Bei dem Massaker von Marikana in Südafrika 2012 forderten Arbeiter*innen einer Platinmine der Firma Lonmin mehr Lohn. Zwei Vertreter wurden beim Versuch einer friedlichen Verhandlung von der Firma ermordet. Als es daraufhin zu gewalttätigen Streiks kam, erschossen Polizist*innen weitere 34 Menschen. Einer der Hauptkunden der Mine ist der deutsche Konzern BASF. Die Firma wurde damals massiv dafür kritisiert, nicht genug für die Rechte der Minenarbeiter*innen zu tun, 2016 verlängerte sie trotz der Proteste ihre Daueraufträge mit Lonmin. 2020 zeigte eine Studie unter anderem von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dass sowohl BASF als auch Bayer in Südafrika und Brasilien hochgiftige Pestizide vertreiben, die in der EU verboten sind: Laut der Studie erkrankten in Brasilien indigene Bewohner*innen und in Südafrika Landarbeiter*innen aufgrund der Pestizide.
Solche Vorfälle nähren seit vielen Jahren die Forderung nach einem Gesetz, das deutsche Unternehmen auch im Ausland in die Sorgfaltspflicht zwingen soll: durch Sanktionen bei Fahrlässigkeit, Vorsatz und mangelndem Engagement sollen so Menschenrechte und Umwelt vor allem im Globalen Süden geschützt werden. Bislang ist diese Sorgfalt nur ein freiwilliges Engagement. Doch im Dezember 2016 verabschiedete die deutsche Bundesregierung den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP), in dem eine Sorgfaltsanalyse deutscher Unternehmen durch ein Monitoring beschlossen wurde. Im aktuellen Koalitionsvertrag heißt es dann: „Falls die wirksame und umfassende Überprüfung des NAP 2020 zu dem Ergebnis kommt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen nicht ausreicht, werden wir national gesetzlich tätig und werden uns für eine EU-weite Regelung einsetzen.“
Dann kam Corona
„Nach den ersten Ergebnissen erfüllen weniger als 20 Prozent aller befragten deutschen Firmen diese Auflagen“, sagt Johanna Kusch, Koordinatorin und Rechtsexpertin der Initiative Lieferkettengesetz, ein Bündnis, zu dem unter anderem NGOs wie Greenpeace und Brot für die Welt, aber auch die Gewerkschaft Verdi zählen. Sie fordern eine feste Regelung in Deutschland, die auch Sanktionen beinhaltet. Im März 2020 wollten die Bundesminister für Arbeit und Entwicklung, Hubertus Heil (SPD) und Gerd Müller (CDU), die Eckpunkte eines möglichen Gesetzes vorstellen. Dann kam die Coronakrise, und die Pressekonferenz wurde abgesagt – man wolle die deutsche Industrie in der Krise nicht zusätzlich belasten, hieß es. Doch gerade die Coronakrise, in der zum Beispiel in Bangladesch und Myanmar Tausende Frauen aus der Textilindustrie über Nacht arbeitslos wurden, weil deutsche Auftraggeber*innen alle Bestellungen über Nacht stornierten, zeige, wie wichtig die Sorgfaltspflicht sei, findet Kusch. „Deshalb fordern wir jetzt erst recht eine deutsche Regelung, langfristig auch auf europäischer und globaler Ebene.“ Die Europäische Kommission hat angekündigt, dass eine Sorgfaltspflicht Teil des Recovery-Plans der EU sein solle. Laut einer Studie der Kommission, die im Februar 2020 veröffentlicht wurde, begrüßen außerdem auch 70 Prozent der befragten Unternehmen eine internationale Regelung, die für mehr Rechtssicherheit sorgen würde.
Doch in Deutschland stellen sich vor allem die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) einem Lieferkettengesetz entgegen. „Ein Gesetz, das Haftung von Personen und Firmen aus Deutschland für das Verhalten unabhängiger Dritter im Ausland begründet, ist absurd“, sagt der BDA auf Anfrage von enorm. „Global tätige deutsche Großkonzerne haben allein in der allerersten Stufe ihrer Lieferkette weit über 100 000 Zulieferer, die sich in den weiteren Stufen zu Millionen aufaddieren.“ Mit einem solchen Gesetz würde der Staat Unternehmen Kontroll-, Berichts- und Haftungspflichten auferlegen, die diese nicht einhalten könnten.
Der BDI argumentiert zudem, dass durch das Gesetz lokale Regierungen aus ihrer Verantwortung entlassen würden: „Ein deutsches Lieferkettengesetz bekämpft Menschenrechtsverletzungen in Entwicklungs- und Schwellenländern nicht effektiv. Es delegiert die Durchsetzung von Menschenrechten im Ausland auf deutsche Unternehmen.“
Win-win-Situation für Unternehmen möglich
Auch Aktivistin Johanna Kusch gesteht zu, dass die Komplexität einiger Lieferketten und die Kosten einer Umstellung der Wertschöpfungskette ein Problem darstellen könnten. Sie hält dem jedoch entgegen, dass es auch eine Win-win-Situation für Unternehmen sein könnte, ihre Lieferkette besser zu analysieren und so auch Sicherheitslücken und kostenintensiven Risiken vorzubeugen. Wirtschaftliche Interessen dürften niemals über der Wahrung von Menschenrechten stehen, die Verantwortung für Menschenrechte dürfte nicht weggeschoben werden. Als Positivbeispiel nennt Kusch Frankreich: Dort gilt seit 2017 das europaweit erste Gesetz, das große französische Unternehmen dazu verpflichtet, Menschenrechts- und Umweltrisiken zu identifizieren, ihnen vorzubeugen und öffentlich Rechenschaft darüber abzulegen. Verstöße können mit einem Bußgeld von bis zu zehn Millionen Euro geahndet werden. Die Buße kann auf bis zu dreißig Millionen Euro erhöht werden, falls die Pflichtverletzung tatsächlich Menschenrechtsverletzungen nach sich zieht. „Bis jetzt hat noch keine einzige große Firma aufgrund des Gesetzes ihren Sitz aus Frankreich wegbewegt“, sagt Kusch. Auch finanziell hätten diese Firmen bislang keinerlei große Einbußen durch das Gesetz hinnehmen müssen.
Ergebnisse des NAP-Monitorings entscheidend
Derzeit arbeiten zudem zahlreiche Akteur*innen an Lösungen für die Nachverfolgung globaler Lieferketten, die zum Beispiel auf der Blockchain-Technologie basieren. So testet gerade das Berliner Unternehmen CircularTree eine Blockchain, die die Lieferkette eines Autoherstellers von den Minen bis zum Hersteller nachverfolgt. Das Gestein aus den Minen wird dabei mit einem Barcode versehen und in der Blockchain wird festgehalten, wann und wo genau wie viel Gestein verschifft wurde. So soll die gesamte Kette transparent werden. Und auch das regierungsnahe Blockchain Lab der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) arbeitet gerade an einer Blockchain-Lösung zur Rückverfolgbarkeit von fair produziertem Kaffee einer Frauenkooperative in Ruanda (mehr darüber in diesem enorm-Artikel).
Die Zukunft des Lieferkettengesetzes in Deutschland hängt derzeit von den endgültigen Ergebnissen des NAP-Monitorings Mitte Juli ab. Kusch fürchtet, dass die Covid-19-bedingte Wirtschaftskrise auch dann dem Gesetz weiter im Weg stehen wird. Die Initiative hält daher Übergangsfristen für denkbar, die ein Gesetz zum Beispiel erst 2022 verpflichtend machen würden. Bis dahin hoffen die Aktivist*innen insbesondere auf die zweite Jahreshälfte 2020, in der Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen wird: Hier könnte man sich für eine europäische Regelung ein- und somit Maßstäbe setzen.
Autorin: Morgane Llanque
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