Ist ein bedingungsloses Grundeinkommen sinnvoll und finanzierbar? Utopia hat zwei Ökonomen befragt, deren Meinungen weit auseinander gehen.
Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) ist einfach: Der Staat soll jeden Monat einen pauschalen Betrag in gleicher Höhe an alle Bürger:innen auszahlen, unabhängig von deren Vermögen und Einkommen. Der Betrag soll hoch genug sein, dass jede:r Einzelne davon leben und an der Gesellschaft teilnehmen kann. Alle bisherigen Sozialleistungen sollen dafür gestrichen werden.
Die Hoffnung der Unterstützer:innen dieser viel diskutieren Wirtschaftsreform: Weniger Bürokratie, mehr individuelle Freiheit und keinen Zwang mehr, moralisch fragwürdigen oder ausbeuterischen Jobs nachzugehen.
Doch ist ein Grundeinkommen überhaupt finanzierbar? Und wenn ja, hätten dessen Empfänger:innen noch Motivation zu arbeiten? Utopia hat mit zwei Ökonomen darüber gesprochen:
Grundeinkommensforscher sieht viel Potenzial im BGE
Laut Grundeinkommensforscher Bernhard Neumärker von der Universität Freiburg ist das BGE nicht nur ein Weg aus der „sogenannten Lohnsklaverei“. Er sieht darin sogar einen Produktivitätstreiber und findet: Gegner:innen des BGE würden nur auf die Kosten achten, aber das Potenzial eines Grundeinkommens massiv unterschätzen.
Bernhard Neumärker ist Direktor der Götz Werner Professur für Wirtschaftspolitik und Ordnungstheorie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Außerdem leitet er das Freiburger Institute for Basic Income Studies (FRIBIS), das sich der Erforschung des bedingungslosen Grundeinkommens widmet.
Neumärker glaubt fest daran, dass die Einführung eines BGE sehr viel mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringen würde. Er nennt folgende Argumente für das Grundeinkommen.
Eine gerechtere und produktivere Wirtschaft?
Ein Grundeinkommen biete Arbeitnehmer:innen im Niedriglohnsektor eine „Exit-Option“, sagt Neumärker. Ihm zufolge wäre harte Arbeit für niedrige Löhne mit einem BGE Geschichte, doch dies würde nicht dazu führen, dass sich alle Bürger:innen auf die faule Haut legen. „Menschen wollen arbeiten. Die Gesellschaft muss nur bereit sein, einen angemessenen Preis dafür zu bezahlen“, ist sich der Ökonom sicher.
Deshalb würden Löhne und Gehälter durch ein BGE fairer, meint der Ökonom. „Wenn der Müll vorm Haus liegen bleibt, weil es keine Müllmänner gibt, die ihn wegräumen, dann wird sich auch der Porsche-Fahrer fragen, ob er seinen teuren Lederbezug braucht oder nicht lieber mehr für den Müll zahlt.“ Dadurch würde der Markt erst die wahre Zahlungsbereitschaft entdecken lassen, gerechter werden und wichtige Berufe auch finanziell mehr wertgeschätzt werden. Die Marktwirtschaft funktioniere bei uns aktuell nicht richtig, weil diese unbeliebten Jobs zu relativ günstigen Preisen angeboten werden, so der Wirtschaftsforscher.
Die Gesellschaft würde laut Neumärker sogar noch produktiver werden. Er prognostiziert: „Wenn die Leute über ein BGE verfügen, können sie sich selbst entsprechend ihrer eigenen Neigungen entwickeln und sich dann einen Job suchen, den sie mögen. Dadurch werden sie viel produktiver.“ Allein durch diese erhöhte Produktivität könne sich ein Grundeinkommen zumindest teilweise selbst finanzieren.
Weitere Argumente für das BGE
Bedarfsorientierte Systeme wie Hartz IV beziehungsweise das Bürgergeld stießen in Krisen an ihre Grenzen. Man wisse einfach nicht genau, wer, wann, wo und warum Bedarf hat, findet Neumärker. „So gut kann der Staat gar nicht planen, das können Individuen besser“. Dies gelte besonders in Zeiten akuter Krisen. Neumärker habe ausgerechnet, dass es während der Pandemie billiger gewesen wäre, ein Krisen-Grundeinkommen auszuzahlen, als die Corona-Hilfen und die anderen Sozialleistungen, die zum Einsatz kamen. Er verweist dabei auf eine seiner wissenschaftlichen Arbeiten, die 2021 im Fachmagazin Journal for Markets and Ethics erschienen ist.
Die Gesellschaft wäre außerdem gesünder, wenn es ein BGE gäbe. Zu diesem Schluss kommt Neumärker aufgrund eines Experiments, das von 2017 bis 2018 in Finnland durchgeführt wurde. Über zwei Jahre hinweg bekamen 2000 Menschen, die zuvor Arbeitslosengeld bezogen, ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgezahlt. Es wurde ein positiver Effekt auf die mentale Gesundheit der Teilnehmenden festgestellt. Laut der dazugehörigen Studie fühlten sich die BGE-Empfänger:innen weniger gestresst, weniger depressiv und weniger einsam. „Das spart auch dem Gesundheitssystem Geld ein“, merkt Neumärker an.
Menschen würden womöglich mehr Ehrenamt ausüben, zum Beispiel hätten Erwachsene mehr Zeit, Jugendsportmannschaften zu trainieren. „Was macht es mit unserer Gesellschaft, wenn Kinder durch den Sport viel mehr Teamwork kennenlernen als heute?“, fragt Neumärker. Effekte wie diese seien kaum zu berechnen und würden in Modellen daher oft vernachlässigt, fügt er hinzu.
Corneo: Grundeinkommen „ähnelt Ausbeutungsverhältnis“
Giacomo Corneo ist anderer Meinung. Trotz all der möglichen Vorzüge sieht der italienische Wirtschaftswissenschaftler das bedingungslose Grundeinkommen kritisch. Corneo bewertet alternative Wirtschaftssysteme nämlich anhand folgender Tests:
- Allokationstest: Die gestellten Aufgaben müssen sinnvoll sein, das heißt knappe Ressourcen sollen so verteilt werden, dass nichts verschwendet wird und möglichst viele Bedürfnisse befriedigt werden.
- Kooperationstest: Das Wirtschaftssystem muss Menschen motivieren, die ihnen gestellten ökonomischen Aufgaben gewissenhaft zu erledigen.
Eine Wirtschaftsreform müsse bei den Tests insgesamt besser abschneiden als der Status quo, um als sinnvolle Alternative infrage zu kommen. Doch das BGE scheitere beim Kooperationstest deutlich, meint Corneo.
Giacomo Corneo leitet den Lehrstuhl für öffentliche Finanzen an der Freien Universität Berlin und ist Herausgeber des wissenschaftlichen Fachmagazins Journal of Economics. Seine Suche nach einer besseren Alternative zum Kapitalismus fasste er 2014 in dem Buch „Bessere Welt: Hat der Kapitalismus ausgedient?“ zusammen. Sein Fazit damals wie heute: Ein BGE wäre zu teuer und würde für eine Spaltung in der Gesellschaft sorgen.
Laut dem Ökonom sei ein Grundeinkommen, das die vollwertige Teilnahme an der Gesellschaft ermöglichen würde, nur mit einer massiven Erhöhung der Einkommenssteuer in Form einer Verdoppelung der Steuersätze denkbar. Zu diesem Schluss kam ein Gutachten des Bundesfinanzministeriums im Jahr 2021.
Corneo befürchtet, es würden sich zwei Gruppen bilden: Diejenigen, die vollkommen gesund sowie arbeitsfähig sind, sich aber für ein berufsuntätiges Leben nur mit dem BGE entscheiden – und diejenigen, die trotzdem arbeiten gehen und gut 80 Prozent ihres Einkommens an den Staat abgeben.
Diese Spaltung würde gar einem „Ausbeutungsverhältnis“ ähneln. „So ähnlich wie im Mittelalter, als der Adel und der Klerus von der Arbeit der Bauern lebten. Und das wäre sehr explosiv aus politischer Sicht“, warnt Corneo. „Ich glaube, dass das Band der Solidarität innerhalb der Gesellschaft irreparabel zerreißen würde.“
Doch es gibt noch ein weiteres Problem: Aus- und Einwanderung. Bei einer Verdoppelung der Steuersätze würden viele Gutverdiener:innen das Land verlassen, warnt Corneo. Andersherum hätte das Grundeinkommen eine Sogwirkung auf im Ausland lebende Personen, die nicht arbeiten möchten. Ein Land mit BGE würde somit Steuerzahler verscheuchen und „Nichtstuer“ anlocken. „Das inländische Wohlstandsniveau würde infolgedessen erheblich sinken“, prognostiziert Corneo.
Corneos Alternative: Der Aktienmarktsozialismus
Corneo hält die aktuell in Deutschland angewandte Form der sozialen Marktwirtschaft allerdings dennoch für verbesserungswürdig. Doch anstatt auf ein bedingungsloses Grundeinkommen zu setzen, hat er seine eigene Vision kreiert: den Aktienmarktsozialismus. Nur dieses System schneidet laut Corneo in beiden seiner genannten Tests besser ab als die aktuell auf der Welt verbreiteten Varianten des Kapitalismus.
Corneo erklärt sein Konzept wie folgt: „Der wichtigste Unterschied beim Aktienmarktsozialismus ist, dass sich sämtliche großen Unternehmen im öffentlichen Eigentum befinden“, und zwar mindestens zu 51 Prozent.
In unserem jetzigen System hätten vor allem „kapitalistische Dynastien“ die Macht in Großunternehmen, beklagt Corneo. Top-Manager:innen und Vorstandsmitglieder solcher Firmen würden nicht nur nach Leistung, sondern aufgrund ihrer sozialen Herkunft rekrutiert werden, also vor allem aus der Oberschicht.
So habe sich eine Geldelite gebildet, die maßgeblichen Einfluss auf die Politik nehme. „In Deutschland sind das zum Beispiel die Autoindustrie, die großen Privatbanken und bestimmte Versicherungsunternehmen. Die sind ständig im Kanzleramt und reden bei allen wichtigen wirtschaftspolitischen Themen mit,“ sagt Corneo.
Im Aktienmarktsozialismus würde jene Geldelite aus den Aufsichtsräten verschwinden, erklärt der Ökonom. Großunternehmen wären öffentlich geführt und demokratisch gesteuert. Es gäbe eine weitreichende Mitbestimmung der Beschäftigten und ausgeprägte Informationsrechte für die Zivilgesellschaft.
Eine soziale Dividende statt bedingungsloses Grundeinkommen
Doch das sei nicht das einzige Merkmal des Aktienmarktsozialismus. Denn „die Dividenden jener Unternehmen würden nicht einer kleinen Geldelite zugutekommen, sondern in den Staatshaushalt fließen“, erklärt Corneo. Der Staat könne dadurch eine soziale Dividende auszahlen, die durch die pauschale Verteilung sogar einem Grundeinkommen ähnele.
Der Unterschied zum BGE: Die soziale Dividende würde ausschließlich durch Unternehmensgewinne finanziert und nicht durch Steuern oder Abgaben. Deshalb gäbe es auch keine Garantie, dass sie alleine zum Leben ausreichen würde.
Zusammengefasst: Beim Aktienmarktsozialismus wäre jedes große Unternehmen zu mindestens knapp über der Hälfte in staatlicher Hand. Das gäbe der Zivilgesellschaft ein höheres Mitspracherecht. Wie beim BGE gäbe es eine universelle einheitliche Zahlung, die zum verfügbaren Einkommen der Leute hinzukäme, jedoch finanziert durch Unternehmensgewinne und nicht durch eine Erhöhung der Lohnsteuer.
Neumärker sieht Corneos Ansatz kritisch
Neumärker widerspricht Corneos Grundannahme, dass 80 Prozent Einkommenssteuer nötig seien, um ein Grundeinkommen zu finanzieren: „Der Effekt des intrinsischen Arbeitens [des eigenmotivierten Arbeitens ohne finanziellen Anreiz; Anm. d. Red.] ist in keiner dieser Studien, die zwischen 80 und 90 Prozent der Einkommensteuer rechnen, drin.“
Eine mögliche Steigerung der Produktivität durch ein BGE könnte dafür sorgen, dass mehr Geld in den Haushalt fließt, selbst wenn weniger gearbeitet würde, spekuliert der Ökonom. Der vermutete positive Effekt auf die Gesundheit würde zudem das Gesundheitssystem entlasten und somit die Ausgaben des Staates reduzieren. Höhere Staatseinnahmen und niedrigere Staatsausgaben würden somit die tatsächlich erforderliche Steuerlast deutlich senken.
„Das berechnen diejenigen, die gegen das BGE sind, gar nicht mit ein. Sie sehen nicht das Potenzial, zu dem das Grundeinkommen beitragen kann,“ sagt Neumärker und behauptet: „Das wurde nie richtig durchgerechnet“. Bisherige Studien hätten jene Effekte noch nicht über einen längeren Zeitraum untersuchen können. Bei manchen, die es versucht hätten, habe es Fehler in der Methodik gegeben, anderen sei das Geld für die Finanzierung der Studie ausgegangen.
Neumärker sieht zwar durchaus Gemeinsamkeiten zwischen seiner und Corneos ökonomischer Vision. Doch der Aktienmarktsozialismus setze für ihn nicht tief genug am eigentlichen Problem an: den Werten unserer Gesellschaft.
Das kapitalistische Wirtschaftssystem habe die Menschen dazu erzogen, sich alles erst verdienen zu müssen und für jede Leistung eine Gegenleistung zu erwarten, so Neumärker. Dabei gebe es schon jetzt Bereiche, in denen diese Logik nicht greife. Care-Arbeit, also etwa die Pflege anderer Menschen, werde zum Beispiel meist nicht bezahlt, wenn sie innerhalb der eigenen Familie stattfindet. Auch ehrenamtliche Engagements fänden ohne materielle Gegenleistung statt.
Ebnet die Generation Z den Weg zum BGE?
Neumärker ist zuversichtlich, dass die Generation Z viel bereiter für ein Grundeinkommen ist als ihre Vorgänger: „Ich bin ein typischer Babyboomer und im alten Paradigma erzogen worden: Schaffe, schaffe, Häusle baue.“ Die Generation Z habe jedoch ganz andere Werte, etwa den Schutz des Klimas oder die eigene Work-Life-Balance: „Sie sagt: ‚Ich arbeite bis zum Burnout und schaffe mich tot. Das muss alles nicht mehr sein‘.“
Jegliche Zweifel an der Finanzierung eines BGE schiebt Neumärker beiseite: Die Menschen mit der Freiheit auszustatten, sich nicht ausbeuten zu lassen, sei den Versuch wert, das bedingungslose Grundeinkommen zu wagen. „Das ist ein derart hohes Gut, dass ich gar nicht einsehe, dass wir mit unserer riesigen Wirtschaftsleistung sagen, wir könnten uns sowas nicht leisten.“
Corneo hingegen bleibt skeptisch. Er räumt zwar ein, dass Verhaltensanpassungen der Menschen beim Gutachten des Finanzministeriums nicht berücksichtigt wurden. Dabei verweist er jedoch auf die zuvor genannten negativen Effekte wie die Auswanderung von Steuerzahlern und die Sogwirkung auf diejenigen, die angeblich nicht arbeiten wollen. Corneo betont: Würde man diese Verhaltensanpassungen mit einbeziehen, wären die Prognosen noch düsterer.
Weitere Quellen: UBI in Times of Crisis: The Net Basic Income Discussing the Case of Germany, Finnisches Ministerium für Soziales und Gesundheit, Bundesfinanzministerium
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