Bericht warnt: Erster Klima-Kipppunkt erreicht – was nun?

Bericht warnt: Erster Klima-Kipppunkt erreicht - viele andere sind nahe
Foto: CC0 public Domain - Unsplash/ NASA

Forschende warnen vor Domino-Effekten, die unser Leben und die Natur unumkehrbar verändern könnten. Der erste Kipppunkt ist schon erreicht, viele andere könnten ebenfalls bald überschritten werden. Was nun?

Mit seiner starken Erwärmung nähert sich unser Planet rasant katastrophalen und unumkehrbaren Kipppunkten – so die Warnung von 160 Klimaforschenden aus 23 Ländern. „Wir steuern rapide auf mehrere Kipppunkte des Erdsystems zu, die unsere Welt verändern könnten und zerstörerische Folgen für Menschen und Natur hätten“, betonte Tim Lenton von der Universität Exeter, der mit einem internationalen Team den „Global Tipping Points Report“ veröffentlicht. Es seien beispiellose und sofortige Maßnahmen von politischen Entscheidungsträgern in aller Welt notwendig. 

Ein Kipppunkt in der Klimaforschung ist ein kritischer Schwellenwert, bei dessen Überschreiten ein Teil des Erdsystems vergleichsweise plötzlich und oft unumkehrbar in einen neuen Zustand kippt – mit potenziell furchtbaren Folgen für die Menschheit. Forschende sehen es als essenziell an, Kipppunkte zu vermeiden, um schwerwiegende, nicht mehr rückgängig zu machende Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern.

Ein Kipppunkt ist dem Bericht zufolge bereits erreicht: Die Temperaturschwelle für das große Korallensterben liege bei schätzungsweise 1,2 Grad – und sei bei der derzeitigen Erderwärmung von etwa 1,4 Grad schon überschritten. Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass sich die Erderwärmung noch bei 1,5 Grad stabilisieren lasse, sei mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 99 Prozent davon auszugehen, dass Warmwasser-Korallenriffe verloren seien.

Korallensterben: Kipppunkt laut Bericht erreicht – weitere sind nahe

Der Amazonas-Regenwald, an dessen Rand in Kürze die Weltklimakonferenz stattfindet, ist durch eine Kombination aus klimabedingten Dürren und Abholzung ebenfalls gefährdet: Die Schwelle, ab der ein weitreichendes Absterben droht, sei niedriger als bislang angenommen – das untere Ende der angenommenen Spanne, an der das System kippen könnte, liege nun bei den schon fast erreichten 1,5 Grad, hieß es.

Die Atlantische Umwälzströmung könnte womöglich ebenfalls schon bei einer Erderwärmung von unter zwei Grad kollabieren, nehmen die Forscher an. Dies würde in Nordwesteuropa zu deutlich harscheren Wintern führen und unter anderem die Bedingungen für die Landwirtschaft in großen Teilen durcheinanderwirbeln – mit drastischen Folgen für die weltweite Ernährungssicherheit. Prognosen zur Entwicklung des Strömungssystems gelten allerdings noch als sehr unsicher.

Forschende: Müssen „positive Kipppunkte“ erreichen

Seit ihrer letzten Bestandsaufnahme vor zwei Jahren sehen die Forschenden auch Fortschritte beim Wandel. „Es gab eine radikale weltweite Beschleunigung, darunter die Verbreitung von Solarenergie und Elektroautos. Aber wir müssen mehr tun und uns schneller bewegen, um positive Kipppunkte zu erreichen“, sagte Lenton. Bestenfalls ergäben sich Kettenreaktionen – etwa zwischen den Bereich Energie, Verkehr und Heizen. „Wir müssen viel mehr positive Kipppunkte identifizieren und auslösen“, so das Team.

Kipppunkt erreicht: Was nun? Das sagt ein Experte

Zunächst die schlechten Nachrichten: Dem Bericht zufolge wird die Erde bis circa 2035 wahrscheinlich das 1,5-Grad-Limit im langjährigen Mittel überschreiten. „Damit tritt die Welt in eine Hoch-Risiko-Phase ein“, warnt Nico Wunderling von der Goethe-Universität Frankfurt gegenüber der Tagesschau. Er ist Professor für Erdsystemwissenschaften und hat den Bericht mitverfasst.

Dadurch steige das Risiko, dass weitere Kipppunkte erreicht werden, nämlich das Abschmelzen des grönländischen und der westantarktischen Eisschilds und der Zusammenbruch von wichtigen Meeresströmungen. Diese Kipppunkte können sich gegenseitig verstärken. Für die Menschheit wären die Folgen fatal. Dazu zählt ein starker Anstieg der Meeresspiegel, der küstennahe Städte wie New York, Hamburg und Jakarta gefährdet, und ein stark abgekühltes Klima in Nordwesteuropa. Der Klimawandel würde diese Abkühlung wahrscheinlich nicht ausgleichen.

Der Forscher betont aber auch, dass es lange dauert, bis die Folgen eines Kipppunktes eintreten – im Falle des grönländischen Eisschildes wohl mehrere Jahrhunderte. „Es bedeutet nicht, dass morgen der Kölner Dom unter Wasser steht“, so Wunderling. Dazu ist oft nicht ganz klar, wann ein Kipppunkt genau erreicht ist.

Der Experte betrachtet das 1,5-Grad-Ziel aus Paris als noch erreichbar. Und zwar dann, wenn die Menschheit die Temperaturgrenze nur temporär überschreite. Dafür braucht es einen schnellen, starken Rückgang von Emissionen und technische Möglichkeiten, um CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen.

Laut Wunderling könnte man so etwa Eisschilde retten. Er erklärt das anhand eines Beispiels: „Stellen Sie sich vor, man nimmt einen Eiswürfel aus dem Gefrierfach, legt den auf den Tisch. Wenn man den schnell genug wieder ins Gefrierfach legt, dann schmilzt der auch nicht ab, sondern ist noch da.“

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