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Profitschlagen aus jamaikanischer Musik? Gentleman über kulturelle Aneignung

Profitschlagen aus jamaikanischer Musik? Gentleman über kulturelle Aneignung
Foto: Youtube/ Gentleman

Der weiße Reggae-Musiker Gentleman spricht in einem Interview über kulturelle Aneignung. Ihm zufolge sei Respekt vor der Kultur wichtig, aus der eine Musik stammt – aber er warnt auch vor der Gefahr, dass kulturelle Aneignung „uns beschneidet“.

Der deutsche Musiker Gentleman, mit bürgerlichem Namen Tillman Otto, stammt aus Köln. Seine Reggae-Musik singt er allerdings auf Patois, einer jamaikanischen Kreolsprache mit Wurzeln im Englischen. Auch sein neues Album „Mad World“ hat er auf der Sprache aufgenommen – es soll im Dezember erscheinen, das Musikvideo zum Titelsong gibt es bereits auf YouTube zu sehen. Im Interview mit dem Zeit-Magazin sprach er nun über kulturelle Aneignung, der sich immer mehr Künstler:innen konfrontiert sehen. So auch zuletzt Sänger Peter Fox.

Gentleman zur Risiken durch kulturelle Aneignung: „Das wäre ja ein AfD-Traum“

Ein weiterer Vorfall: Im März hatte Fridays for Future die für einen Klimaprotest gebuchte Sängerin Ronja Maltzahn ausgeladen, weil sie als weißer Mensch Dreadlocks trägt. Und auch unabhängig von ihren Frisuren müssen sich Musiker:innen häufig Vorwürfen der kulturellen Aneignung stellen, welche davon profitieren, dass sie Musik aus einem anderen Kulturkreis spielen – ihn sich zu eigen machen. Problematisch ist das, weil die Menschen aus den betroffenen Kulturkreisen oft strukturell benachteiligt wurden, oder es noch immer sind. Und damit auch wirtschaftlich ausgeschlossen waren.

Gentleman berichtet im Interview mit dem Zeit-Magazin von Kommentaren auf seiner Website, die kritisieren, dass er sich eine jamaikanische Kreolsprache aneignete, ohne Konsequenzen. Für Gentleman hatte der Zusatz „ohne Konsequenzen“ etwas radikales. Schwarze Menschen in seinem Leben habe die Debatte gar nicht so berührt.

Grundsätzlich findet Gentleman die Debatte um kulturelle Aneignung wichtig – er sieht darin allerdings auch „die Gefahr, dass sie uns beschneidet und dass wir auf einmal nichts mehr dürfen und uns nicht mehr austauschen können. Das wäre ja ein AfD-Traum.“

Lese hierzu: Streitthema Kulturelle Aneignung: Warum sie problematisch ist

„Als schwarzer Jamaikaner wäre ich nicht so erfolgreich“

Der deutsche Musiker Gentleman ist mit einer Afroamerikanerin verheiratet, hat mit ihr Kinder und tritt nicht nur in Deutschland sondern unter anderem auch in der Karibik auf. Generell ist der Aspekt des Lernens für ihn wichtig, wenn es um kulturelle Aneignung geht, er habe den Begriff nie als etwas Negatives gesehen. „Der Knackpunkt ist doch, ob ich mir der Geschichte der Kolonialisierung mitsamt ihren negativen Aspekten und der Symbolik bewusst bin.“

Wenn es um Reggae-Singen geht, findet der Künstler einen „gewissen Respekt“ wichtig, sowie Anerkennung und Wertschätzung der Herkunft. „Mir fällt tatsächlich niemand ein, der es nicht dürfte“, erklärt der Künstler gegenüber dem Zeit-Magazin.

Allerdings beschäftige es ihn, dass es in Jamaika „hunderttausend Artists“ gäbe, die talentierter und lyrisch besser seien als er, aber nicht seinen Erfolg haben. „Als schwarzer Jamaikaner wäre ich nicht so erfolgreich“, gibt Gentleman zu. „Die weißen Fans identifizieren sich mit mir vielleicht stärker.“ Mit Blick auf den heutigen Zeitgeist habe sich vieles geändert. Der Musiker weiß nicht, ob er heute anfangen würde auf Patois Reggae zu machen. „Ich wäre heute nicht mehr so unbefangen wie früher“, erklärt er.

Bei Auftritt in Jamaika mit Flaschen beworfen

Gentleman geht im Interview auch kritisch auf die Reggae-Szene ein. Es findet es befremdlich, wenn weiße Künstler:innen auf Konzerten das Wort „Rastafari“ brüllen, welches einer Bewegung schwarzer Menschen gegen Sklaverei und Rassismus entsprang. Er selbst habe auch nie Rastas getragen und spricht inzwischen mit dem Publikum in Deutschland nicht mehr Patois, das komme ihm mittlerweile albern vor.

Seine Auftritte auf Jamaika wurden Gentleman zufolge meist gut aufgenommen. Allerdings erinnert er sich an ein Festival, bei dem er mit Flaschen beworfen wurde, nachdem er seinen Zuschauer:innen in etwa geraten hatte, „dass sie nicht nur über Gewalt, sondern auch mal über Gutes singen sollen“. Die starke Reaktion führt Gentleman auf seine schlechte Performance an dem Tag zurück und darauf, dass er zu viel geredet habe. „Ich kriege jetzt nicht mehr diesen white man-Ausländerbonus, sondern ich habe schlecht performt, und deswegen werfen die Leute Flaschen“, folgert der Künstler im Interview.

ISD: Ursprung von Musik sollte deutlichgemacht werden

Mit Blick auf Musik sind Anerkennung und Aneignung oft nur schwer zu unterscheiden. Berühmte Musiker:innen wie Elvis Presley wurden beispielsweise stark beeinflusst von der Musik afroamerikanischer Künstler:innen, profitieren als weiße Performer:innen davon enorm – und die Musiker:innen, die ihn inspirierten, sind heute kaum noch bekannt.

Tahir Della vom Verband der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) betont gegenüber Utopia, wie wichtig es sei, den Ursprung von Musik zu benennen. Er verweist auf unterschiedliche Möglichkeiten, mit Privilegien umzugehen, zum Beispiel das Rampenlicht mit musikalischen Inspirationen zu teilen. Gentleman geht im Interview lediglich darauf ein, dass er Songs wie Dem Gone, Superior und Leave Us Alone mit jamaikanischen Produzenten aufgenommen habe und die Songs teils mit jamaikanischen Künstlern geschrieben habe, die dann auch an den Gema-Einnahmen beteiligt wurden. Gentleman hat allerdings auch schon Songs mit PoC-Künstler:innen aufgenommen, zum Beispiel Can’t Lock The Dance mit dem ghanaischer Afropop- und Reggae-Musiker Stonebwoy.

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