Gesundheitliche Entscheidungen treffen oft Mediziner:innen – weil die Vor- und Nachteile verschiedener Optionen für Patient:innen schwer zu verstehen sind. Ein Experte erklärt, welche Fragen man trotzdem stellen sollte, und wie „Shared Decision Making“ funktioniert.
Wenn der Hausarzt oder die Fachärztin mit Fachbegriffen um sich wirft, fällt es Lai:innen schwer, zu folgen. Trotzdem wollen Patient:innen oft informierte Entscheidungen treffen – gerade wenn es um die eigene Gesundheit geht. Friedemann Geiger, Professor für Psychologische Diagnostik, setzt sich dafür ein, dass Betroffene, Ärzt:innen und Pflegekräfte gemeinsam über Therapiemöglichkeiten entscheiden – was auch als „Shared Decision Making“ bezeichnet wird.
Geiger leitet das Nationale Kompetenzzentrum „Shared Decision Making“ am Universitätsklinikum in Kiel. Sein Modellprojekt soll gemeinsame Entscheidungsprozesse systematisch im Klinikalltag etablieren. Es ist eines von mehreren Projekten des Programms „Share to Care“, das auch der prominente Comedian und Arzt Eckart von Hirschhausen unterstützt. Im Interview mit dem Spiegel erklärt Geiger, wie das Modell funktioniert, und was man generell bei Arztbesuchen abfragen sollte.
Schlecht informiert? Patient:innen sollten drei Fragen stellen
Was tun, wenn einem beim Arztbesuch das Gefühl beschleicht, man wird nicht richtig informiert? Geiger rät Patient:innen dazu, drei Fragen zu stellen – auch das ist Teil seines Programms.
Zuerst sollte Betroffene abfragen, welche Möglichkeiten sie haben. Hierbei unbedingt auf den Plural achten, rät Geiger. Um klarzumachen, dass man mehrere Optionen besprechen möchte. Danach sollten sich Patient:innen erkunden, was die Vor- und Nachteile dieser Möglichkeiten sind – und schließlich, wie wahrscheinlich es ist, dass diese bei ihnen selbst eintreten.
„Stelle ich diese Fragen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass meine Präferenzen und Bedürfnisse berücksichtigt werden“, erklärt der Experte. Weigert sich das Gegenüber, dann könne man Ärzt:innen wechseln.
Auch Ärzt:innen und Pflegepersonal werden geschult
Geigers Modell in Kiel setzt nicht nur darauf, Patient:innen besser zu informieren; es soll auch Ärzt:innen in besserer Kommunikation schulen. Diese lernen in Trainings, gleich zu Gesprächsbeginn klarzumachen, wenn an dem jeweiligen Tag eine Entscheidung ansteht. Für häufig vorkommende Entscheidungen gibt es „digitale Entscheidungshilfen“, welche Fragen zu den verschiedenen Behandlungsoptionen verständlich beantworten, zum Teil auch per Video. „Wenn zum Beispiel eine Operation am offenen Herzen oder per Katheter stattfinden kann, können sich Patienten das ansehen, um besser vorbereitet in ein Gespräch zu gehen“, erklärt der Experte.
Auch das Pflegepersonal erhält Fortbildungen, um Patient:innen besser bei Entscheidungen unterstützen zu können. „Wir haben aktuell rund 20 ‚Decision Coaches‘“, erklärt Geiger. Eigentlich waren mehr angedacht, doch der Fachkräftemangel habe dies verhindert. Dafür seien alle Pflegekräfte dafür sensibilisiert worden, wie sie die gemeinsame Entscheidungsfindung im klinischen Alltag unterstützen können. Zum Beispiel könnten sie Patient:innen dazu ermutigen, bei Unklarheiten nochmal nachzufragen oder es Stationsärzt:innen mitteilen, wenn Therapieentscheidungen schlecht aufgefasst werden.
Shared Decision Making könnte Kassenleistung werden
„Wichtig ist, dass eine Kultur entsteht, in der Patienten gemeinsam mit dem Behandlungsteam Entscheidungen über ihre eigene Gesundheit treffen können“, betont der Experte. Eine Auswertung habe gezeigt, dass dies für Patient:innen spürbar geworden sei. Zwar habe sich die Gesprächszeit mit Ärzt:innen erstmal verlängert, zum Projektende seien sie aber sogar kürzer geworden als noch vor Beginn. Auch Kliniken hätten einen Vorteil: In der Neurologie in Kiel sollen mit „Shared Decision Making“ nach der Entlassung weniger Komplikationen aufgetreten sein, die zu Notfalleinweisungen führen. Geiger führt das darauf zurück, dass Patient:innen eine bessere Gesundheitskompetenz entwickeln konnten.
Das Programm soll auf weitere Kliniken ausgeweitet werden, zunächst auf den zweiten Standort des Kieler Klinikums in Lübeck. „Außerdem hat der Gemeinsame Bundesausschuss das Modellprojekt geprüft und eine Überführung in die allgemeine Regelversorgung empfohlen“, erklärt Geiger. Das bedeutet: „Shared Decision Making“ könnte in Deutschland zur Kassenleistung werden.
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