Für eine ProSieben-Doku über Antibiotika-Resistenzen begibt sich Reporter Thilo Mischke zu den Hotspots multiresistenter Keime. Er und sein gesamtes Drehteam stecken sich dabei an.
Der 2023 mit dem deutschen Fernsehpreis ausgezeichnete Reporter Thilo Mischke war am Montagabend in „Antibiotika vor dem Aus: Was tun, wenn nichts mehr hilft?“ auf ProSieben zu sehen. Die Reportage, die auch beim Streaming-Dienst Joyn zu sehen ist, handelt von Antibiotika-Resistenzen: Bakterien, die immer widerstandsfähiger gegen Antibiotika werden und Medikamenten, die dadurch wirkungslos werden.
Für Mischke wird das Thema seiner Reportage auch persönlich relevant. Denn während seiner Recherche stecken sich er und sein gesamtes Drehteam mit einem multiresistenten Keim an, gegen den Antibiotika wirkungslos sind. „Ein beschissenes Souvenir“, flucht Mischke. Dabei geht die Situation für ihn noch glimpflich aus.
Denn Symptome zeigt er keine. Es sei auch gut möglich, dass der Keim in den nächsten Monaten einfach wieder aus seinem Körper verschwinde, sagen ihm Ärzt:innen. Sollte der Keim allerdings doch noch zu gesundheitlichen Problemen führen – was nicht komplett auszuschließen sei – wäre er durch die Multiresistenz schwieriger zu behandeln.
Was macht multiresistente Keime so gefährlich?
Damit machen Mischke und sein Team die Erfahrung, die Fachleute und Betroffene unter anderem in Deutschland vehement beschäftigt.
Mitte des 20. Jahrhunderts gab es einen Antibiotika-Boom. Die Menschheit dachte, mit der medikamentösen Wunderwaffe würden bakterielle Infektionen in Zukunft kein großes Problem mehr darstellen. Viele Jahrzehnte funktionierten Antibiotika auch zuverlässig. Doch wenn Bakterien zu oft einem bestimmten Antibiotikum ausgesetzt werden, entwickeln sie dagegen Resistenzen. Die resistenten Keime vermehren sich ungehindert weiter. Problematisch wird es vor allem, wenn sich Menschen mit ihnen anstecken, schließlich ist das jeweilige Antibiotikum wirkungslos. Betroffene gehen einen Leidensweg oder sterben im schlimmsten Fall an ihrer Infektion.
Multiresistente Keime sind besonders gefährlich, da meist mehrere Resistenzen vorliegen. Im schlimmsten Fall ist ein Keim gegen alle bisher bekannten Antibiotika resistent. Eine Behandlung wird somit massiv erschwert und selbst einfache Infektionen können lebensbedrohlich werden.
Auch bestimmte medizinische Eingriffe wie Operationen oder Chemotherapien, die das Immunsystem eines Menschen schwer belasten, seien ohne Antibiotika undenkbar, sagt Maria Vehreschild, Leiterin der Infektiologie an der Uniklinik Frankfurt in der Reportage. Würde es keine Antibiotika geben, käme es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Infektionen. „Diese Menschen würden ohne Antibiotika sterben. Wir können diese Dinge nur tun, weil wir Antibiotika haben“, warnt sie.
Wie mehrere Expert:innen in der Doku betonen, werden multiresistente Keime die Menschheit in den nächsten Jahren vor eine große Herausforderung stellen. „Da läuft eine Lawine auf uns zu“, sagt Stefan Frings, Chef für Entwicklung und Medical Affairs beim Pharma-Riesen Roche. Vehreschild geht sogar noch weiter: “Viele sprechen von einer tickenden Zeitbombe. Für mich ist die Bombe schon explodiert.“
Thilo Mischke reist zu den Hotspots
Um mehr über die Ursachen und möglichen Lösungen der Antibiotika-Krise zu verstehen, reist Mischke zu verschiedenen Hotspots, in denen multiresistente Keime eine große Rolle spielen: in Krankenhäuser, in einen Betrieb der Massentierhaltung und in das Industriegebiet des indischen Hyderabad, wo ein großer Teil der globalen Medikamentenproduktion stattfindet.
Laut der ProSieben-Doku erkranken in Deutschland jedes Jahr 500.000 Menschen an Krankenhauskeimen, 30.000 davon an multiresistenten Erregern, 15.000 sterben an den Folgen. Auch für Ulrich Möhl aus Paderborn hätte ein Krankenhausaufenthalt fast zum Tod geführt. In der Doku spricht der Beamte darüber, dass er sich bei einer Operation mit einem multiresistenten Keim angesteckt habe. Zwar hätte man ihm im Krankenhaus Bescheid gesagt, ihn aber nicht ausreichend über die Folgen aufgeklärt.
Möhl merkte von der Infektion nichts, er hatte keine Symptome. Als er dann jedoch eines Tages an einem Triathlon teilnahm, wachte er nachts mit „höllischen Schmerzen“ auf. Er kam ins Krankenhaus, lag sechs Wochen lang im künstlichen Koma und war dem Tod nahe. Als er aufwachte hatte er 40 Kilogramm abgenommen. Sein Gesundheitszustand habe sich seitdem drastisch verschlechtert. War er zuvor sehr sportlich gewesen, so sei ihm nun selbst das Spielen mit den Kindern zu anstrengend. Außerdem sei er nun auf Medikamente angewiesen und etwa einmal im Jahr für eine Operation im Krankenhaus.
Wo multiresistente Keime entstehen
Multiresistente Keime entstehen vor allem dort, wo viele Antibiotika verabreicht werden. Das geschehe nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch in Betrieben der Massentierhaltung und bei der Herstellung der Medikamente, erklärt die Dokumentation.
Gemeinsam mit Aktivist:innen verschafft sich Mischke Zugang zu einer Putenmast. Dort findet er säckeweise Antibiotika. Obwohl nur fünf Tiere in dem Betrieb mit dem Erreger angesteckt seien, werde das Medikament über das Trinkwasser an alle Tiere verabreicht. Laut der Doku werden für ein Kilo Fleisch in Deutschland im Schnitt etwa 72 Milligramm Antibiotika verwendet.
Der pharmazeutische Industriepark in Hyderabad in Indien gilt als weltweit größtes Zentrum für die Herstellung von Medikamenten. Aufgrund mangelhafter Umweltvorschriften sei die ganze Gegend mit chemischen Abfällen verseucht. „Es tut richtig in der Lunge weh“, klagt Mischke bei einem Interview in einem nahegelegenen Dorf, als er die Luft einatmet. Durch die Umweltverschmutzung käme es dort zu vielen gesundheitlichen Problemen, die Lebenserwartung liege bei 50 Jahren. Als er eine Probe des Wassers untersuchen lässt, finden sich dort viele verschiedene multiresistente Keime.
Was kann man gegen die Krise tun?
In der Reportage trifft sich Mischke auch mit Menschen, die an Lösungen arbeiten. So reist er zu den schottischen Hebriden, wo Forschende im Meer nach bisher unentdeckten Antibiotika suchen. Bisher habe die Pharmaindustrie nur die „einfachen Wirkmechanismen“ abgegrast, sagt Frings vom Pharmaunternehmen Roche. Das Problem sei jedoch, dass die Entwicklung eines neues Antibiotika bis zur Marktreife, enorm viel Geld koste. „Eine Milliarde, um irgendeine Substanz auf den Markt zu bringen“, erklärt Frings.
Mit neuen Antibiotika ließe sich außerdem nicht viel Geld verdienen. Denn aufgrund der Gefahr weiterer Resistenzen, dürften solche nur sehr selten verwendet werden, um deren Wirkung auf Dauer aufrecht zu erhalten. Pharmakonzerne würden also nur wenig verkaufen können, sodass kaum eine Motivation bestehe, die hohen Investitionskosten zu tragen. Hier müsse die Politik weitere Anreize schaffen, meint Mischke.
Neben der Entwicklung neuer Antibiotika gibt es jedoch noch eine weitere Hoffnung: Bakteriophagen. Dabei handelt es sich um Viren, die Bakterien töten. Phagen-Biologe Alexander Harms von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich erklärt: „Phagen haben das Potenzial, Antibiotika nicht zu ersetzen, aber zu ergänzen und so Antibiotika zu sparen“.
Ein Vorteil sei, dass bestimmte Phagen nur spezifische Bakterien angreifen und man nicht, wie mit Antibiotika, die „gesamte Darmflora auslöscht“. Aktuell sei es aber noch schwierig, Medikamente zu entwickeln, die dafür sorgen, dass die Phagen genau dort landen, wo sie hin sollen. In Zukunft sieht er die Viren jedoch als wichtige Helfer im Kampf gegen bakterielle Infektionen.
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