Eine neue Recherche deckt auf: Monatlich müssen etwa 47 Züge der Deutschen Bahn evakuiert werden. Die Zustände in den Wagons, die auf Evakuierung warten, sind für Fahrgäste demnach teils sehr belastend – und sogar gefährlich.
Interne Protokolle der Deutschen Bahn ziehen das Krisenmanagement des Konzerns in Zweifel. Die Situation während Evakuierungen wird darin als „durch Zugpersonal nicht mehr beherrschbar“ beschrieben, auch bedenkliche Temperaturen im Zug werden erwähnt. Die Unterlagen wurden der ARD-Redaktion zugespielt und bilden die Basis einer Recherche des Politmagazins Report Mainz. Auch ein Bahnexperte berichtet von Erstickungsgefahr für Passagier:innen.
Bahn evakuiert 47 Züge im Monat – Situation im Zug teils bedenklich
Zugevakuierungen sind keine Seltenheit in Deutschland. Die Deutsche Bahn AG erklärt gegenüber Report Mainz, bei 0,004 Prozent der Zugfahrten würde es zu Evakuierungen auf offener Strecke kommen. Bei täglich rund 39.000 Fahrten von Personenzügen in Deutschland, sind das 1,56 Evakuierungen pro Tag, berichtet das Politmagazin. Ergo: 47 Züge im Monat. Die Zugevakuierungen sind nicht meldepflichtig, bestätigt das Eisenbahnbundesamt auf Anfrage der ARD-Redaktion. Auch gäbe es keine gesetzliche Regelung, wie schnell evakuiert werden müsse.
Doch aus den Bahn-Protokollen geht hervor: Die Evakuierung dauert oft zu lange, in den Zügen herrschen demnach teils unhaltbare Zustände. In einem Protokoll einer Zugfahrt im Juni heißt es, dass der Zugführer die Temperatur im Zug als „für Fahrgäste nicht mehr auszuhalten“ einschätzte, während diese auf die Evakuierung warteten. Zwei Fahrgäste waren offenbar kurz vor dem Kreislaufzusammenbruch. Die Leitstelle schrieb daraufhin: „Die Lage im Zug ist sehr angespannt und durch das Zugbegleitpersonal nicht mehr beherrschbar.“ Bis der Zug komplett evakuiert war, dauerte es demnach circa 5,5 Stunden. Das Magazin spricht auch mit betroffenen Fahrgästen, die unter anderem von großer Hitze und Drang nach Frischluft berichten.
Bei Stromausfall: „Erstickungsgefahr“ in Zügen
Ein möglicher Grund für die lange Wartezeit: Bei jeder Evakuierung muss ein:e Notfallmanager:in der Deutschen Bahn anwesend sein – vorher dürfen Polizei und Feuerwehr nicht mit der Evakuierung beginnen. Der Manager dreht den Strom an der Oberleitung ab und sichert die Gleisanlagen, damit es nicht zu Stromschlägen oder Kollisionen mit Zügen kommt. Laut DB-Regelwerk soll er innerhalb von maximal 30 Minuten vor Ort sein, laut Report Mainz dauere es oft länger. Woran das liegt? In der Sendung wird erwähnt, dass die Zuständigkeitsbereiche für Notfallmanager:innen zuletzt größer wurden: früher gab es 180 Bezirke, heute nur 163. Ein Notfallmanager verweist in der Sendung auf die Größe des Bezirks.
Bahnforscher Markus Hecht von der Technischen Universität Berlin warnt gegenüber Report Mainz, dass die Situation für Reisende gefährlich werden kann, vor allem wenn die Stromversorgung an Bord ausfällt. Denn dann gäbe es auch keine Klimaanlage und keine Lüftung. „Gerade bei vollen Zügen fällt dann viel CO2 an. Und es besteht tatsächlich Erstickungsgefahr, weil kein Luftaustausch mehr stattfindet“, so der Experte. Denn in den modernen Zügen lassen sich die Fenster in der Regel nicht mehr öffnen.
Verfahren wegen „kritikwürdigen Evakuierungsfällen“
Report Mainz spricht auch mit Andreas Büttner, dem verkehrspolitischen Sprecher der Linksfraktion in Brandenburg. Dieser berichtet von einer Häufung der Evakuierungen von Zügen in seinem Bundesland, konkrete Zahlen habe er dazu aber nicht bekommen. „Das zeigt wieder, in welch irrer Situation wir eigentlich sind“, kritisiert der Politiker. „Da sind Menschenleben in Gefahr, und niemand meldet irgendetwas. Keiner führt angeblich irgendwelche Statistiken, und keiner ist in der Lage, irgendeine Auskunft zu geben.“
Das Bundesverkehrsministerium erklärt auf Anfrage von Report Mainz, dass die Aufsicht des Eisenbahnbundesamtes „konkreten, möglicherweise kritikwürdigen Evakuierungsfällen“ nachgehe. Wegen laufender Verfahren will das Amt aber keine Auskunft geben. Die Deutschen Bahn gibt an, das Notfallmanagement verbessern zu wollen. „Selbstverständlich arbeiten wir daran, die Abläufe des Notfall- und Störungsmanagements zu optimieren und schulen unser Personal und die Notfallmanager:innen regelmäßig.“
Die vollständige Sendung ist in der ARD-Mediathek verfügbar.
Verwendete Quelle: Report Mainz
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