In einem Vortrag an der Uni Tübingen hat Harald Lesch zum „analogen Widerstand“ gegen die „Feinde der informierten Gesellschaft“ aufgerufen. Was er damit meint und welche Lösungen er vorschlägt.
Harald Lesch, einer der bekanntesten Wissenschaftskommunikatoren Deutschlands, hat einen leidenschaftlichen Appell für eine informierte, widerstandsfähige Gesellschaft an der Universität Tübingen gehalten. In seinem Vortrag mit dem Titel „Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde“ stellt er Maßnahmen vor, mit denen wir uns gegen Desinformation und digitale Überforderung wehren können.
„Die Feinde der informierten Gesellschaft“
Eine informierte Gesellschaft sei für eine Demokratie ein Muss, erklärt Lesch gleich zu Beginn des Vortrags. „Sie muss informiert sein, damit möglichst alle, die in dieser Gesellschaft leben, die bestmögliche Information haben, um bei anstehenden Fragen auch tatsächlich sachgerecht entscheiden zu können.“ Je besser eine Gesellschaft informiert sei, desto besser also auch die Entscheidungen, die in der entsprechenden Demokratie getroffen werden.
Doch Lesch sieht die informierte Gesellschaft durch folgende „Feinde“ bedroht:
- Zeitmangel und erhöhte Informationsfrequenz: Die ständige Verfügbarkeit und Geschwindigkeit von Informationen führe zu Oberflächlichkeit, sagt Lesch. Im ständigen Dauerfeuer von Spekulationen, Gerüchten und Falschinformationen bleibe kaum Zeit, „um zum Beispiel zu hinterfragen: ‚Was ist denn an einer Nachricht dran?‘“ Dies verhindere ein tieferes Verständnis für die Hintergründe, die wichtig seien, um mit einer Nachricht überhaupt etwas anfangen zu können.
- Komplexität der Wirklichkeit: Viele gesellschaftliche Probleme sind komplex und lassen sich nicht mit einfachen Antworten lösen. Doch genau diese werden in der Medienlandschaft oft bevorzugt: „Komplexe Fragen haben keine einfachen Antworten. Wenn hingegen die Sprachstruktur der Information, die wir bekommen, sofort auf eine einfache und schnelle Lösung hinweist, dann ist das der Komplexität der Wirklichkeit überhaupt nicht angemessen.“
- Ökonomisierung der Information: Lesch merkt an, dass private Informationsquellen oft wirtschaftlichen Zwängen unterworfen sind. Worüber und wie berichtet wird, entscheide auch der Markt – nicht die besten Voraussetzungen dafür, um gut zu informieren. Lesch hebt die Wichtigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien hervor, da diese einen Bildungsauftrag zu erfüllen haben: „Man kann sich ja woanders umgucken. Aber vergessen Sie diese Kanäle nicht.“
Harald Lesch kritisiert auch KI
Ein zentrales Thema des Vortrags ist zudem die Rolle der künstlichen Intelligenz, welche bestehende Problematiken noch zu verschärfen drohe. Lesch beschreibt, wie Algorithmen und KI-Systeme uns mit Informationen überschütten, unsere Aufmerksamkeit binden und dabei oft intransparent und unkontrollierbar agieren: „Die Feinde der informierten Gesellschaft sind schon lange keine Persönlichkeiten mehr, gegen die man aufstehen kann. Es sind anonyme Institutionen, die Algorithmen betreiben.“
Zudem warnt Lesch davor, das Denken und Bewerten den Maschinen zu überlassen. Dabei verweist er auf eine kürzlich veröffentlichte Studie des MIT, die sich allerdings noch im Preprint-Stadium befindet und deshalb noch keiner Peer Review unterzogen wurde.
In dem für die Studie durchgeführten Experiment, habe der monatelange Einsatz von ChatGPT negative Auswirkungen auf die kognitive Aktivität und die neuronale Vernetzung im Gehirn gehabt, so die Forschenden. Die MIT-Studie deutet also darauf hin, dass Menschen, die ihr Denken an eine KI abgeben, immer mehr verlernen, selbst zu denken. Auch das wäre eine Gefahr für die informierte Gesellschaft.
Die Lösung: Widerstand leisten
Um sich den Herausforderungen unserer Zeit zu stellen, ruft Lesch zum „analogen Widerstand“ auf. Seine konkreten Alltagstipps lauten wie folgt:
- Informationskonsum bewusst gestalten: „Meide Fastfood-Medien, ansonsten droht Info-Adipositas.“ Lesch empfiehlt, Nachrichten nicht ständig, sondern in klar definierten „Mahlzeiten“ zu konsumieren und vor allem auch mal eine Nacht über neue Informationen zu schlafen, bevor man Likes verteilt oder Kommentare schreibt.
- Sich mehr mit Hintergründen und Geschichte befassen: Wer den Hintergrund und die Entwicklung einer Nachricht versteht, könne sie besser einordnen und bewerten. Lesch empfiehlt, sich wieder mehr mit Geschichte zu befassen, anstatt immer nur mit den aktuellsten Nachrichten.
- Fehlerkultur fördern: Irren ist menschlich – und Fehler einzugestehen, stärkt das Vertrauen und die Lernfähigkeit der Gesellschaft.
- Gemeinschaft und Dialog pflegen: „Das ist die zentrale Waffe gegen all diejenigen, die versuchen, unser Zusammenleben zu zerstören: sich zusammenzutun, Genossenschaften zu gründen, wo immer die entsprechenden Genossenschaften möglich sind.“ Lesch betont, dass gesellschaftliche Herausforderungen nur gemeinsam gelöst werden können.
- Öffentlich-rechtliche und verlässliche Quellen nutzen: Lesch plädiert für die Stärkung und Nutzung öffentlich-rechtlicher Medien und Institutionen, die von wirtschaftlichen Zwängen unabhängige Informationen böten.
In seinem Abschluss-Plädoyer wird der promovierte Astrophysiker nochmal deutlich: „Eine wirklich gut informierte und reflektierende Gesellschaft lässt sich von ihren Feinden nicht verarschen. Wir sind das Lebewesen, das handeln kann und sich nicht digital behandeln lassen muss. Bleiben Sie Mensch!“
Hier der vollständige Vortrag inklusive Laudatio von Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und anschließender Fragerunde. Der Vortrag selbst beginnt nach zehn Minuten:
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