„Wir wissen, wie die Erde gerettet werden kann“, sagen die großen Umweltschutzorganisationen. Aber sie gehen auf verschiedenen Wegen dorthin. Von den beiden wichtigsten Naturschutzorganisationen der Welt setzt die eine, Greenpeace, vor allem auf Konfrontation. Die andere, der WWF, plädiert für Kooperation. Wir haben mit beiden gesprochen. Den Anfang macht Sweelin Heuss, Geschäftsführerin von Greenpeace Deutschland.
Frau Heuss, weltweit wächst das Umweltbewusstsein. Trotzdem nimmt die Zerstörung von Lebensräumen in einem noch viel schnelleren Tempo zu. Was können Umweltschützer tun, um mehr zu erreichen?
Greenpeace muss immer wieder neue Wege finden, den Schutz unserer Lebensgrundlagen durchzusetzen. Wir müssen frühzeitig Blockaden und Chancen für Veränderungen erkennen, mehr Druck aufbauen und weltweit mehr Menschen für diese Veränderungen gewinnen. Daran arbeiten wir momentan besonders intensiv. Wir stimmen unsere Arbeit mit anderen Umweltschutzverbänden zu besonderen Problemen ab, um mehr Kraft zu entfalten. Aber wir brauchen noch mehr. Wir müssen auch in der Öffentlichkeit das Gefühl stärken, dass jeder mit dem eigenen Verhalten eine politische Wirkung entfalten kann. Ich beobachte aktuell in der Bevölkerung eine Tendenz zunehmender Mutlosigkeit, die mich etwas alarmiert. Viele stecken den Kopf in den Sand oder kaufen sich einen SUV. Nach dem Motto: Es ist eh schon alles vor die Wand gefahren, da macht es ja jetzt auch nichts mehr aus. Deshalb ist es entscheidend, Mut zu machen. Und zu sagen: die Selbstwirksamkeit des Einzelnen ist ganz wichtig in diesen Zeiten. Es lässt sich etwas verändern. Daran zu arbeiten, werden wir nicht müde. Bei Greenpeace gibt es da einen ungebrochenen Optimismus.
Welche Erfolge bestärken Sie darin, weiterzukämpfen?
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Wir haben 2017 eine Kampagne zur Ökologisierung der Landwirtschaft gestartet und die Lage schien fast aussichtslos, denn einige Protagonisten in der deutschen Agrarpolitik sind ziemlich festgefahren. Natürlich könnte man jetzt sagen: Wir brauchen gar nicht erst anzufangen, aber dann ist aus unserer Sicht schon alles verloren. Wir müssen stattdessen versuchen, mit einer Kampagne Bewegung in diese Situation zu bringen. Das haben wir geschafft. Wir haben bei Lidl, einem der großen Discounter, darauf aufmerksam gemacht, dass das umstrittene „Tierwohl“-Etikett für sein Biligfleisch die Verbraucher in die Irre führt. Nach über 400 Aktionen vor den Märkten hat Lidl eingesehen, dass es zu viel Kritik gibt, um so weiterzumachen. Sie schaffen jetzt Transparenz mit einer vierstufigen Kennzeichnung, die Aufschluss darüber gibt, aus welchen Quellen das Fleisch stammt.
Dann ziehen Sie Ihre Motivation auch aus solchen kleinen Fortschritten?
Es geht nur in Etappen voran und diese war ein Erfolg. Als nächstes muss ein verlässliches staatliches Label kommen, der Bauernverband hat sich dafür schon überraschend offen gezeigt. Es spricht einiges dafür, dass sich die Landwirtschaft ändern wird. Ein weiterer wichtiger Schritt ist unser Rechtsgutachten, dem zufolge die Haltungsverordnung für Schweine dem Tierschutzgesetz und dem Grundgesetz widerspricht. Die Tiere haben zu wenig Platz und können nicht artgerecht leben. Das Land Berlin hat unser Gutachten für eine Normenkontrollklage am Bundesverfassungsgericht verwendet. Falls Berlin mit unseren Argumenten gewinnt, wird das die Tierhaltung in Deutschland verändern. Wenn demnächst noch die EU ihre Subventionen nachhaltiger ausrichten sollte, erwarten wir am Ende eine wesentlich umweltverträglichere Landwirtschaft in Deutschland und Europa.
Direkte, gewaltfreie Aktionen sind das Markenzeichen von Greenpeace. Warum sind aus Ihrer Sicht Protest und Aktivismus das wirkungsvollste Vorgehen, um für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen von Mensch und Natur zu kämpfen?
Wenn Greenpeace vor der Tür steht, wird es ungemütlich. Dann wissen bestimmte Gegner, dass sie sich warm anziehen müssen, weil unsere Aktivisten einen sehr hohen öffentlichen Druck erzeugen. Unser Ziel ist, eine Botschaft an bestimmte Entscheider zu übermitteln. Da sind wir schon einzigartig. Aber die Klaviatur ist breit. Wichtig ist nicht nur die Greenpeace-Art, es braucht auch die anderen Organisationen. Unsere Aufgabe ist so wichtig, deshalb müssen und wollen wir mehr Menschen hinter uns bringen. Nicht weil wir meinen: Wachstum ist alles, sondern weil wir in Zeiten leben, in denen wir noch handlungsfähig sind, aber in denen wir natürlich einige schwerwiegende Probleme auf der Welt haben, die wir lösen müssen.
Eins davon ist das weltweite Artensterben. Muss sich der Naturschutz heute vor allem auf die artenreichen Gebiete der Welt konzentrieren?
Unser Commitment ist, für den Klimaschutz zu arbeiten. Wir kämpfen dafür, dass die Welt erheblich weniger fossile Brennstoffe verbraucht und so die Erderwärmung eindämmt. Denn darin sehen wir die größte Gefahr, für Menschen und Umwelt, und auch für die Artenvielfalt. Schon jetzt sterben durch den menschlichen Einfluss jährlich mehr als tausendmal so viele Arten aus als auf natürliche Weise. Viele Arten verlieren ihre Lebensräume. Durch die Überhitzung der Erde wird sich dieser Prozess noch weiter beschleunigen, weil sie sich nicht so schnell an das veränderte Klima anpassen können. Wenn wir also den Klimawandel aufhalten oder auf 1,5 Grad begrenzen, hilft das auch gegen das beschleunigte Artensterben. Daran arbeiten wir auch hier in Deutschland. Denn die Signale aus Deutschland, zum Beispiel mit der Energiewende und dem Versprechen, eine ambitionierte Klimapolitik machen zu wollen, sind auch für die Europäische Union wichtig, und die Klimapolitik der EU ist wiederum ein Signal für andere Regionen. Aber Greenpeace setzt sich auch ganz gezielt für den Schutz bestimmter artenreicher Zonen in der Welt ein, zum Beispiel für das neu entdeckte Riff vor der Amazonas-Mündung oder für ein neues großes Schutzgebiet im Weddell-Meer in der Antarktis.
Eine der größten Herausforderungen für den Umweltschutz ist die wachsende Weltbevölkerung und ihr Hunger nach Nahrung und Rohstoffen. Wie kann er gestillt werden, ohne dass dies zu Lasten der Natur geht?
Grundsätzlich ist genug für alle Menschen da. Was wir jedoch verändern müssen, ist unser Wachstumsdenken. Wir haben Konsumgewohnheiten, die immer weiter getriggert werden – ein Phänomen dafür ist Fast Fashion. Es wird so viel produziert, dass es mittlerweile einen Kleidungsindustrie-Kollaps gibt. Früher entstanden vier Kollektionen im Jahr, heute sind es bis zu zwölf. Bei der Ernährung sehe ich mit Sorge, dass mittlerweile auch China immer mehr auf Fleisch setzt, dabei ist es das Lebensmittel, dessen Produktion am meisten Energie verbraucht. Da müssen wir überlegen: Mit welchen wirksamen Hebeln schaffen wir es, die Konsumgewohnheiten zu verändern? Das versuchen wir auch gerade in Deutschland. Bei unserer Kampagne für ökologische Landwirtschaft haben wir gefordert, dass das Angebot an Fleisch verringert wird und eine bessere Qualität bekommt. Idealerweise sagen auch immer mehr Menschen: Ich bin freiwillig bereit, weniger Fleisch zu essen. Es reicht einmal pro Woche.
Welche politischen Wege sehen Sie, um die Nutzung von Ressourcen zu regulieren?
Globale Handelsverträge wären eine Möglichkeit. Doch leider enthalten weder TTIP noch die vielen anderen Handelsverträge, die derzeit von der EU verhandelt werden, Aspekte für gelebten Umweltschutz. Wir sollten uns fragen: Warum kostet es nicht mehr, umweltschädliche Produkte zu handeln, als umweltgerechte? Und warum können wir nicht wieder Zölle aufleben lassen für Produkte mit Nebeneffekten, die zu Lasten der Gesundheit der Bevölkerung oder der Umwelt gehen? Eine wirksame Preis- und Handelspolitik könnte dafür sorgen, dass mehr umweltgerechte Produkte angeboten werden.
Ist denn ein globales Wirtschaftssystem überhaupt mit dem Naturschutz vereinbar?
Wir sind nicht gegen die Globalisierung, weil wir weltweite Handelsströme grundsätzlich begrüßen und sich Menschen und Geografien auch durch Produkte und Handel verbinden. Die Frage ist aber, wie wir das System so gestalten, dass es umweltgerechter ist. Dazu gehört auch, das aggressive Wachstum von Konzernen zu überdenken und ihren unverhältnismäßig großen Einfluss auf politische Entscheidungen zu beschneiden. Brauchen sie so viele Gewinne? Geht es auch mit weniger? Brauchen wir überhaupt die Konzentration von Konzernen? Oder benötigen wir nicht vielmehr eine viel diversifiziertere Wirtschaftslandschaft mit kleineren Akteuren? Im Rahmen der Energiewende entsteht ja auch mehr Autarkie durch die einzelnen, kleineren Strom-Erzeuger, was die Abhängigkeit von Konzernen verringert.
Naturschutz gelingt nur, wenn auch Unternehmen lernen, ihr Wirtschaften umweltfreundlich zu gestalten. Viele Manager wissen aber schlicht nicht, wie sie das angehen sollen. Warum lehnt Greenpeace es so strikt ab, mit Firmen zu kooperieren?
Wenn wir von Wirtschaftsakteuren, politischen Parteien oder der EU Gelder erhielten, verlören wir unsere Unabhängigkeit. Die brauchen wir aber für unsere Arbeit. Sie ist unser höchstes Gut. Stellen Sie sich vor, wir sitzen mit Wirtschaftsvertretern am runden Tisch und diskutieren mit ihnen beispielsweise darüber, wie sich die Verbräuche ihrer Flotten reduzieren lassen. Dann gehen wir natürlich ganz anders mit ihnen ins Gespräch, wenn wir von ihnen unabhängig sind. Wir können uns mit jedem anlegen und unsere Organisation wird trotzdem immer funktionieren, weil uns ausschließlich private Förderer unterstützen – das sind in Deutschland inzwischen über 590.000 Menschen.
Greenpeace übt nicht nur Druck aus, sondern versucht, auch immer konkrete Lösungen zu präsentieren. Wie entstehen die ohne Insiderwissen aus den Unternehmen?
Wir entwickeln viele Lösungsvorschläge zusammen mit Fachleuten aus Instituten und Forschungseinrichtungen, sodass sie wissenschaftlich fundiert sind. Wir haben zum Beispiel im vergangenen Jahr eine Lösung für den Kohleausstieg entwickelt. Mit den Studien konnten wir zeigen, dass der Kohleausstieg in Deutschland durchaus realisierbar ist, ohne dass die Energiesicherheit leiden würde. Mit solchen Vorschlägen suchen wir die Gespräche mit Regierung, Ministerien und Wirtschaft und sagen: Schaut her. Es ist möglich. Wir könnten die schmutzigen Braunkohlemeiler abschalten.
Kritiker werfen Greenpeace gern vor, weltfremde oder auch utopische Ziele zu verfolgen. Wie radikal dürfen die Veränderungen sein, die Sie von Wirtschaft und Politik fordern?
Da müsste man sich darüber unterhalten, welche unserer Forderungen utopisch gewesen sein soll. Wenn wir unsere Kampagnen planen, vertreten wir immer Forderungen, die wir für ambitioniert und umsetzbar halten. Das ist ganz wichtig. Ein Beispiel ist der FCKW- und FKW-freie Kühlschrank, den wir in den 90er-Jahren zum Schutz des Klimas und der Ozonschicht durchgesetzt haben. Auch damals hat die Industrie gesagt: Das geht doch gar nicht. Sie wollte ihn aber vor allem verhindern. Inzwischen steckt die Technik in etwa 80 Prozent aller Kühlschränke weltweit, eine große Erfolgsgeschichte.
In unserer immer komplexeren Welt lassen sich allerdings nicht immer Lösungen finden, von denen Menschen und Natur gleichermaßen profitieren. Oft widersprechen sich auch die Interessen – zum Beispiel in Bangladesch, wo genmanipulierter Reis gegen den verbreiteten Vitamin-A- Mangel helfen könnte, allerdings zum Nachteil der Umwelt. Wie gehen Sie mit solchen Konflikten um?
Es sind oft Grundsatz-Probleme, die wir Menschen uns selbst schaffen. Und dann erfinden wir ein Instrument, das uns angeblich kurzfristig helfen soll, aber langfristig in die falsche Richtung führt. Gegen die Mangelversorgung mit Vitamin A gibt es bereits wirksame Maßnahmen. Aber einige propagieren ausgerechnet die Gentechnik als ein Mittel dafür, obwohl die Ursachen des Problems tiefer liegen. Gleiches gilt für die weltweiten CO2-Emissionen in Folge der massiven Verbrennung fossiler Brennstoffe. Bis heute werden sie immer noch nicht gedrosselt. Stattdessen sagen einige: Lass uns das doch einfach so weiter betreiben und möglicherweise entwickeln wir Speicherlösungen, um sie aus der Atmosphäre herauszuziehen. Anstatt an der Ursache für die Erderwärmung selbst zu arbeiten. Ich wäre immer sehr vorsichtig bei angeblichen Lösungen, die den Eindruck erzeugen, wir könnten dann so weitermachen wie bisher. Im Prinzip verschärfen sie eher das Grundproblem.
Gastbeitrag aus Enorm
Text: Xenia von Polier
enorm ist das Magazin für den gesellschaftlichen Wandel. Es will Mut machen und unter dem Claim „Zukunft fängt bei Dir an“ zeigen, mit welchen kleinen Veränderungen jeder Einzelne einen Beitrag leisten kann. Dazu stellt enorm inspirierende Macher und ihre Ideen sowie Unternehmen und Projekte vor, die das Leben und Arbeiten zukunftsfähiger und nachhaltiger gestalten. Konstruktiv, intelligent und lösungsorientiert.
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