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Betroffene sexueller Gewalt „reviktimisiert“: Beratungsstelle in Kritik

Opfer sexueller Gewalt „reviktimisiert“: Schwere Vorwürfe an Beratungsstelle
Foto: CC0 Public Domain - Unsplash/ Eric Ward (Symbolbild)

Beratungsstellen haben die Aufgabe, Betroffenen von Missbrauch bei der Bewältigung ihres Traumas zu helfen. Doch drei Vereine sollen Menschen stattdessen retraumatisiert haben, heißt es. Eine Recherche nimmt die Stellen genauer unter die Lupe.

Inhaltswarnung: Dieser Artikel thematisiert sexuelle Gewalt.  

Das SWR-Rechercheformat Vollbild hat im Rahmen einer einjährigen Recherche mit Betroffenen sexueller Gewalt gesprochen, die bei Beratungsstellen von „El Faro“ Hilfe suchten. Die Personen erheben nun schwere Vorwürfe: Mehrere Frauen klagten, sie seien durch die Behandlung retraumatisiert worden. Andere berichten von Manipulation und Isolation sowie menschenunwürdigen Bedingungen.

Auch Expert:innen sehen die Vereine, die in Hamburg, Berlin und Hannover tätig sind, kritisch. Jörg Fegert, ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie Ulm, kritisiert gegenüber Vollbild eine Übung im Rahmen einer sogenannten „Konfrontationstherapie“ scharf, bei denen Betroffene eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt wird. „Für Personen, die ohnehin schon Schlimmes erfahren haben, ist das eine ganz klare Reviktimisierung“, so der Experte.

Der Vorsitzende der Vereine, Dietmar Schoof, erklärte, die Maßnahme sei Teil einer Selbstverteidigungsübung und diene Demonstrationszwecken. El Faro wirbt online mit „Menschlichkeit“ und „fundierter Fachausbildung“ und ist unter anderem aus TV-Dokumentationen bekannt.

Schwere Vorwürfe an El Faro: Seelische Schäden & menschenunwürdige Bedingungen

Eine betroffene Frau warf El Faro vor, ihr seelischen Schaden zugefügt zu haben, weil sie gezwungen worden sei, sich immer wieder mit ihrem Trauma auseinanderzusetzen. Außerdem sei ihr eingeredet worden, dass sie auch Folterungen und Demütigungen erlebt habe, obwohl das angeblich nicht der Fall war. Dass Menschen solch einschneidende Ereignisse langfristig verdrängen, sei nicht belegt, erklärt Psychologie-Expertin Aileen Oeberst gegenüber Vollbild. Allerdings könne Suggestion Pseudoerinnerungen hervorrufen. Zu entsprechenden Vorwürfen hat sich El Faro nicht geäußert.

Weitere Frauen berichteten gegenüber Vollbild von Kontaktverboten, bewaffneten Mitarbeiterinnen, abgesperrten Türen und eingeschränktem Zugang zu Toiletten in Schutzwohnungen und -häusern. Dem Format liegen Dokumente vor, die Schoof zugeschrieben werden, und die dazu anhalten sollen, Betroffene von sexualisierter Gewalt in ständigem Alarmzustand zu halten. Der El-Faro-Vorsitzende bestreitet viele der Vorwürfe – auch, dass eine „Stimmung der Angst“ bewusst erzeugt würde. Er führt das Gefühl darauf zurück, dass Betroffene durch Täter:innen bedroht würden.

Dabei sei ein sicherer Ort eigentlich ein wichtiger Ausgangspunkt für Traumatherapie, erklärt Fegert. Leute einzuschließen grenze ihm zufolge an „Freiheitsberaubung“, auch sehe er Merkmale für Sektendynamiken. Tatsächlich haben mehrere Sektenberatungen laut Vollbild im Laufe der letzten zwei Jahre Menschen beraten, die die Dienste von El Faro in Anspruch genommen haben. Schoof erklärte, keine Verbindungen zu Sekten-Merkmalen zu erkennen.

Im Gespräch mit Vollbild berichten Betroffene auch davon, sich dazu gedrängt gefühlt zu haben, kostenpflichtige Kurse rund um sexuellen Missbrauch zu buchen. Diese bietet El Faro in Kooperation mit eine Heilpraktikerschule an, die Schoof mit seiner Frau betreibt. Gegenüber Vollbild bestritt der Vereinsvorsitzende, Personen finanziell ausgebeutet zu haben.

Verein erhält öffentliche Gelder

Laut Vollbild-Recherchen nahmen El-Faro-Vereine in Hamburg und Berlin seit 2010 mehr als 110.000 Euro öffentliche Gelder aus Sammelfonds ein. Diese Beträge können unter anderem aus Bußgeldzahlungen stammen und gemeinnützigen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden.

Das Rechercheformat hat die zuständige Justizbehörde in Hamburg über Vorwürfe gegenüber El Faro informiert, welche das Finanzamt benachrichtigt hat. Auch die unabhängige Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus (Grüne), wurde mit den Rechercheergebnissen konfrontiert. Sie erklärte gegenüber Vollbild, ihr fehle die Handhabe, gegen El Faro vorzugehen. Allerdings empfehle sie dem Fonds Sexueller Missbrauch, den Verein nicht zu fördern. El Faro verbieten könnte das Bundesinnenministerium, welches jedoch erklärte, Vereine und Vorwürfe seien nicht bekannt.

Die komplette Vollbild-Folge zu El Faro gibt es in der ARD-Mediathek.

Hinweis: Frauen, die Gewalt erleben, können das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter 116 016 kontaktieren. Der vom Bundesfamilienministerium geförderte Verein Frauenhauskoordinierung e.V. bietet zudem eine bundesweite Übersicht über freie Plätze in Frauenhäusern und Schutzwohnungen. Männer, die von Gewalt betroffen sind, können sich unter 0800 1239900 an das Hilfetelefon „Gewalt an Männern“ wenden.

Verwendete Quellen: ARD-Mediathek, Tagesschau

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