In Sachsen sind gendersensible Schreibweisen wie der Genderstern, Doppelpunkte oder Binnen-Is an Schulen untersagt. Auch andere Bundesländer regulieren geschlechtergerechte Sprache. Eine Linguistin ordnet die Regelungen im Gespräch mit Utopia wissenschaftlich ein.
In Sachsen gibt es seit 2021 strenge Regeln zum Gendern an Schulen: In offiziellen Schreiben, Briefen an Eltern und Unterrichtsmaterialien sind Sonderzeichen für eine gendersensible Sprache verboten. Auch in Aufsätzen werden die Zeichen als Fehler gewertet. Diese Vorschriften wurden Mitte Juli um eine Genderklausel für Vereine und Verbände erweitert.
In Hamburg will unterdessen eine Volksinitiative erreichen, dass in Hamburger Schulen, Universitäten und Behörden nicht mehr von staatlicher Seite aus in Schriftstücken gegendert wird. Auch andere Bundesländer haben schon Einschränkungen zum Gendern eingeführt, wie Utopia berichtete.
Wie sinnvoll sind Gender-Verbote – gerade an Schulen? Utopia hat bei der Linguistin Carolin Müller-Spitzer nachgefragt. Sie leitet das Projekt ‚Empirische Genderlinguistik‘ am Leibniz-Institut für Deutsche Sprache. Gender-Verboten wie dem in Sachsen steht sie kritisch gegenüber. „Ich sehe es als äußerst problematisch an, die sprachliche Freiheit so stark zu beschneiden, gerade weil es keinerlei sachliche Grundlage dafür gibt“, erklärt sie.
Linguistin ordnet Debatte über Gender-Verbot ein
Das sächsische Kultusministerium beruft sich bei seinen Regelungen zum Gendern auf das Regelwerk des Rates der deutschen Rechtschreibung. Vereine sollten laut Neuerung auf genderneutrale Formulierungen zurückgreifen, die vom Regelwerk des Rates der deutschen Rechtschreibung gedeckt sind, so das Kultusministerium.
Der Rechtschreibrat hat sich 2018 gegen eine Aufnahme von Genderstern, Unterstrich und Doppelpunkt in das amtliche Regelwerk der Rechtschreibung ausgesprochen. 2023 sollte eine neue Empfehlung abgegeben werden, aber der Rat konnte sich nicht einigen. Er hat sich aber nicht dafür ausgesprochen, die Zeichen als Rechtschreibfehler zu werten.
Die öffentliche Debatte um das Gendern spiegelt also nicht den aktuellen Forschungsstand wider. „Der öffentliche Eindruck ist sehr verzerrt“, betont auch Müller-Spitzer. Aktuell Forschende und Lehrende stünden Gendern offen gegenüber.
„Sprachformen wie Schüler:innen zu verstehen, ist nicht schwer“
Auch das Argument, gendersensible Schreibweisen seien teils schwerer verständlich, lässt die Linguistin nicht gelten. „Sprachformen wie Schüler:innen zu verstehen, ist nicht schwer“, so Müller-Spitzer. Es genüge eine kurze Erklärung, nämlich dass es sich um eine verkürzte Form der Doppelform ‚Schülerinnen und Schüler‘ handle, die auch nicht-binäre Menschen explizit adressieren soll. Ob Schüler:innen diese dann selber anwenden, sollte der Expertin zufolge aber ihnen überlassen werden. Außerdem würden auch andere Formen des Genderns schon lange benutzt, mit Kindern jeden Alters. Dazu zählen zum Beispiel Bezeichnungen wie „Lehrkräfte“ oder „Lehrerinnen und Lehrer“.
Selbst Legasteniker:innen würden durch das Gendern – beispielsweise in Lehrmaterialien – nicht mehr oder weniger benachteiligt werden als durch andere Herausforderungen der Sprache. Dazu gehörten zum Beispiel sehr lange, schwer zu segmentierende Wörter, die sehr selten vorkommen. „Hier fordert niemand, solche Dinge grundsätzlich zu vermeiden“, betont Müller-Spitzer. „Die Frage ist also schon, warum genau das Gendern so stark instrumentalisiert wird.“
Sogar bei Berufswahl: Wie Gendern sich auf Kinder auswirkt
Kann Gendern der sprachlichen Entwicklung von Schüler:innen schaden? Dafür gibt es laut Müller-Spitzer keinerlei empirische Beweise. Die Expertin verweist jedoch auf Studien, die zeigen, dass sich Gerndern sehr wohl auf Kinder auswirkt – zum Beispiel auf die Berufswahl. Mädchen könnten sich demnach eher vorstellen, stereotyp männliche Berufe zu ergreifen, wenn sie nicht z.B. gefragt werden: Möchtest du Ingenieur werden? Sondern: Möchtest du Ingenieurin oder Ingenieur werden?
Die Linguistin sieht viele Gründe, gendersensible Sprache zu fördern. Eine inklusive Sprache sei ein Akt der Höflichkeit oder eine Form von Respektkommunikation. Und auch wenn sie allein die Gesellschaft nicht von ihrer Ausrichtung auf den Mann befreie, dann könne sie immerhin einen Beitrag zu Chancengleichheit leisten. „Auch deshalb finde ich es absolut nicht nachvollziehbar, wenn sie von öffentlichen Stellen verboten werden soll“, folgert die Expertin.
Auch Sachsens Schüler:innen haben sich gegenüber Utopia gegen das Gender-Verbot an Schulen ausgesprochen. Lilly Härtig, Vorstandsvorsitzende vom Landesschülerrat Sachsen, nannte die Regelung „falsch und unnötig“.
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