima-Malus-Meilen, die man durch das Jet-Setting von Konferenz zu Konferenz sammelt, sind natürlich immens.

Stimmt. Das Frau Ministerin, wäre aber kein Problem, wenn die Konferenzen jeweils konkrete Resultate in Sachen Klimaschutz bringen würden. Die Flugbilanz einzelner Minister könnte eine ansonsten ungeschorene Atmosphäre quasi aus der Sauerstoff-Portokasse begleichen.

Video: Auftakt der Kampagne „Zusammen ist es Klimaschutz“ – Blogger-Interviews

Udo Schuldt vom Klimaschutz-Netz spricht den klimapolitischen Webfehler der Energiewende an: Warum werden umweltschädliche Subventionen von energieintensiven Betrieben weiter aufrecht erhalten?

Frau Hendricks verweist auf den volkswirtschaftlichen Gesamtzusammenhang: Diese Subventionen durch Steuernachlässe sind ein Relikt aus der rot-grünen Regierungszeit und sollten damals gewährleisten, dass die Energiewende überhaupt durchgesetzt werden konnte. Wenn sie wegfallen, fallen auch energieintensive Industrien wie beispielsweise die Stahlverhüttung weg. Arbeitslosigkeit ist zwar nicht klimaschädlich, aber eben auch nicht nachhaltig.

Yep, Frau Ministerin, so ist es, die Gleichung stimmt für die Gegenwart. In naher Zukunft könnten wir es aber sehr bereuen, dass wir uns allzu lange mit dem Mantra der Standortpolitik aus dieser Problematik heraus geredet haben – nämlich dann, wenn der Lebensstandort vieler Menschen dadurch akut gefährdet ist. Das Beispiel der Südseestaaten nannten Sie an anderer Stelle selbst.

Marco Eisenack von den Klimarettern spürt den EU-Klimazielen nach: Warum opfert die deutsche Politik dem europäischen Klimagipfel alles – vor allem konkrete Ergebnisse?

Das tut sie laut Frau Hendricks gar nicht. Der medienwirksame europäische Konsens ist der Ausfluss intensivster Verhandlungen hinter den Kulissen und das gemeinsame Ergebnis trägt laut Frau Hendricks stärker die Handschrift der Bundesregierung, als viele Beobachter meinen.
Die Konferenz im kommenden Jahr in Paris soll die Klimaziele nach 2020 festzurren. Sie stimmt Frau Hendricks optimistisch, dass das Ziel der Erderwärmung um nicht mehr als zwei Grad auch dann noch erreicht werden kann, wenn die Weltbevölkerung weiterhin Wachstumsrekorde feiert.

Wir bleiben mit Ihnen optimistisch, Frau Hendricks, zweckoptimistisch.

Raphael Felmer, der experimentelle Konsumverzichter, bricht die Lanze für die Postwachstumsgesellschaft: Viele Produkte kommen bereits mit einer beachtlichen Negativbilanz auf den Markt, bevor sie überhaupt konsumiert werden. Energieverbrauch oder virtuelles Wasser bei der Herstellung schaffen Probleme, die auch Öko-Produkte wie den Energiespar-Kühlschrank belasten. Was tut die Bundesregierung, um diese Auswüchse der Wachstumspolitik einzudämmen?

Frau Hendricks ist sich dieser Situation bewusst. Die Politik müsse den gesamten Lebenszyklus von Produkten betrachten. Es gebe bereits viele Anreize zur Reduktion der Herstellungsbelastung, die ökonomisch und ökologisch vertretbar seien. Cradle-to-Cradle sei ein Beispiel, wie zumindest annähernd Klimaneutralität erreicht werden kann. Diese Ansätze gelte es nun weiter zu fördern, doch Konsumverzicht „von Oben“ werde in einer freien Gesellschaft keine Schule machen.

Brutale Wahrheit. Allerdings bedeutet die fatale Freiheit der heutigen Gesellschaft in Sachen Ressourcenverbrauch auch, dass sich zukünftige Gesellschaften massiv einschränken müssen, um das wieder einzuholen…

Es war tatsächlich eine offene Diskussion innerhalb eines strengen semi-parlamentarischen Rahmens: Fragezeitbegrenzung, Fragenbegrenzung, aber immerhin ein Stuhlkreis auf Augenhöhe, immerhin eine Ministerin, die kritische Geister jenseits der politischen Marketing-Maschinerie einlädt und die digitale Zivilgesellschaft zu Wort kommen lässt. Darin ist sie Vorreitern in der Bundesregierung, auch wenn das nicht sonderlich schwer ist. Mir schien sogar, dass die Ministerin selbst im Verlauf der Debatte immer mehr Spaß daran hatte, die glitschigen Pfade des Politmarketings zu verlassen und statt dessen etwas mehr Tacheles zu reden. Plötzlich konnten Probleme unverblümt eingestanden werden, zum Beispiel die Besteuerung von Kuhmilch mit 7 Prozent Umsatzsteuer, die von „Pflanzenmilch“ mit 19 Prozent. O-Ton Frau Hendricks: „Unsere Mehrwertsteuer ist da eh völlig konfus, aber sie ist so komplex, dass sich da keiner ran traut. Ich rede in Sachen Pflanzenmilch mal mit dem Schäuble“.

Chapeau, Frau Ministerin! Geht doch.

Die Frage, die ich und wahrscheinlich viele Anwesende uns gestellt haben, war natürlich, ob wir hier kamerawirksam für Regierungszwecke instrumentalisiert werden sollten. Von mir aus ein klares Nein, schon allein, weil die Kameras erst nach dem Bloggertreffen so richtig aufflackerten. Das Korsett der politischen Etikette war natürlich zu spüren, etwa bei den sehr verhaltenen Antworten zur Energiepolitik, die wahrscheinlich parallel mit Sigmar Gabriel hinter verschlossenen Kabinettstüren diskutiert werden. Wenn die Resultate nach der Kabinettssitzung am 3. Dezember stimmen, nehmen wir das sehr gerne in Kauf.

Und nun zur Frage der Ministerin in die Blogger-Runde: Ob wir die Kampagne unterstützen möchten? Klares Ja! Wir geben richtig Gas – und zwar in allen Fragen, wo wir Sie gegen den werten Kollegen Gabriel und die Kohlebulldozer unterstützen können! Sogar mit Vergnügen Frau Ministerin!

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