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Antisemitismusvorwürfe: Documenta-Wandbild wird vollständig entfernt

Documenta fifteen antisemitismus verdeckt people's justice goebbels
Screenshot: Nathan Giwerzew, Mena-Watch

Die Documenta, welche alle fünf Jahre in Kassel stattfindet, gilt als eine der bedeutendsten Ausstellungen für zeitgenössiche Kunst. Doch dieses Jahr hagelt es Kritik von allen Seiten – unter anderem vom deutschen Bundespräsidenten und der israelischen Botschaft. Ein Werk, das besonders für Anstoß sorgt, wird nun entfernt.

Erst am Samstag wurde die Documenta fifteen in Kassel eröffnet – inzwischen hat ein dort ausgestelltes Werk für einen derartigen Eklat gesorgt, dass es nun entfernt wird. Der Grund: Wegen einer Figurendarstellung bietet das Wandbild „People’s Justice“ des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi antisemitische Lesarten – dies bestätigte die Documenta am Montag selbst in einer Mitteilung. Die Geschäftsführung, die künstlerische Leitung und das Kollektiv hatten deshalb angekündigt, die Arbeit zu verdecken und eine Erklärung dazu zu installieren. Nun vermeldet der Spiegel: Das Wandbild soll ganz entfernt werden. Dies solle laut Aussage von Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) noch am Dienstag geschehen.

Auf dem Banner, welches aus dem Jahr 2002 stammt, ist unter anderem ein Soldat mit Schweinsgesicht zu sehen, der einen Helm mit der Aufschrift „Mossad“ (der Name des israelischen Geheimdienstes) und ein rotes Halstuch mit Davidstern trägt. Ein anderer Ausschnitt zeigt augenscheinlich einen Juden mit Schläfenlocken, Reißzähnen und einem Hut mit SS-Zeichen, den er über der Kippa trägt.

Claudia Roth fordert Konsequenzen: Entfernung des Wandbildes sei „überfällig“

Es ist überfällig, dass dieses Wandbild, das eindeutig antisemitische Bildelemente aufweist, jetzt von der Documenta entfernt wird“, so zitiert der Spiegel eine Stellungnahme von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Die bloße Verhüllung und die Erklärung von Taring Padi seien absolut inakzeptabel gewesen. Antisemitismus dürfe auf dieser Kunstaustellung, wie insgesamt in unserer Gesellschaft, keinen Platz haben. „Das gilt auch für Rassismus und jede Form der Menschenfeindlichkeit. Das sind die klaren Grenzen für die Kunstfreiheit.“

Die Kulturstaatsministerin forderte eine Aufklärung der Umstände, „wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass dieses Wandbild mit antisemitischen Bildelementen dort installiert wurde“. Außerdem drängte sie Documenta-Verantwortliche wie Kuratoren, „unverzüglich“ zu überprüfen und sicherzustellen, dass bei der Documenta nicht weitere eindeutig antisemitische Bildelemente gezeigt werden.

Wie der Spiegel schreibt, war Roth zuvor selbst in Kritik geraten – ihre Behörde ist einer der Hauptpartner der Ausstellung, ebenso wie eine aus ihrem Etat finanzierte Kulturstiftung des Bundes. Der Zentralrat der Juden hatte sich mit Bedenken zur Documenta zuvor an die Grünen-Politikerin gewendet.

Documenta und Taring Padi äußern sich zu Verdeckung des Banners

In der Mitteilung der Documenta hatten sich bereits am Montag sowohl die Generaldirektorin der Documenta, Sabine Schormann, zu Wort gemeldet als auch die Urheber:innen des Werks.

„Alle Beteiligten bedauern, dass auf diese Weise Gefühle verletzt wurden“, versichert Schormann darin und betont, dass das Werk nicht für die Documenta fifteen konzipiert wurde. Sondern im Kontext der politischen Protestbewegung Indonesiens entstanden sei und bereits mehrmals außerhalb von Europa gezeigt wurde. Die Geschäftsführung der Documenta sei keine Instanz, die sich die künstlerischen Exponate vorab zur Prüfung vorlegen lassen kann, „und darf das auch nicht sein“, so Schormann.

Die Künstlergruppe Taring Padi versicherte, sich für die Unterstützung und den Respekt von Vielfalt einzusetzen, und äußerte ihr Bedauern anlässlich der Verdeckung ihres Werks: „Wir sind traurig darüber, dass Details dieses Banners anders verstanden werden als ihr ursprünglicher Zweck. Wir entschuldigen uns für die in diesem Zusammenhang entstandenen Verletzungen.“

Die Gruppe versicherte, dass ihre Arbeiten keine Inhalte enthalten, die darauf abzielen, irgendwelche Bevölkerungsgruppen auf negative Weise darzustellen – das Werk nehme Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik: „Die Figuren, Zeichen, Karikaturen und andere visuellen Vokabeln in den Werken sind kulturspezifisch auf unsere eigenen Erfahrungen bezogen.“

Anlässlich der Verhüllung des Wandbildes schrieb die Künstlergruppe, das Werk werde nun zu einem Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment. „Wir hoffen, dass dieses Denkmal nun der Ausgangspunkt für einen neuen Dialog sein kann“, erklärte die Künstlergruppe.

Kritik für Documenta-Kunstwerk: Staatsanwalt eingeschaltet

Das Werk „People’s Justice“ wurde von mehreren Seiten scharf kritisiert. Neben Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) hatte unter anderem der Zentralrat der Juden in Deutschland und die israelische Botschaft das Werk als antisemitisch kritisiert, das geht aus verschiedenen Medienberichten hervor. Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, schaltete demnach die Staatsanwaltschaft ein.

Die israelische Botschaft in Berlin zog in einem Twitter-Post Vergleiche zu Antisemitismus in der NS-Zeit: „Die in einigen Exponaten gezeigten Elemente erinnern an die Propaganda von Goebbels und seinen Handlangern in dunklen Zeiten der deutschen Geschichte. Alle roten Linien sind nicht nur überschritten, sie sind zertrümmert worden.“ Die Botschaft forderte, die betreffenden Elemente sofort aus der Ausstellung zu entfernen. „Sie haben absolut nichts mit freier Meinungsäußerung zu tun, sondern sind Ausdruck eines Antisemitismus alten Stils.“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte bereits am Samstag in seiner Rede anlässlich der Eröffnung der Documenta, er habe lange gezweifelt habe, ob er die Ansprache überhaupt halten solle. „Denn so berechtigt manche Kritik an der israelischen Politik, etwa dem Siedlungsbau, ist“, sei die Anerkennung der israelischen Staatlichkeit „bei uns Grundlage und Voraussetzung der Debatte“, zitiert unter anderem die Welt den Politiker. Kunst dürfe anstößig sein und soll Debatten auslösen, betonte der Bundespräsident. „Doch wo Kritik an Israel umschlägt in die Infragestellung seiner Existenz, ist die Grenze überschritten“.

Schon vor der Eröffnung der Documenta am Samstag war der Umgang mit Israel im Rahmen der Documenta in Frage gestellt worden. Dem indonesischen Kunstkollektiv Ruangrupa wurde die künstlerische Leitung übertragen – gleichzeitig wurde die Gruppe von einem von einem Kasseler Bündnis beschuldigt, für die Documenta Organisationen einzubinden, die das Existenzrecht Israels infrage stellten, antisemitisch seien oder einen kulturellen Boykott des Landes unterstützten. Mehreren Medienberichten zufolge wiesen sowohl Ruangrupa als auch die Documenta diese Anschuldigungen zurück. Bereits im Mai hätte es eine Diskussionsreihe geben sollen, die sich mit dem „Grundrecht der Kunstfreiheit angesichts von steigendem Rassismus und Antisemitismus und zunehmender Islamophobie“ auseinandersetzen sollte – allerdings wurde diese abgesagt.

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