Was produzieren wir alle zuhauf, wenden uns nicht selten davon angeekelt ab und sind froh, dass es Orte gibt, an denen wir von der Entsorgung nichts mitbekommen? Abwasser. Laut den vergangenen Erhebungen des Statistischen Bundesamts 2016 wurden in 9105 öffentlichen Kläranlagen jährlich etwa 9,6 Milliarden Kubikmeter Abwasser behandelt.
Über 95 Prozent der Bevölkerung sind hierzulande an ein 515 000 Kilometer langes Kanalisationsnetz angeschlossen. Das Abwasser, das in Kläranlagen ankommt, ist Schmutzwasser aus Haushalten, privaten und gewerblichen Betrieben (etwa Spül-, Wasch- und Reinigungswasser, Urin, Fäkalien), Niederschlagswasser und Fremdwasser, das in die Kanalisation einsickert.
Auch auf enorm: „Es ist die Pflicht unserer Generation, das Klima zu stabilisieren“
Phosphorrecycling per Verordnung
Die Melange ist unappetitlich, aber nährstoffreich. Dank biologischer Reinigung lässt sich Stickstoff gewinnen. Und: Phosphor. Dessen Rückgewinnung ist von entscheidender Bedeutung. Der Stoff ist für das Wachstum von Pflanzen lebensnotwendig und somit für die Nahrungsmittelproduktion essenziell. Kann aber bei falscher Dosierung, etwa in der Landwirtschaft, zu gefährlicher Überdüngung führen.
Die EU verfügt nicht über eigene Quellen und importiert bislang Phosphatdüngemittel aus dem Ausland. Dabei könnten aus kommunalen Abwässern bis zu 70 000 Tonnen Phosphor gewonnen werden, diese finden sich fast komplett im Klärschlamm. Auch deswegen wurde 2017 die Klärschlammverordnung hierzulande geändert und auf eine zwingende Rückgewinnung des Rohstoffs ausgerichtet – bis 2029. Kann das funktionieren? In Hamburg will man nun Maßstäbe setzen. Dort soll im letzten Quartal dieses Jahres in puncto Phosphor-Recycling eine Weltneuheit in Betrieb gehen.
„Wir gewinnen mindestens 80 Prozent des Phosphors zurück“
Seit 2015 arbeiten der kommunale Versorger Hamburg Wasser und der Entsorgungs- und Aufbereitungskonzern Remondis an dem Projekt. Nach einer Pilotphase wurde 2018 die Hamburger Phosphorrecyclinggesellschaft gegründet. Seit 2019 wird auf dem Gelände des Klärwerks im Hafen die Spezialanlage gebaut.
Entscheidend ist deren Wirtschaftlichkeit: „Es gibt auch andere Methoden, aber wir gewinnen mindestens 80 Prozent des Phosphors zurück“, sagt Harald Hanßen. Der Ingenieur für Verfahrenstechnik leitet die Prozessführung des Klärwerks. „Es braucht keine umweltschädlichen Lkw-Transporte zu einem Verwerter mehr, zudem nutzten wir den Ablauf der Kläranlage als Kühlmittel für das Verfahren und leiten das erwärmte Wasser in die biologische Reinigungsstufe zurück. Die darin enthaltenen Bakterien arbeiten dann besser im regulären Klärprozess“, freut sich Hanßen.
51 000 Tonnen Klärschlamm pro Jahr
Wie funktioniert die Spezialanlage genau? In der Hansestadt werden pro Jahr 51 000 Tonnen Klärschlamm verbrannt. Übrig bleibt eine rohstoffreiche, feinkörnige Asche. Hier setzt das „nasschemische“ Verfahren an: Die in der Asche enthaltenen Phosphate werden mit verdünnter Phosphorsäure herausgelöst, wodurch sich letztendlich die Phosphorsäurekonzentration erhöht.
Stoffe wie Calcium, Aluminium- und Eisensalze werden durch Kristallisation sowie in einem Ionentauscher aus der Lösung entfernt und wiederverwendet, Aluminium etwa als Fällmittel für die Abwasserreinigung, Calcium in Form von Gips. 7000 Tonnen Phosphorsäure sollen so pro Jahr entstehen. Für Nathalie Leroy, die Chefin von Hamburg Wasser, wird so aus dem Hamburger Klärwerk eine „urbane Rohstoffmine“.
Autor: Jan Scheper
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