Wer aus einer Arbeiter:innen-Familie stammt, wird benachteiligt – sowohl in der Ausbildung als auch im Berufsleben. Eine Expertin über Klassismus, Mehrfachdiskriminierung und die Class-Pay-Gap.
Kinder von Arbeiter:innen werden sowohl in Schule und Universität als auch in der Ausbildung und im Job wegen ihres sozialen Hintergrundes benachteiligt. Das sagt die Bildungswissenschaftlerin Aylin Karabulut im Interview mit der Zeit.
Wie Menschen wegen ihrer sozialen Herkunft diskriminiert werden, auch Klassismus genannt, sei noch viel zu wenig in der Gesellschaft bekannt. Obwohl die Diskriminierung zu einer konkret messbaren Benachteiligung führt: die Class-Pay-Gap. Sie zeigt an, dass Menschen aus Arbeiter:innenfamilien für denselben Job weniger Gehalt bekommen als Akademiker:innenkinder. Laut der Expertin spielt die Class-Pay-Gap unter anderem bei Gehaltsverhandlungen eine Rolle.
Karabulut arbeitet im Programm Employers for Equality, das Mitarbeiter:innen von Unternehmen für mehr Gleichberechtigung sensibilisiert. Sie ist spezialisiert auf das Thema der Ausgrenzung von Arbeiter:innenkindern. Ihre Erkenntnis: Rassismus und Gender-Diskriminierung fänden zum Glück große Beachtung in der Gesellschaft, so die Wissenschaftlerin. Die Ausgrenzung aufgrund von sozialer Herkunft sei jedoch noch zu wenig Thema. Dabei können Menschen durchaus in mehrfacher Hinsicht Diskriminierung erfahren.
„Mehrfachdiskriminierung“: Wenn Menschen mehrfach benachteiligt werden
People of Color können beispielsweise nicht nur wegen ihrer Hautfarbe, sondern auch wegen ihrer sozialen Klasse diskriminiert werden und somit zum Opfer von Klassismus werden. „Mehrfachdiskriminierung“ heißt dieses Phänomen in der Sozial- und Rechtswissenschaft. Diese Zusammenhänge unterschiedlicher Formen von Diskriminierung, und insbesondere Klassismus, müssten in Deutschland mehr Beachtung finden, so Karabulut. „Denn in kaum einem anderen Industriestaat hängt der Erfolg so stark vom Elternhaus ab wie in Deutschland“, sagte sie der Zeit.
Das deutsche Schulsystem erschwert den sozialen Aufstieg
Die Ursache hierfür sieht Karabulut im deutschen Schulsystem, das Schüler:innen in drei unterschiedliche Schulformen aufteilt. Und gerade diese Aufteilung kritisiert Karabulut: Sie geschehe viel zu früh. Insbesondere für Kinder mit Migrationshintergrund oder Eltern ohne Abitur – oder beides – sei dies verheerend.
Denn es werde zu einem sehr frühen Zeitpunkt entschieden, ob ein Kind von Arbeiter:innen einen höheren Bildungsabschluss als seine Eltern anstreben und so bessere soziale Aufstiegschancen erlangen solle, so Karabulut. Lehrer:innen trauten dies dem Kind wegen seines Hintergrundes jedoch oft nicht zu, erklärt sie.
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„Es fängt mit unbezahlten Praktika an“: Klassismus in Ausbildung Job
Gelingt es den Kindern von Arbeiter:innen jedoch, das Abitur und danach ein Studium abzuschließen, können sie auch später noch Opfer von Klassismus werden – etwa in der Ausbildung oder im Job. „Es fängt mit unbezahlten Praktika an, die sich oft nur Kinder aus wohlhabenden Haushalten leisten können. Damit bekommen manche gar nicht erst die Chance auf einen guten Job“, so Karabulut.
Zudem fehle es Kindern, die nicht aus einem Akademiker:innen-Haushalt kommen, an Kontakten. Die Wissenschaft bezeichnet sie als „Erstakademiker:innen“, da sie in ihrer Familie die ersten mit einem Studienabschluss sind. Diese fehlenden Kontakte hätten Auswirkungen auf ihre Karriere, so Karabulut. „Sie haben eben keine Eltern, die andere Entscheider kennen. Eine Vielzahl von Stellen wird gar nicht erst ausgeschrieben, sondern durch Kontakte und Empfehlungen vergeben.“ Und davon würden vor allem die jungen Menschen aus wohlhabenden Haushalten profitieren, erklärt die Forscherin.
Erstakademiker:innen verdienen oft weniger und trauen sich auch weniger zu
Und auch die Gehälter dieser Erstakademiker:innen unterschieden sich deutlich zu Kolleg:innen mit akademischem Hintergrund. In der Forschung wird dies als Class-Pay-Gap bezeichnet – also die unterschiedliche Bezahlung für die gleiche Arbeit aufgrund der sozialen Klasse. Und diese ist nicht unerheblich: In einer englischen Studie betrug sie 17 Prozent, eine andere Expertin spricht der Zeit gegenüber von 13 Prozent.
Karabulut nennt einen zentralen Grund für diese Class-Pay-Gap: die Gehaltsverhandlungen. „Aufsteiger wissen oft gar nicht, welches Gehalt für welche Stelle angemessen wäre – gerade in akademischen Berufen. Woher auch?“, so Karabulut. Sie wissen also nicht, was sie eigentlich verlangen könnten. Und noch etwas anderes sei ein Nachteil in den Verhandlungen: mangelndes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, kurz: das Impostor-Syndrom. Viele glauben, „dass sie ihren Job gar nicht verdient haben. Sie fühlen sich ausgeschlossen, wie ein Hochstapler, der jederzeit auffliegen kann“, so Karabulut.
Karabulut selbst kommt aus einer Arbeiter:innen-Familie und hat sich oft so gefühlt. Mit ihrer Vita, vom Arbeiter:innen-Kind bis zur Promotion, stelle sie eine klare Ausnahme in der Statistik dar. Diesen Werdegang verdankt sie, sagt sie selbst, auch guten Mentor:innen und Begabtenstipendien.
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