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Jod, Vitamin D, B12: Pharmakologe sieht Nahrungsergänzungsmittel kritisch

Nahrungsergänzung: "Überdosen sind gefährlich, auch bei Mitteln aus der Drogerie"
Foto: CC0 Public Domain - Unsplash/ Leohoho

Nahrungsergänzungsmittel gibt es in der Drogerie und im Supermarkt zu kaufen, nicht nur in der Apotheke. Trotzdem sind die Mittel nicht harmlos. Ein Pharmakologe warnt vor Überdosen mit gängigen Nährstoffen und ihren Folgen.

Ob Vitamin C, Eisen oder Zink: Für die meisten Nährstoffe gibt es Pillen und Pulver, die Mängeln vorbeugen sollen. Die Präparate sind sehr beliebt – zwischen April 2021 und März wurde mit Nahrungsergänzungsmitteln in Deutschland knapp 1,8 Milliarden Euro Umsatz erzielt.

Doch sie einzunehmen, kann riskant sein. Martin Smollich, Ernährungswissenschaftler und Pharmakologe, ordnet die Risiken bei Überdosierung gegenüber dem Süddeutsche Zeitung Magazin ein. Der Experte erforscht medizinische Folgen von Nahrungsergänzungsmitteln am Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in Lübeck. Er mahnt auch bei „Mitteln aus der Drogerie“ zur Vorsicht.

Nahrungsergänzungsmittel: Folgen von Überdosierung

Wenn man von bestimmten Stoffen zu viel einnimmt, kann es gefährlich werden. Experte Smollich erklärt das anhand von einigen Beispielen:

Der Pharmakologe verweist auf eine Osteoporose-Leitlinie, laut der Menschen täglich etwa 1000 Milligramm Kalzium und 800 Einheiten Vitamin D konsumieren sollten. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt für Erwachsene außerdem 4,0 µg Vitamin B12, 20 µg Vitamin D und 150 µg Jod pro Tag. Viele nehmen laut Smollich jedoch „sicherheitshalber“ etwas mehr.

Kalzium ab 2500 Milligramm pro Tag zu supplementieren kann aber für Gesunde gefährlich werden. Zu möglichen Folgen zählen beispielsweise Verstopfung und Dehydration, bei einem schweren Kalziumüberschuss auch beispielsweise Herzrhythmusstörungen und kalziumhaltige Nierensteine. Bei Menschen mit Herz-Vorerkrankungen rät der Experte generell von einer Eigen-Dosierung ab.

Auch Vitamin D sei langfristig in zu hohen Dosen problematisch – und könne schwere Nierenschäden hervorrufen. „Langfristig überdosiertes Vitamin B12 erhöht das Lungenkrebsrisiko und überdosiertes Jod schädigt die Schilddrüse“, ergänzt Smollich. „Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen.“

Natürliche Mikronährstoffe dürfen also nicht in beliebigen Mengen eingenommen werden. „Überdosen sind gefährlich, auch bei vermeintlich harmlosen Mitteln aus der Drogerie“, fasst der Experte gegenüber Süddeutsche Zeitung Magazin zusammen. „Leider gibt es für Nahrungsergänzungsmittel anders als bei Medikamenten keine Dosisobergrenzen.“

Hersteller werben sogar teils damit, dass ihre Präparate ein Vielfaches des Tagesbedarfs eines bestimmten Nährstoffs abdecken. In eine Tagesdosis 1000 Prozent des Tagesbedarfs zu packen, sollte Smollich zufolge nicht erlaubt sein. Länder wie Dänemark oder Frankreich hätten gesetzlich verbindliche Höchstmengen für Nahrungsergänzungsmittel eingeführt. In Deutschland hingegen gibt es nur unverbindliche Höchstmengenempfehlungen des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR).

Experte warnt vor Wechselwirkungen

Auch könnten Nahrungsergänzungsmittel „zahllose“ Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln auslösen. Kalzium hemme etwa Antibiotika, Osteoporose-Medikamente und Blutdrucksenker. Wie viele Menschen durch Nahrungsergänzungsmittel Nebenwirkungen erleiden, werde in Deutschland nicht erfasst. Smollich verweist auf internationale Studien, laut denen jede:r Fünfte betroffen ist.

Aus juristischer Sicht würden Nahrungsergänzungsmittel wie Lebensmittel gesehen. Doch nehmen Menschen sie vor allem aus gesundheitlichen Gründen ein, etwa um Krankheiten vorzubeugen oder diese zu heilen. Dies sieht der Experte kritisch, denn für diesen Zweck seien die Mittel weder zugelassen noch bestimmt. „Könnten sie Krankheiten heilen, wären sie Arzneimittel“, betont der Pharmakologe.

Wann Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll sind

Echte Mangelzustände sind laut Smollich selten. „Wann haben Sie zuletzt einen Menschen mit Skorbut, also manifestem Vitamin-C-Mangel, gesehen?“, fragt der Experte. Doch viele würden trotzdem unzureichend mit Mikronährstoffen versorgt. Die Anwendung von Nahrungsergänzungsmitteln kann dem Pharmakologen zufolge im Einzelfall sinnvoll sein – zum Beispiel, wenn ein Mikronährstoffmangel etwa durch eine Blutuntersuchung medizinisch festgestellt wurde.

Für solche Mängel gibt es Risikogruppen. Zum Beispiel brauchen Smollich zufolge Schwangere oft zusätzlich Folsäure, Jod und Eisen, und Veganer:innen sowie Ältere Vitamin B12. Die meisten Menschen könnten im Winter von Vitamin-D-Ergänzungsmitteln profitieren, denn laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts sind im Winter nur 17 Prozent der Erwachsenen in Deutschland ausreichend mit dem Nährstoff versorgt. Die Sonneneinstrahlung in Deutschland reiche in der dunklen Jahreshälfte nicht aus, damit der Körper ausreichend Vitamin D produziert, erklärt der Experte.

Doch sollten auch diese Gruppen nicht einfach zu Nahrungsergänzungsmitteln greifen, sondern den Mangel erst feststellen lassen und diesen dann – falls möglich – durch die Ernährung ausgleichen. „Erst, wenn das nicht klappt, sollten Nahrungsergänzungsmittel ins Spiel kommen“, rät Smollich.

Verwendete Quellen: Lebensmittelverband Deutschland, Süddeutsche Zeitung Magazin, DGE

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