Bislang blieb die vollständige Sequenz des Y-Chromosoms im Verborgenen. Nun ist es Forschenden gelungen, den genetischen Code des Chromosoms in seiner Gesamtheit zu entschlüsseln.
Für Genomforscher:innen galt die vollständige Sequenzierung des Y-Chromosoms – auch als männliches Geschlechtschromosom bekannt – lange als Herausforderung. Ein Grund hierfür war unter anderem die hochkomplexe Struktur des Chromosoms mit seinen vielen, sich wiederholenden Abschnitten. Große Teile seines genetischen Codes blieben somit im Verborgenen.
Bis jetzt: Nun haben Forschende des Telomere-to-Telomere (T2T) Consortiums, einem Team von mehr als Hundert Forschenden um Adam Phillippy vom National Human Genom Research Institute im US-Bundesstaat Maryland, das Chromosom vollends entschlüsselt. Ihre Forschungsergebnisse stellten die Wissenschaftler:innen in zwei Artikeln im Fachmagazin Nature vor.
„Die größte Überraschung war, wie geordnet die Repeats sind“, erklärt Studienleiter Adam Phillippy in einer Pressemitteilung. Fast die Hälfte des Y-Chromosoms bestehe aus einander abwechselnden Blöcken zweier spezifischer sich wiederholender Sequenzen.
„Wenn alle Zeilen des Buches einzigartig sind, ist es einfacher, die Reihenfolge der Zeilen zu bestimmen. Wenn jedoch derselbe Satz Tausende oder Millionen Mal wiederholt wird, ist die ursprüngliche Reihenfolge der Streifen weit weniger klar“, heißt es in der Pressemitteilung weiter.
Neue Sequenzierungstechnik ermöglicht hochkomplexe Analyse
Neben den Repeats und Palindromen – Genabschnitte, die vorwärts wie rückwärts die gleiche Sequenz ergeben – identifizierte das Team aber auch 41 Gene, die den Bauplan für Proteine enthalten, die Körperfunktionen steuern.
In ihrer Gesamtheit umfasst die Sequenz des Y-Chromosoms 62.460.029 Basenpaare. Ihre vollständige Entschlüsselung ist den Forscher:innen nun aufgrund jüngster Fortschritte der Sequenzierungstechnik gelungen: Sie ermöglichen es, mehrere zehntausend bis eine Million Basenpaare lange DNA-Sequenzen zu analysieren und auszulesen. Auf diese Weise kann mittlerweile auch DNA entschlüsselt werden, die eine Vielzahl sich wiederholender Sequenzen aufweist.
In einem zweiten Artikel im Magazin Nature veröffentlichten die Wissenschaftler:innen Forschungsergebnisse einer Untersuchung, die einem hochkomplexen Puzzle ähnelt: Hier haben die Forschenden das Y-Chromosom von insgesamt 43 männlichen Individuen aus 21 verschiedenen menschlichen Populationen entworfen. Jene zusammengesetzten Sequenzen schaffen es, einen detaillierten Einblick in die genetische Entwicklung von Y-Chromosomen über einen Zeitraum von 183.000 Jahren menschlicher Evolution zu geben.
Beide Arbeiten könnten, wie die Forschenden im Magazin Nature erklären, zukünftig ein konkreteres Bild von der Rolle des Chromosoms bei der männlichen Entwicklung, der Fruchtbarkeit und bei genetisch bedingten Krankheiten spielen. Sie enthüllen neue DNA-Sequenzen, Signaturen von konservierten Regionen und geben Einblicke in die molekularen Mechanismen, die zur komplexen Struktur des Y-Chromosoms beigetragen haben.
„Jetzt, da wir die hundertprozentig vollständige Sequenz des Y-Chromosoms haben, können wir zahlreiche genetische Variationen identifizieren“, erläutert Dylan Taylor von der Johns Hopkins University, ein Co-Autor der Studien, gegenüber Nature.
Weitere Entdeckung im Nachgang der Untersuchung
Im Anschluss an die Forschungsergebnisse machten die Forschenden eine weitere überraschende Entdeckung: In einer Datenbank mit Genomen von Bakterien entdeckten sie, dass mehr als 5.100 der in der Datenbank befindlichen Bakteriengenome mit kurzen Abschnitten des menschlichen Y-Chromosoms übereinstimmten.
Daraus schlussfolgerten sie: Die Bakteriengenome müssen fehlerhaft gewesen sein, da sie mit menschlicher DNA kontaminiert waren. Dies war bislang nur nicht aufgefallen, da die Sequenzen des Y-Chromosoms in ihrer Gesamtheit nicht vollständig bekannt waren.
Das Y-Chromosom ist das kleinste und genärmste Chromosom des Menschen. Es wird davon ausgegangen, dass seine ursprünglich Struktur der vom X-Chromosom sehr ähnlich war – doch im Laufe der Zeit fast 90 Prozent seiner Gensubstanz verlor. Männer wären allein mit dem Vorhandensein eines Y-Chromosoms nicht überlebensfähig, sie brauchen hierfür immer auch ein X-Chromosom.
Verwendete Quelle: Nature („The complete sequence of a human Y chromosome“, „Assembly of 43 human Y chromosomes reveals extensive complexity and variation“), Pressemitteilung
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