„Miserabler Nahverkehr“ in Rom muss Fahrgästen Entschädigung zahlen

Kolosseum in Rom
Foto: lr/utopia.de

Kaum etwas ist in Rom so verrufen wie der ÖPNV. Er gilt als extrem ineffizient. Die Römer:innen können davon ein Lied singen – Tourist:innen ebenso. Das städtische Verkehrsunternehmen Atac muss dafür nun Entschädigungen zahlen.

Eine alltägliche Szene in Rom: Eine Menschentraube steht an der Bushaltestelle und wartet. Immer wieder springt die Anzeigetafel von der letzten Minute Wartezeit zurück auf die ursprünglichen zehn Minuten. Ein Aufatmen geht durch die wartende Menge, als in der Ferne endlich ein Bus zu sehen ist. Doch die Freude war vergeblich: Auf dem Bus steht „fuori servizio“ – außer Betrieb – und er fährt einfach an der Haltestelle vorbei.

„In dieser Stadt funktioniert nichts! Das ist eine Schande für eine Hauptstadt“, ruft ein älterer Herr sichtlich aufgewühlt. Die Menschen um ihn herum schließen sich seinem Ärger an. Es kommt zu einem Chor aus verbitterten Kommentaren und Verwünschungen der anderen Wartenden, die sich mit Erfahrungsberichten vergangener Fahrten gegenseitig aufschaukeln.

Der Bus kommt schließlich, aber er ist hoffnungslos überfüllt. Wie soll es auch anders sein, wenn sich an den vorherigen Haltestellen ähnliche Szenen abgespielt haben. Wer hineinkommt, steht dort aneinandergedrängt. Besonders bitter ist das im Sommer, wenn die Klimaanlage mal wieder nicht geht. Dann geht die Rempelei weiter – für einen Platz am angekippten Fenster für ein bisschen Fahrtwind.

ÖPNV in Rom: Unpünktlich, unzuverlässig und marode

Wer in der italienischen Hauptstadt auf die „mezzi“ – so nennen die Einwohner:innen Roms ihre öffentlichen Transportmittel („mezzi pubblici“) – angewiesen ist, hat schlechte Karten. Das städtische Verkehrsunternehmen Atac ist sogar über die Stadtgrenzen hinaus für seine rekordträchtige Unpünktlichkeit, Unzuverlässigkeit und seine maroden Fahrzeuge bekannt. Neben Bussen betreibt Atac zudem sechs Straßenbahnlinien und drei U-Bahn-Linien.

Verspätungen, Pannen und Ausfälle stehen an der Tagesordnung. Die Infrastruktur ist laut Verbraucherschützer:innen vielerorts marode. Rolltreppen und Aufzüge funktionieren nicht richtig und es fehlt an Sicherheitspersonal.

Atac muss für ÖPNV-Misere zahlen

Für seine Ineffizienz muss Atac – kurz für: Azienda per i Trasporti Autoferrotranviari del Comune di Roma – nun zahlen. Denn die Situation war so unhaltbar, dass sich die italienische Wettbewerbsbehörde, auch für Verbraucherrechte zuständig, einschaltete und Anfang des Jahres wegen nicht eingehaltener Qualitätsstandards eine Untersuchung aufnahm.

Atac verpflichtete sich nun vor wenigen Tagen, Entschädigungen an seine Jahreskartenabonnent:innen zu zahlen. Dafür hat die Wettbewerbsbehörde die Untersuchung eingestellt. Insgesamt will das Unternehmen drei Millionen Euro zahlen, bis zu zehn Euro kann ein:e Abonnent:in erhalten. Zudem sollen in einer neuen App Nutzer:innen bei Verspätungen von mehr als 15 Minuten Erstattungen von 50 Cent erbeten können. Ein Ticket für Fahrten in Rom kostet 1,50 Euro.

Präzedenzfall für Verbraucherschutz?

Verbraucherschützer:innen nennen diesen Vorgang einen wichtigen „Präzedenzfall“. Massimiliano Dona vom Verbraucherverband sagte: „Endlich werden die Nutzer entschädigt, wenn ein miserabler öffentlicher Nahverkehr angeboten wird – unzureichend, unangemessen und respektlos gegenüber den Fahrgästen.“

Atac-Chef Paolo Aielli sagte dem „Corriere della Sera“, es sei das erste Mal, dass ein städtisches Verkehrsunternehmen in Italien Entschädigungen für „etwaige Störungen“ anbietet. Das sagt schon etwas über die Lage in Rom aus.

Fahrgäste von Atac blicken eher mit Misstrauen auf die neuen Verpflichtungen. Mit Blick auf die 50-Cent-Erstattungen für jede einzelne Verspätung schreibt ein User in den sozialen Medien spöttisch: „Endlich Geld, um mir ein Haus zu kaufen, so oft wie die Busse sich verspäten!“ Eine andere freut sich auch auf den vermeintlichen Geldsegen: „Wie schön, endlich werde ich reich.“

Rom: Früher brannten die Busse

Zugegeben: Bis vor wenigen Jahren war das Busfahren in Rom nicht nur unbequem, sondern mitunter gefährlich. Damals gingen immer wieder Busse in Flammen aufKurzschlüsse, meist im Sommer. Als 2018 einer am Trevi-Brunnen brannte, rieten Reiseplattformen Tourist:innen sogar vom Busfahren ab.

In der Zwischenzeit wurde die Flotte teils aufgefrischt. Auch für das diesjährige Heilige Jahr der katholischen Kirche wurde einiges erneuert. In manchen alten Bussen muss man aber weiter aufpassen, dass die wackelige Innenverkleidung bei der holprigen Fahrt über Roms Straßen nicht herabfällt oder einem das dreckige Kondenswasser der defekten Klimaanlage nicht auf den Kopf tropft.

Nur wenige Römer:innen benutzen aus all diesen Gründen die mezzi. In keiner anderen großen europäischen Stadt ist die Nutzungsrate geringer als in Rom. Die Einheimischen benutzen lieber das Auto oder den Motorroller.

Kaum Hoffnung auf Besserung

Bei Atac gab es bereits Dutzende Skandale. Lange Zeit galt das Unternehmen mit seinen heute etwa 10.000 Angestellten als Musterbeispiel für Korruption, Vetternwirtschaft und Selbstbedienungsladen der Politik – auf Kosten der Nutzer:innen. Das hat seine Spuren hinterlassen, was eine Verbesserung erschwert.

Kaum jemand glaubt, dass die neuerlichen Verpflichtungen von Atac etwas am Grundproblem ändern. Römer:innen und Tourist:innen müssen sich wohl vorerst weiter mit dem dysfunktionalen Nahverkehr arrangieren. Nicht umsonst wird Rom auch die Ewige Stadt genannt: Es dauert eine Ewigkeit, bis sich etwas ändert.

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